Materialien 1989

„... sonst gehe ich zu Deinem Chef“

Siemens: Schnüffelei der Dienste geht weiter

Die politische Schnüffelpraxis beim Elektrokonzern Siemens (METALL berichtete mehrfach) wird zum Nährboden für Erpressermethoden. Vor wenigen Tagen erst wollte der bayerische Verfas-
sungsschutz einen jungen Metaller als verdeckten Mitarbeiter anwerben. Mit der Drohung: Sonst erfährt die Ausbildungsleitung von Siemens von seiner Mitgliedschaft in der linken Jugendorga-
nisation SDAJ.

Der Dunkelmann trug keinen Schlapphut. Als Andreas B. (18, Name geändert) am 24. Februar morgens gegen halb acht mit dem Fahrrad zur Berufsschule starten wollte, stellte sich ihm ein Mann mit Lederjacke in den Weg. Sonnengebräunt, getönte Brille. „Ich wollte Sie wegen Ihrer Zu-
gehörigkeit zur SDAJ befragen. Ich bin vom Verfassungsschutz.“

Andreas zeigte kein Interesse, wollte weiterradeln – da kam der Stopper: „Sie arbeiten bei Sie-
mens. Ich werde Ihre Ausbildungsleitung davon unterrichten.“

Andreas ist im dritten Ausbildungsjahr als Informationselektroniker . Im Frühsommer hat er seine Prüfungen. Kein Zweifel, dass er sie bestehen wird. Er fragte nach: „Wollen Sie meine Zukunft ka-
putt machen?“ Die Antwort: „Aber nicht doch. Ich werde nur, falls eine Anfrage kommt, Ihre Zuge-
hörigkeit nicht verschweigen.“ Der junge Metaller ließ sich auf ein neues Treffen ein: „Am Montag nach Ihrer Arbeit. Ich werde Sie schon irgendwie treffen.“ Noch am Freitagabend erzählte er sei-
nen Eltern von der Anmache. „Damit war der schlimmste Druck schon weg. Es war gut zu merken, dass ich nicht allein bin.“

Die Eltern übernahmen am Montag den Begleitschutz: Der Vater fuhr mit dem Auto, die Mutter mit dem Fahrrad hinter Andreas her. Der Dunkelmann vom Amt stand wieder in der Nähe der Wohnung.

Diesmal streute er noch ein bisschen Zuckerbrot auf die Peitsche und stellte „etliche tausend Mark“ für die Mitarbeit in Aussicht. Doch als Andreas auch darauf nicht anbiss, zog er schnell ab – die El-
tern des jungen Metallers im Schlepptau.

„Fast eine halbe Stunde ist er im Zickzack durchs Viertel. Plötzlich war er weg. Offenbar hat er uns bemerkt.“ Die Mutter von Andreas zu METALL: „Ich finde es einfach kriminell, junge Leute so ein-
zuschüchtern. Will man denn Duckmäuser als Nachwuchs haben?“

Auch die Jugend- und Auszubildendenvertretung von Siemens in München steht zu ihrem Gewerk-
schaftskollegen. Ludwig Gmeiner, JAV -Sprecher: „Es ist notwendig, dass man sowas öffentlich macht. Das ist der wichtigste Schutz gegen Erpresser.“

Hannelore Messow


Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 5 vom 10. März 1989, 19.

Überraschung

Jahr: 1989
Bereich: Bürgerrechte