Materialien 1987

Schnüffler aktiv

Die Arbeitnehmerbespitzelung in der bayerischen Privatwirtschaft hat noch größere Ausmaße als bisher angenommen. So liegt die Zahl der wegen „Erkenntnissen“ des Verfassungsschutzes abgelehnten Bewerber in Privatunternehmen weitaus höher als im öffentlichen Dienst. Das kam jetzt bei der Pressekonferenz im Münchner Innenministerium zum „Verfassungsschutzbericht Bayern 1987“ heraus.

Während der zuständige Leitende Ministerialrat Dr. Karl Schwindel bei kritischen Fragen sich äußerst zugeknöpft zeigte, ließ Verfassungsschutzpräsident Mäder etwas die Hosen runter. „Unter zehn Prozent“ bezifferte er die Zahl der vom Verfassungsschutz als sabotageverdächtig eingeschätzten Bewerber. Und das hat bei Privatfirmen in der Regel die Nichteinstellung zur Folge. Genaue Zahlen über die abgelehnten Bewerber wollte Mäder allerdings nicht nennen. Das sei geheim. So sind die Bürgerinnen und Bürger des Freistaats auf eigene Schätzungen angewiesen.

Im Landtag wurde kürzlich mitgeteilt, dass 29 Firmen Stellenbewerber – und die Belegschaft – vom Verfassungsschutz durchleuchten lassen. Unentgeltlich, versteht sich. Bei geschätzten durchschnittlich 2.000 Beschäftigten pro Firma ergibt das mindestens 58.000 beschnüffelte Arbeitnehmer in Bayern. Nicht mitgerechnet diejenigen, die aufgrund der nicht mal vor Gericht verwertbaren „Erkenntnisse“ keinen Job bekommen haben. Das Ausmaß der Bespitzelung ist in der Privatwirtschaft also weitaus höher als im öffentlichen Dienst. Denn hier wurden im vergangenen Jahr 20.758 Bewerber im Rahmen der „Regelanfrage“ überprüft; In 29 Fällen wurden .,Erkenntnisse“ an die Einstellungsbehörden weitergegeben. Eine „Trefferquote“ von 0,14 Prozent. Abgelehnt wurde schließlich nur ein einziger Bewerber.

Zu den 29 Unternehmen, die die „Dienstleistungen“ des Verfassungsschutzes kostenlos in Anspruch nehmen, gehören die Firmen Siemens, Merk-Telefonbau, Rhode und Schwarz. Erst unlängst rügte das Münchner Amtsgericht die Schnüffelpraxis von Siemens. Die Kriterien, die der Verfassungsschutz bei seinen Entscheidungen zugrunde lege, blieben völlig „im dunkeln“, so die Richter.

Der Weltkonzern hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. Und lässt derweil munter weiterschnüffeln.


Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 16 vom 5. August 1988, 4.

Überraschung

Jahr: 1987
Bereich: Bürgerrechte