Flusslandschaft 2012
Bürgerrechte
„Nach der Abgabe aller Stimmen hatte nur noch einer das Sagen.“1
Im Januar 1972 beschloss die sozial-liberale Koalition in Bonn unter „Mehr Demokratie wagen“-
Kanzler Willy Brandt den Radikalenerlass. In den öffentlichen Dienst sollte nur eingestellt werden können, wer jederzeit für die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ eintrat. 2012 haben alle Bundesländer bis auf Bayern die „Radikalenerlasse“ aufgehoben. Wer sich hier, im Freistaat, für den öffentlichen Dienst bewirbt, auch wenn es sich nur um einen studentischen Aushilfsjob an
der Uni handelt, hat eine Erklärung zur „Verfassungstreue im öffentlichen Dienst“ abzugeben und kann in einer angehängten Liste ankreuzen, bei welchen „extremistischen oder extremistisch be-
einflussten Organisationen“ er/sie Mitglied ist oder war, in welchen Zeiträumen und in welcher Funktion. Lediglich die „Regelanfrage“ beim Amt für Verfassungsschutz ist einer „Bedarfsanfrage“ im Falle „verdächtiger Bewerberinnen und Bewerber“ gewichen.2
Für den 15. Januar plant am globalen Aktionstag Echte Demokratie jetzt! eine Demonstration am Marienplatz.
Das Anti-Counterfeiting Trade Agreement, kurz ACTA (deutsch Anti-Produktpiraterie-Handelsab-
kommen, „Anti-Piraterie-Abkommen“) ist ein geplantes multilaterales Handelsabkommen auf völ-
kerrechtlicher Ebene. Die teilnehmenden Nationen bzw. Staatenbünde wollen mit ACTA interna-
tionale Standards im Kampf gegen Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzungen etablieren. Am 11. Februar demonstrieren Hunderte auf dem Münchner Stachus.3 Nach umfangreichen inter-
nationalen Protesten lehnt das Europäische Parlament ACTA am 4. Juli mit großer Mehrheit (478 dagegen, 39 dafür, 165 Enthaltungen) ab.
Rechtsanwalt Marco Noli fordert als Sprecher der Initiative für eine transparente/bürgerfreund-
liche Polizei eine Kennzeichnungspflicht für Beamte.4
Am 28. März entscheidet das Bundesverwaltungsgericht, ein Polizeieinsatz sei ein „zeitgeschicht-
liches Ereignis“ im Sinne des Kunsturhebergesetzes, von dem Bilder auch ohne Einwilligung der abgelichteten Personen veröffentlicht werden dürfen.
50. Jahrestag der „Schwabinger Krawalle“: Am 12. Mai, zugleich weltweiter Aktionstag, findet unter dem Motto „Echte Demokratie jetzt“ eine Demo statt, die um 12 Uhr am Wittelbacherplatz beginnt und durch die Maxvorstadt und durch Schwabing zur Münchner Freiheit zieht. – ROSA-
LUXEMBURG-STIFTUNG und Bewegung:FILM: 50 Jahre „Schwabinger Krawalle“ – Protest – Polizei und Öffentlichkeit: Filmausschnitte von 1962 am Sonntag, 17. Juni, 20 Uhr im Toberaum, Dachauerstraße 114, 1. Stock links, 80335 München (Anreise: mit Tram 12/20/21 Leonrodplatz) – ROSA-LUXEMBURG-STIFTUNG: 50 Jahre „Schwabinger Krawalle“ – Ein Rundgang zu den Ori-
ginalschauplätzen vom Juni 1962 am Dienstag, 19. Juni, 19 Uhr, Treffpunkt: Wedekindplatz mit Gerhard Fürmetz, Archivar im Bayerischen Hauptstaatsarchiv und Herausgeber eines Buches über die „Schwabinger Krawalle“ (2006) – FILMABEND „50 JAHRE SCHWABINGER KRAWALLE“ am 21. Juni, ab 19 Uhr im Filmmuseum im Stadtmuseum am Jakobs-Platz. – 21. Juni, MÜNCH-
NER FREIHEIT, 18 Uhr: Zum 50. Jahrestag spielen Sparifankal 2, die Original Straßenmusiker von 1962 und Einstürzende Musikantenstadel.5
Der Verfassungsschutz (VS) hat jahrelang die rechtsextreme Gruppe des Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) morden lassen. Entweder wusste der VS davon, dann ist er gefährlich, oder er wusste nichts davon, dann ist er überflüssig. Ganz anders als bei Rechtsextremen bespitzelt der VS lieber Linke und unter diesen auch Gewerkschafter. Die Folge: DGB- und ver.di-Jugend werden im Verfassungsschutzbericht 2011 erwähnt. Ausgerechnet die aktive Teilnahme an Großdemonstrati-
onen gegen die Zunahme nazistischer Umtriebe (genannt sind die Nazi-Demonstrationen in Dres-
den) wird hier angeführt. Antifaschistische Jugendliche, die auf die Straße gehen, weil sie nicht mehr zuschauen wollen, wie Angehörige anderer Nationalitäten geschlagen und ermordet werden, wie ganze Landkreise zu „nationalen Zonen“ ernannt werden, werden als Verfassungsfeinde be-
handelt! Dabei hat sich gerade der bayrische VS bei der Behinderung der Ermittlungen zu den Morden des NSU besonders hervorgetan. Unter dem damaligen Präsidenten Wolfgang Weber hat diese Behörde „die Ermittler der Polizei acht Monate hingehalten, bis sie ihnen endlich ein paar Daten von Neonazis überließ“. Allein in Bayern wurden fünf Menschen das Opfer der Massenmör-
