Materialien 1987

Siemens und der Verfassungsschutz: Gericht stoppt Schnüffler

Die Anfragen beim Verfassungsschutz durch den Siemens-Konzern waren rechtswidrig.

Klarer Erfolg für den Betriebsrat des Siemens-Werks an der Münchner Hofmannstraße und die IG Metall: „Es wird festgestellt“, so verkündete Peter Poppe als Vorsitzender Richter der 14. Kammer des Münchner Arbeitsgerichts am 22. Dezember letzten Jahres, „dass die Firma Siemens Anfragen beim Landesamt für Verfassungsschutz hinsichtlich von Bewerbern zu unterlassen hat.“

Nachdem METALL im Mai 1987 die Zusammenarbeit zwischen privaten Arbeitgebern und dem Verfassungsschutz bei der „Durchleuchtung“ von Arbeitnehmern am Beispiel Siemens belegte, hat die damit begonnene Auseinandersetzung mit dem Münchner Urteilsspruch einen ersten juristischen Höhepunkt erreicht.

„Auswahlrichtlinie“

Im Gegensatz zu Siemens-Anwalt Günter Schmitt-Rolfes (siehe METALL 25 – 26/87) bezeichnete Richter Poppe die Klage der Siemens-Betriebsräte gegen die Schnüffelpraxis in seiner mündlichen Urteilsbegründung als „zulässig und im wesentlichen begründet“. Die Unternehmensanfragen beim Verfassungsschutz verletzen nach Ansicht des Gerichts „elementare Grundrechte“ der Arbeitnehmer, insbesondere das Recht auf informelle Selbstbestimmung.

Allerdings, so Peter Poppe, habe man den Streit rein betriebsverfassungsrechtlich beurteilt: Die regelmäßigen Anfragen beim Verfassungsschutz hätten die „Qualität einer Auswahlrichtlinie“ bei der Einstellung oder Versetzung von Mitarbeitern. Derartige Auswahlkriterien bedürften jedoch grundsätzlich der Zustimmung des Betriebsrats. Weil das bei Siemens nicht der Fall ist, sei die Zusammenarbeit mit den Verfassungsschützern unzulässig.

Deutlicher Hinweis

Mit dem Münchner Urteil ist erstmals gerichtlich festgestellt, dass die von METALL aufgedeckten Arbeitnehmer-„Überprüfungen“, die auf eine Ausweitung der Berufsverbotspraxis in die Privatindustrie hinauslaufen, rechtswidrig sind. „Arbeitgeber, aber auch Verfassungsschutzbehörden haben durch diesen Richterspruch einen deutlichen Hinweis darauf bekommen, dass demokratische Rechte auch hinter Werkstoren gelten“, betonte Harald Flassbeck, Erster Bevollmächtigter der IG Metall München, in einer ersten Stellungnahme noch im Gerichtssaal.

Der Landesbezirk Bayern des DGB begrüßte das Urteil. Siemens müsse nun offenlegen, wo überall solche Regelanfragen an den Verfassungsschutz gestellt wurden. Ende Januar wird sich der Bayerische Landtag erneut mit der Bespitzelungsaffäre befassen.

-gr


Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 1 vom 8. Januar 1988, 8.

Überraschung

Jahr: 1987
Bereich: Bürgerrechte