Materialien 1989

Ungewöhnliche Betriebsversammlung: Moritaten im Theatersaal

Betriebsversammlung bei Digital Equipment (DEC) in München: Ungewöhnlicher Ort ist die nahegelegene Theaterfabrik. Knapp 400 der rund 1.800 Angestellten, die der amerikanische Computerbauer in der bayerischen Landeshauptstadt beschäftigt, sind gekommen.

„Die Firma ist in keinem Arbeitgeberverband. Für uns gilt nach wie vor die 40-Stunden-Woche“, sagt Irene Kuhn, die Betriebsratsvorsitzende. „Wenn wir, wie unsere EDV-Konkurrenz, auch endlich die 37-Stunden-Woche haben wollen, brauchen wir eine starke IG Metall im Betrieb.“

Im Vorraum der Bühne hat der Betriebsrat einen IG Metall-Stand aufgebaut, mit Plakaten und Werbematerialien. Um die Teilnehmer einzustimmen, haben sich Irene Kuhn und ihre Betriebsratskollegin Hanni Bräuer eine „kleine kabarettistische Einlage“ einfallen lassen. Zur Melodie von „Mariechen saß weinend im Garten“ tragen sie das „Lied von der Flexibilität“ bei DEC vor:

„Dass Sie mich bei Ihnen sehen / hat seinen bestimmten Grund / müsst längst zum Arbeiten gehen / doch geh ich halt später und / Fühl mich erst mal flexibel /und fühle mich so frei / ich bin halt nicht penibel / ich denk mir nichts dabei. // Die vierzig Stunden Maloche / teil ich mir wie ich will ein / denn so eine Arbeitswoche / will heil überstanden sein. //

Hab schließlich nicht seit heuer / drei Wochen Urlaub mehr / mich kommt das ganz schön teuer / die Firma nicht so sehr. // Zum Ausgleich legt sie pro Woche / drei Stunden Arbeit noch drauf / doch diese Form der Maloche / nehm ich nicht länger in Kauf. // Ich will auch keine Schichten / nach Plan von Digital / werd mich dagegen richten / mit der IG Metall: //

Wenn ihr das auch so seht / dann lasst mich hier nicht allein / tretet im Saal wo der Stand steht / gleich in die Gewerkschaft ein. // Dann wehren wir uns alle / gegen die Schichtarbeit / dann gibts in jedem Falle / verkürzte Arbeitszeit.“

Nach der Betriebsversammlung blieb ein Großteil der Beschäftigten noch auf ein Bier in der Theaterfabrik. Sie nutzten die Gelegenheit, sich über die IG Metall zu informieren. „Viele haben eine Beitrittserklärung mitgenommen“, sagt Irene Kuhn. „Wenn sie jetzt noch eintreten, wäre das ein schöner Erfolg.“

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Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 15 vom 11. August 1989, 20.