Materialien 1987

Staatsanwälte sind auf dem Rückzug

Bayern: Druck nach Arbeitsniederlegungen

Jeweils 500 Mark zugunsten der Staatskasse sollten zwei Metaller in München zahlen, weil sie Kundgebungen zum Thema „Für die 35-Stunden-Woche“ geleitet haben sollen (siehe METALL 15/87). Jetzt wurden die Ermittlungsverfahren eingestellt.

Werner Buchner und Walter Scholler, beide sowohl stellvertretende Betriebsratsvorsitzende als auch Vertrauenskörperleiter, gehörten am 8. April 1987 zu rund 20.000 Münchner Metall-Arbeitnehmern, die an spontanen Arbeitsniederlegungen im Rahmen der Tarifauseinandersetzungen teilnahmen. Der eine im Bereich des Siemens-Werkes an der Hofmannstraße, der andere als einer von 100 Warnstreikern bei der Friedrich Merk Telefonbau GmbH in München-Giesing.

Doch nur diese beiden wurden von Polizei und Staatsanwaltschaft aufs Korn genommen und sogar im Betrieb belästigt. Sie seien „Rädelsführer einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel“. Weil sie die Aktionen nicht gemäß Versammlungsgesetz angemeldet hätten, sollten sie zur Kasse gebeten werden.

Mit Rückendeckung der IG Metall lehnten sowohl Werner Buchner als auch Walter Scholler die Bußgeldzahlung ab. Sie betonten die spontane Form der jeweiligen Demonstration, die keiner Anmeldung bedürfe, sowie das Recht auf Streikfreiheit.

Dagegen Polizei und Staatsanwaltschaft: „Wir sind der Meinung, dass es spontane Demonstrationen eigentlich gar nicht gibt.“ Und der zuständige Abteilungsleiter der Staatsanwaltschaft, Oberstaatsanwalt Steiner im Juli 1987 zu METALL: „Wenn die Geldauflagen nicht bezahlt werden, wird es zur Gerichtsverhandlung kommen.“

Doch diese Prophezeiung hat sich nicht bewahrheitet: Buchner und Scholler zahlten nicht. Trotzdem flatterte beiden Anfang Februar Post von Staatsanwalt Arno Grestfeld ins Haus. Identischer Inhalt beider Briefe war die Verfügung: „Das Verfahren wird mit Zustimmung des Amtsgerichts gemäß Paragraph 153 Abs. 1 Satz 1 StPO eingestellt.“

Dieser Rückzug der Staatsanwälte ist allerdings äußerst trickreich: Die Einstellung erfolgte nicht wegen erwiesener Unschuld – dann hätte man Paragraph 170 der StrafProzessordnung herangezogen –, sondern wegen „geringfügiger Schuld“. Und gegen diese Einstellung zweiter Klasse lässt sich in unserem Rechtsstaat kein Rechtsmittel einlegen.

Gerd Nies, von der IG Metall gestellter Rechtsanwalt für Werner Buchner: „Wäre es zur Gerichtsverhandlung gekommen, hätte es einen Freispruch geben müssen.“ Davor hat sich die Staatsanwaltschaft gedrückt, hat nun aber Unterlagen für künftige Repressionen in den Akten.

Jürgen L. Groß


Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 4 vom 19. Februar 1988, 21.