Flusslandschaft 2003

Alternative Ökonomie

„Druckwerk — Der Sommer war heiß, trocken und lang und die Leute zogen den Aufenthalt am See oder im Biergarten allemal dem am Schreibtisch vor. So kam es, dass niemand Flugblätter, Broschüren, Bücher, Flyer, oder anderes schreiben wollte, was wir hätten drucken können. Und wie der Grundwasserpegel so sank auch unser Kontostand. — Das Druckwerk wurde 1991 gegründet. Heute ist nur noch einer – wir sind drei Kollegen und eine Kollegin – von damals dabei. Wir verstehen uns als Kollektiv, unabhängig davon, ob und wie viel die Einzelnen an Kapital in den Betrieb eingebracht haben. Das heißt konkret, dass Entscheidungen von allen gemeinsam getroffen und von allen getragen werden, wie langwierig dieser Prozess auch sein mag. Die IG Metall Bayern riss uns aus unserer Trägheit, und um das auch mit ihren Mitgliedern zu tun und die streikenden Kolleginnen und Kollegen im Osten nicht gänzlich hängen zu lassen, druckten wir eine Viertelmillion Flugblätter. — Unser Kundenstamm und unsere Produkte sind breit gefächert, was aber nicht heißen soll, dass wir keine Vorlieben hätten. Sehr gerne drucken wir schön gestaltete Bücher, Plakate, Broschüren, Flyer … mit sinnvollen, linken Inhalten. Aber da im Kapitalismus diese Zusammensetzung (auch bei uns) nicht oft funktioniert, sind wir gezwungen – leider – Kompromisse einzugehen, unter dem Vorbehalt, dass in den zu druckenden Sachen nichts Frauenfeindliches, Rassistisches, Nationalistisches, Esoterisches, kurz: kein reaktionäres Zeug steht. Nun ja, der Streik wurde gescheitert, … Wir aber mussten dank der großartigen Unterstützung durch das Netzwerk, das uns ein Darlehen für die Vorfinanzierung des Papiers gab, unseren Dispo nicht belasten und konnten sorgenfrei die Bezahlung der Flugblätter abwarten. Mittlerweile sind wir ein von der IHK anerkannter Ausbildungsbetrieb und bilden zum Offsetdrucker, zur Offsetdruckerin aus; abgesehen von einem Abbruch haben zwei Auszubildende ihre Prüfung zur Druckerin erfolgreich abgelegt, von unserem ersten Jungen erwarten wir dies in eineinhalb Jahren auch. Nicht nur angesichts von ‚Basel II’ und der damit verbundenen Schwierigkeit für unsereinen überhaupt noch an Kredite zu kommen, ist das Netzwerk mehr wert als die nichtzubezahlenden Zinsen. Das Druckwerk befindet sich im schönen Westend in einem Hinterhof, einerseits ein Nachteil, weil Raum für größere Maschinen nicht vorhanden ist, andererseits ist uns aber das Viertel und unser ‚Standort’ so lieb, dass wir auf keinen Fall von hier wegziehen wollen. — So muss dann eben mal ein ‚Balkon’ für die entfallene Lagerfläche gebaut werden (im Sommer 2001 in Rekordzeit vom Holzkollektiv errichtet), oder eine Wand eingerissen (schöne Grüße an Gartenbau Schönberger), oder auch ein Fenster und ein Stück Wand entfernt werden (wieder Holzkollektiv und Schönberger), um ein neues Gerät in die Räumlichkeiten zu bekommen. Das Netzwerk gab dem Druckwerk ein Darlehen von 5.500 Euro. Dafür ein dickes Dankeschön!“1


1 Netzwerk München, Rundbrief vom Dezember 2003, www.netzwerk-muenchen.de/rundbrief.htm.