Materialien 1987

Locker am Recht vorbei

Nicht nur die Betriebsräte des Siemens-Werkes an der Münchner Hofmannstraße, sondern auch Kolleginnen und Kollegen in zahlreichen anderen Betrieben quer durch die Republik haben fast ein halbes Jahr voller Spannung gewartet – auf das schriftliche Urteil der 14. Kammer des Münchner Arbeitsgerichts, nach dem die Firma Siemens „Anfragen beim Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz hinsichtlich in Aussicht genommener Stellenbewerber zur Einstellung oder Versetzung zu unterlassen hat“ (siehe METALL 1/88).

Unter dem Geschäftszeichen 14 BV 131/87 haben die drei Richter auf 20 Seiten festgehalten, dass die gemeinsamen Schnüffelaktionen von Personalleitungen und Verfassungsschützern (METALL deckte sie auf und berichtete seit Nr. 10/87 kontinuierlich) jeglicher rechtlichen Grundlage entbehren. Allerdings hat sich das Gericht bei seiner Entscheidung auf betriebsverfassungsrechtliche Gesichtspunkte beschränkt: Vor allem das dem Betriebsrat zustehende Mitbestimmungsrecht bei Auswahlrichtlinien (§ 95 BetrVG) sei von Siemens verletzt worden.

Und es sei eine Auswahlrichtlinie, wenn der Elektronikkonzern „vor jeder Einstellung und Versetzung in den Geschäftsbereichen Öffentliche Vermittlungstechniken, Übertragungstechniken und Nachrichtenkabeltechnik“ des Betriebes Hofmannstraße eine Anfrage an das Bayerische Landesamt für den Verfassungsschutz wegen eventueller Sicherheitsbedenken richte. Und im Falle der Auskunft, dass Sicherheitsbedenken bestehen, allein aufgrund dieser Auskunft von einer Einstellung absehe.

Kritik übt das Gericht auch an der schwammigen Begründung des Hauses Siemens für seine Regelanfragen: Die Firma habe sich „jeglicher Konkretisierung der Gefahren enthalten, denen sie im Rahmen des vorbeugenden Sabotageschutzes bereits bei der Auswahlentscheidung entgegenwirken will“ – obwohl es übrigens in der Kriminalgeschichte der Bundesrepublik bis heute keinen einzigen politisch motivierten Sabotageakt aus dem Kreis von Betriebsangehörigen gegeben hat. Darüber hinaus gebe es keinen rechtlichen Gesichtspunkt, aus dem heraus dem Betriebsrat im Rahmen des vorbeugenden Sabotageschutzes bei Einstellungen und Versetzungen die Mitbestimmung zu versagen wäre.

„Kein Monopol“

„Sicherheitsbelange“, so heißt es weiter in der Urteilsbegründung, „sind nicht etwa ein Monopol des Arbeitgebers; vielmehr liegt es ebenso im natürlichen Interesse der Arbeitnehmer des Betriebes, bei personellen Einzelmaßnahmen den Erfordernissen des vorbeugenden Sabotageschutzes in angemessener Weise Rechnung zu tragen.“ Deshalb dürfe in diesem Bereich nichts ohne Mitbestimmung laufen.

Schließlich wird auch auf die Gefahr der Diskriminierung durch die dubiosen Kriterien der Verfassungsschützer sowie das Interesse der Arbeitnehmergemeinschaft hingewiesen, „durch einschlägige Auswahlrichtlinien nicht weitergehend von belastenden Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht betroffen zu werden, als dies von der Sache her unabdingbar geboten erscheint“.

Bereits zur Regelanfrage im öffentlichen Dienst sei ein verbreitetes Unbehagen geäußert worden, bevor die Siemens AG dieses Verfahren „auf einen nicht unerheblichen Teil ihrer Belegschaft“ übertragen habe.

Jürgen L. Groß


Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 14 vom 8. Juli 1988, 9.

Überraschung

Jahr: 1987
Bereich: Bürgerrechte