Materialien 1988

Kein Platz für Jürgen

Siemens München: Jugendvertreter schikaniert

Groß wie Scheunentore sind die Lücken, durch die sich Arbeitgeber aus der gesetzlichen Weiter-
beschäftigungspflicht für Jugendvertreter winden können. Sogar der Siemens-Konzern will durchschlüpfen. Dagegen macht die Münchner IG Metall-Jugend mobil.

Der junge Mann, der sich einen Samstagvormittag im Juli hinter dem Münchner Rathaus im Käfig vorführen ließ, heißt Jürgen Schäffer. Seit Juni 1986 war er Jugendvertreter am Siemens-Standort Hofmannstraße. Im Januar 1988, rechtzeitig vor der Abschlussprüfung als Werkzeugmacher, ver-
langte er schriftlich seine Übernahme. Womit theoretisch, so jedenfalls das Gesetz, „ein Arbeitsver-
hältnis auf unbestimmte Zeit als begründet“ gelten müsste. Doch Siemens verweigert die Weiterbe-
schäftigung. Für den jungen Werkzeugmacher sei am ganzen Standort kein einziger Arbeitsplatz frei gewesen – mit diesem „Argument“ beantragt Siemens beim Arbeitsgericht die Entbindung von der Beschäftigungspflicht.

Strafversetzt

Notgedrungen und unter Vorbehalt nahm Jürgen Schäffer eine Stelle bei Siemens Neuperlach an. Weit weg von den Jugendlichen, die ihn zu ihrem Vertreter gewählt haben. Für den stellvertreten-
den Betriebsratsvorsitzenden Werner Buchner ein „klarer Versuch, die betriebliche Interessenver-
tretung zu behindern und vor allem im Jugendbereich die Kolleginnen und Kollegen einzuschüch-
tern“.

Die Arbeitsrichter nahmen’s beim ersten Prozesstermin im Juni zur Kenntnis und setzten die nächste Verhandlung für November an. Jetzt macht die Metalljugend auch öffentlich Druck, dass der Jugendvertreter Jürgen Schäffer noch vor der nächsten Wahl sein Recht bekommt. Sonst hätte die Dickfälligkeit gesiegt.

Hannelore Messow


Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 16 vom 5. August 1988, 20.