Materialien 2011
Redebeitrag der Schickeria München zur Demonstration „Police partout, iustice nulle part!“
Demonstration am 10. Dezember 2011 in München
Vielleicht fragt sich der ein oder andere, warum Fußballfans einen Rede auf einer Demo halten, die an einen in Griechenland erschossenen Jugendlichen erinnern und gegen Repression gegen politi-
sche Gruppen protestieren soll. Auch im Stadion verstehen die wenigsten, wieso wir als Fans zu einer solchen Demo gehen. Für uns ist es aber wichtig, staatliche Repression nicht einfach hinzu-
nehmen, wenn wir selber betroffen sind, und nicht wegzuschauen, wenn andere betroffen sind. Egal ob sich Repression gegen politische Aktivisten, Flüchtlinge, Fußballfans oder andere Rand-
gruppen richtet. Egal welche Form sie annimmt. In ihrem Kern basiert sie darauf, uns zu isolieren und unter Druck zu setzen. Damit ist das beste Mittel gegen Repression, Öffentlichkeit zu schaffen und solidarisch zu sein. Aus diesem Grund sind wir heute hier, um uns solidarisch zu zeigen und selber darüber zu reden, mit welchen Mechanismen der Repression wir Fußballfans konfrontiert werden.
Wir Fans sind Woche für Woche mit einem riesigen Polizeiapparat und vielfältigen Mechanismen und Strategien staatlicher Repression konfrontiert, die unsere Freiheit einschränkt. Die allgegen-
wärtige Überwachung durch Beamte in Zivil, unzählige Kameras, und Einsatzhundertschaften, die uns kesseln, betrifft zwar erstmal jeden Fan, der ins Stadion geht, ist aber in erster Linie auf die aktiven Fans fokussiert, die nur einen kleinen Anteil aller Besucher ausmachen. Dabei geht es vor allem darum, den aktiven Fans Kontrolle und Macht zu demonstrieren und sie als etwas „nicht-normales“ zu stigmatisieren. Für die Fans, die auf Konfrontation mit den gegnerischen Fans aus sind, ist es ein leichtes, durch das Netz der Überwachung zu schlüpfen und sich in kleinen Gruppen in den riesigen Menschenmengen unentdeckt zu bewegen. Die totale Überwachung der organisier-
ten Fans, ist gar nicht dazu geeignet, das zu verhindern. Sie ist im Gegenteil darauf ausgelegt, eben die großen organisierten Fangruppen zu gängeln und zu stigmatisieren, und nicht darauf, Fange-
walt zu verhindern.
Am Stadioneingang wartet die nächste Repression auf die aktiven Fans, die mit Fahnen und Ge-
sängen Atmosphäre in die Stadien bringen. Diese seit Jahren und Jahrzehnten etablierten Elemen-
te von Fankultur werden durch penible Einlasskontrollen, unsinnige Verbote und Restriktionen beschränkt oder ganz verboten. Dabei geht es wieder explizit nicht um Sicherheitsaspekte, eine solche Behauptung ist schlichtweg grotesk, sondern einzig und allein darum, die Logik der aktiven Fans zu brechen, die ihre Mannschaft unterstützen wollen, und dadurch Macht zu demonstrieren.
Manche Fans kommen gar nicht so weit. Sie dürfen aufgrund sogenannter Stadionverbote erst gar nicht ins Stadion. Stadionverbote sind die privatrechtliche Ausübung des Hausrechts durch die Vereine. Da sie über bis zu vier Jahren verhängt werden und in allen Stadien Deutschlands gelten, sind sie bestimmten Regularien durch den Verband DFB unterworfen. Sie werden aber schon bei der Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens verhängt. Da Fußballfans aber oft in großen Gruppen unterwegs sind und im Falle von tatsächlichen oder angeblichen Taten Einzelner schnell erstmal alle verdächtigt werden und sich die Polizei der sich daraus für sie ergebenden Möglichkeiten sehr bewusst ist, werden sehr oft Stadionverbote nach dem Gießkannenprinzip gegen ganze Fangrup-
pen verhängt. Die im Grundgesetz verankerte Unschuldsvermutung wird dabei auf den Kopf ge-
stellt. Der Fan ist schuldig, bis er das Gegenteil beweisen kann.