der vom NSU. Und auch Dr. Burkhard Körner, der Nachfolger von Wolfgang Weber, weisungsge-
bunden an die bayrische Staatsregierung, verfolgt lieber antifaschistische Gewerkschafter. Der Arbeitskreis „Aktiv gegen Rechts“ der Gewerkschaft ver.di München protestiert am 27. Juni um 17 Uhr vor dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz in der Knorrstraße 139, Eingang Max-Diamand-Straße. Nachdem bekannt wird, dass VS-Akten, die sich mit der NSU befassen, ge-
schreddert wurden6, erfolgt die gleiche Aktion am 6. Juli um 17 Uhr auf dem Rotkreuzplatz. Hier findet das Plakat mit dem Zusatz „… und Danke für …“ Verwendung.7
Am 20. Oktober demonstrieren BürgerrechtlerInnen gegen das aktuelle EU-Forschungsprojekt INDECT ab 14 Uhr auf dem Stachus. Die neue Software wertet Daten von Kameras und Drohnen aus. Verhält sich eine Person „nicht normal“, verhält sie sich außerhalb eines gängigen Bewegungs-
profils (zur Arbeit gehen, einkaufen …) und bleibt zum Beispiel zu lange am selben Platz stehen oder rennt eilig über die Straße, werden umgehend weitere Daten über Gesichtserkennungssoft-
ware, Internet, SMS-/E-Mail- oder Telefon-/Handy-Überwachung und weitere verfügbare Da-
tenbanken eingeholt. Dann verständigt INDECT die zuständigen Sicherheitskräfte, die diese Per-
son „sicherstellen“ sollen. Im Aufruf heißt es: „INDECT wird wissen, wo wir sind, was wir tun, weshalb wir es tun und was unsere nächsten Schritte sein werden. INDECT wird unsere Freunde kennen und wissen, wo wir arbeiten. INDECT wird beurteilen, ob wir uns normal oder abnormal verhalten. Wir kämpfen gegen den Überwachungsstaat – für unsere Freiheit und Privatsphäre.“8
Am 19. November fordern Amnesty International, die Initiative Bayerischer Strafverteidigerin-
nen und Strafverteidiger e.V., die Humanistische Union e.V. (Regionalverband München-Südbay-
ern), die Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizistinnen und Polizisten (Hamburger Signal) e.V., die Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte e.V. (BAG}, die Arbeitsgemeinschaft Fanan-
wälte, die Löwenfans gegen Rechts (Anzeigeerstatter in Sachen USK-Schlagstockattacke am 9. De-
zember 2007 beim Amateurderby des TSV 1860 gegen FC Bayern München im Grünwalder Stadi-
on), Familie Brandmaier, Rosenheim (Opfer polizeilicher Gewalt), Gymmick, Liedermacher, Nürn-
berg (Opfer polizeilicher Gewalt}, Klaus Schultz, Diakon Evang. Versöhnungskirche in der KZ-Ge-
denkstätte Dachau, Eberhard Schulz, “Nie wieder – Initiative Erinnerungstag im deutschen Fuß-
ball” und weitere Rechtsanwälte und bayrische und deutsche Fangruppen die individuelle Kenn-
zeichnungspflicht für Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte.9 – Nach Jahren wird das Verfahren anlässlich der polizeilichen Übergriffe vom 9. Dezember 2007 eingestellt. Unter dem Slogan „Wir wollen die Akten! Wir wollen Aufarbeitung! Wir wollen Gerechtigkeit!“ rufen die Löwenfans gegen Rechts zu einer Protestkundgebung am Samstag, 8. Dezember, auf. Treffpunkt für die Demonstrie-
renden ist um 12 Uhr vor der Tela-Post in Giesing – U-Bahnhaltestelle Silberhornstraße.
Am Samstag, 1. Dezember, demonstrieren unter dem Motto „Solidarität mit Max“ spontan an die fünfzig Menschen gegen die staatlichen Einschüchterungsversuche von Antifaschisten. Anlass ist eine durch die Staatsanwaltschaft München II veranlasste Hausdurchsuchung am Vortag bei einem Antifaschisten in Hamburg.10
(zuletzt geändert am 23.8.2021)
1 Manfred Ach, Geschmacksverstärker. Zusätze vom Mönch, München/Wien 2012, 6071.
2 Siehe www.berufsverbote.de und www.gegen-berufsverbote.de/index1.php.
3 Siehe Bilder von der Anti-ACTA-Demonstration auf www.youtube.com/watch?v=2asbRuMQ93E&feature=endscreen.
4 Vgl. Süddeutsche Zeitung 68 vom 21. März 2013, R1. Siehe „Rechtsextremismus“, Fußnote 1.
5 Siehe https://linksunten.archive.indymedia.org/node/62947/index.html.
6 Siehe „Fromm bedauert“ von Wolfgang Blaschka.
7 Siehe Fotos von der Aktion „nsu hilft dem vs“ vom 27. Juni von Wolfgang Smuda. Siehe dazu auch die Web-Seite des Bündnisses „Verfassungsschutz auflösen!” www.vs-aufloesen.de. Vgl. dazu auch John Goetz/Christian Fuchs, Die Zelle. Rechter Terror in Deutschland, Reinbek 2012.
8 Siehe www.action-freedom.de, www.gegen-indect.pwny.biz und www.anonymous-bayern.com.
9 Siehe www.humanistische-union.de/nc/aktuelles/aktuelles_detail/back/aktuelles/article/initiative-fuer-eine-transparente-buergerfreundliche-polizei/
10 Siehe https://linksunten.archive.indymedia.org/node/72838/index.html.