Auch die Art und Weise, wie bei der Praxis der Stadionverbote vertrauliche Daten und der Gegen-
stand von Ermittlungsverfahren zwischen der Polizei und den Vereinen ausgetauscht werden, ist eigentlich nicht mit Rechtsstaatlichkeit vereinbar. Aber auch schon die offizielle Rechtfertigung von Stadionverboten beißt sich argumentativ in den Schwanz. Stadionverbote seien eine präventive Maßnahme, die andere Stadionbesucher schützen sollen. Dabei finden so gut wie keine Gewalttä-
tigkeiten innerhalb der Stadien statt, die allumfassend überwacht werden. Die von Stadionverbo-
ten betroffenen Fans werden aus diesen Stadien ausgesperrt und landen da, wohin sich die quanti-
tativ inzwischen zu vernachlässigende Gewalt verlagert hat: ins Umfeld der Stadien.
Mit der Ungerechtigkeit der Stadionverbote konfrontiert und dem Erlebnis Stadion im Kreis der Freunde beraubt, entdeckt ein Teil der Betroffenen hier erst einen Fabel für das, was angeblich durch Stadionverbote verhindert werden soll. Von Prävention kann hierbei keine Rede sein, viel-
mehr schafft sich die Repression ihre Legitimation erst selber.
Neben den Stadionverboten sind Fans auch immer wieder mit der Datensammelwut der staatli-
chen Stellen konfrontiert. In der sogenannten Datei „Gewalttäter Sport“ und anderen zum Teil illegalen Dateien werden Daten von Fans, tatsächliche und angebliche Tatvorwürfe, persönliche Daten und allerhand interessant erscheinende Gegebenheiten mit Akribie und Fleiß gesammelt. Dabei geht es längst nicht mehr darum, angebliche Gewalttäter zu erfassen, sondern eine Datei aller Menschen zu erheben, die sich in irgendeiner Form beim Fußball organisieren und kritisch sind: Diese Datenerfassung, die sich oft nur auf Verdachtsmomente und Personenkontrollen be-
zieht, dient dazu, Maßnahmen mit weitreichenden Folgen für die Betroffenen wie Ausreiseverbote, Meldeauflagen, Besuche in der Arbeit oder daheim, zu rechtfertigen. Wieder ist Stigmatisierung und soziale Isolation das Ziel.
Ein nicht unerheblicher Aspekt der Repression, die darauf zielt, Fans zu isolieren und derart unter Druck zu setzen, dass sie ihr non-konformes Verhalten und ihre kritische Einstellung aufgeben, ist die strafrechtliche Verfolgung von Fans. Das Netzwerk Fananwälte, ein Zusammenschluss von An-
wälten, die in verschiedenen Städten Fußballfans vertreten, spricht von einer Art „Sonderstraf-
recht“, das Fans schneller und härter verurteilt als vergleichbare Delikte ohne Fußballbezug. Ge-
richte, die zweifelhaften und widersprüchlichen Aussagen von selbst verstrickten Polizisten mehr glauben als den Aussagen von Fans und diese dann ohne Beweise zu drakonischen Strafen verur-
teilen, sind nicht die Ausnahme, sondern der Regelfall. Auch die Justiz ist Teil des Repressionsap-
parats. Auch hier geht es nicht um Gerechtigkeit, sondern um Interessen.
Viele der Strafverfahren gegen Fans basieren auf angeblichen oder tatsächlichen Widerstands-
handlungen. Widerstandshandlungen, die beispielsweise durch aggressive und herablassende Be-
handlung durch Polizeibeamte auf dem Weg zum Stadion oder durch empfundene Ungerechtig-
keit entstehen, wenn Kleinigkeiten und Nichtigkeiten in massivem Einsatz von Schlagstock und Pfefferspray enden. Und hier schließt sich der Kreis, denn dieser Widerstand rechtfertigt neue Verbote, mehr Polizeipräsenz und Überwachung, neue Stadionverbote, mehr Gerichtsverfahren mit noch höheren Strafen und noch weniger rechtsstaatlichem Anspruch, mehr Datensammlungen und auch undifferenzierte Hetze in den Medien.
Repression funktioniert, wenn sie uns bricht. Repression funktioniert, wenn sie uns isoliert. Re-
pression scheitert, wenn wir ihr die Stirn bieten und für unseren Überzeugungen und den Glauben an Gerechtigkeit kämpfen. Repression scheitert, wenn die Menschen solidarisch miteinander sind. Repression scheitert, wenn wir Repression nicht als persönliches Schicksal begreifen, sondern ver-
stehen, dass sie uns alle betrifft. Immer und überall.
Repression scheitert, wenn wir das wollen!
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Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung