Materialien 1989
„Miete – die neue Ausbeutung“ – METALL-Interview mit dem Münchner Mieter-Anwalt Christian Ude
Auf einer Großveranstaltung „Raus mit dem – wie man in München Mieter vertreiben will“ be-
kam vor wenigen Wochen der Münchner Rechtsanwalt Christian Ude (41) von einer unabhängi-
gen Jury den „Ersten Münchner Großstadtpreis Die Löwenpfote“ verliehen. Mieterspezialist Ude kämpft seit Jahren für menschenwürdiges Wohnen und gegen übles Spekulantentum mit Miet-
wohnungen. METALL-Mitarbeiter Stefan Esser sprach mit ihm.
METALL: Von Oscar Schneider bis hin zum Ring Deutscher Makler wurde immer wieder gesagt, zuviel Mieterschutz verhindere den Bau neuer Wohnungen …
Ude: Da ist nachweislich nichts dran. Mit dem Argument wollte die Wende-Regierung erst die Ein-
führung des Zeitmietvertrages rechtfertigen, dann diente es zur Beschleunigung von Mieterhöhun-
gen, als man nur noch Mietabschlüsse der letzten drei Jahre als Vergleich hernahm. Aber die Woh-
nungsbauzahlen sind noch nie so tief abgesunken wie seit 1983. Es gibt also keinen Zusammen-
hang zwischen Mieterschutz-Abbau und Wohnungsbau-Ausweitung. Zeitmietverträge brachten auch nicht mehr Wohnungen, wurden aber häufig für größere Mieter-Abhängigkeit missbraucht.
METALL: Was hatte das Mietgesetz von 1983 noch für Folgen?
Ude: Das Versprechen, dass beschleunigte Mieterhöhungen zu mehr Wohnungsbau führen, ist ge-
platzt. Aber dafür führte es in Bereichen mit erhöhtem Wohnungsbedarf – wie München, Frank-
furt, Köln, Ruhrgebiet, Hamburg – zum explosionsartigen Anstieg des Mietniveaus. Dabei ist im Bundesdurchschnitt der Mietanstieg durchaus harmlos, da hat der Schneider recht. In manchen Landesregionen dagegen sind mangels Nachfrage keinerlei Mieterhöhungen durchsetzbar.
METALL: Das drückt den Durchschnitt. Aber doch aus eher makabren Gründen: Bei der immer größer werdenden Arbeitslosigkeit in Gebieten wie Ostfriesland oder etwa dem Bayerischen Wald, bei der neuen Armut können die Bürger ja auch die geringste Miete kaum zahlen.
Ude: Genau das ist es, in Niederbayern oder der Lüneburger Heide ist eine Mieterhöhung nicht möglich. Da sind die Marktverhältnisse ganz anders, da gibt’s sogar Wohnungsbaugesellschaften, die sich Werbewochen ausdenken, um Mieter zu finden. In Ballungsgebieten wird dagegen bei jeder Neuvermietung freifinanzierter Wohnungen gleich 30 bis 50 Prozent mehr Miete verlangt. Da hilft dem einzelnen der Bundesdurchschnittswert gar nichts.
METALL: Wie geht das weiter?
Ude: Preisgünstigen Wohnraum in Ballungsgebieten gibt es objektiv nicht mehr. Die Schlangen vor dem Wohnungsamt werden immer länger, weil die Menschen aus Altbauten, die zu Eigentums-
wohnungen luxussaniert werden, und auch die Mieter, deren Sozialwohnungen aus der Bindung fallen, dazukommen. Allein in München fallen jährlich bis zu 10.000 Altbauten und 8.000 Sozial-
wohnungen weg. Schon deshalb wird sich die Wohnungsnot dramatisch zuspitzen. Dazu kommt aber noch, dass die gemeinnützigen Wohnungen mit Mieten von rund sechs Mark vom Gesetzge-
ber nicht mehr als gemeinnützig eingestuft und dem allgemeinen Wohnungsmarkt angepasst wer-
den. Der Gesetzgeber hat das Mietproblem an allen Ecken und Enden verschärft.
METALL: Dazu das neue Urteil zur Erleichterung bei Kündigung wegen Eigenbedarf …
Ude: … eine Katastrophe. Eigenbedarf wird jetzt schon in unheimlich vielen Fällen vorgetäuscht. Die Tochter, die sich verlobt hat und die Wohnung will, und plötzlich löst sich das Verlöbnis wieder – die leere Wohnung kann man dann zu höchsten Preisaufschlägen vermieten oder verkaufen. Bei Neuvermietungen gibt es ja außer der Wuchergrenze keine mehr. Noch schlimmer ist aber das Ur-
teil des Bundesverfassungsgerichts vom selben Tag zu einem anderen Kündigungsgrund: der „Hin-
derung der angemessenen wirtschaftlichen Verwertung“. Bisher war es kein Kündigungsgrund, wenn ein Eigentümer für seine Immobilie mehr Geld bekommt, wenn sic leer ist. Das jetzige Urteil hat diesen Grund aber akzeptiert. Damit kann man dem Mieter Angst machen, ihm sagen: Wenn du mich ärgerst, will ich verkaufen – und kann dich rauswerfen, weil ich ja mehr Geld für die leere Wohnung kriege. Das ist sozialer Sprengstoff.
METALL: Was wäre nötig, um für Mieter die Situation zu verbessern?
Ude: Wir bräuchten sofort eine Begrenzung des Mietanstiegs auf 15 Prozent in drei Jahren. Die Durchschnittsmieten in Ballungszentren stiegen seit 1983 doppelt so schnell wie Löhne und Gehäl-
ter. Als zweites brauchen wir ein Umwandlungsverbot für Mietwohnungen in Eigentum. Die we-
nigsten wissen, dass es das im Bundesbaugesetz schon gibt – aber nur für Fremdenverkehrsge-
meinden.
METALL: Was kann man tun bei Mieterhöhungen?
Ude: Erstens prüfen, ob seit der letzten wirklich ein volles Jahr abgelaufen ist. Zweitens nachprü-
fen, ob nicht mehr als 30 Prozent in drei Jahren verlangt wird. Man muss also nicht nur die heuti-
ge Miete und die neue Mieterhöhung vergleichen, sondern nachschauen, dass die Erhöhung ins-
gesamt im Vergleich zur Ausgangsmiete von vor knapp drei Jahren nicht mehr als 30 Prozent ausmacht. Damit kommen erstaunlich viele Mieter nicht klar. Viele meinen, wenn es letztes Jahr zehn Prozent waren und jetzt 30 Prozent, sei das zwar schlimm, aber zulässig. Ist es aber nicht, weil das zusammen 40 Prozent sind.
METALL: Aber an der Tatsache, dass die steigenden Mieten einen immer größeren Teil des Ein-
kommens fressen, ändert das wohl nichts …
Ude: Sicher. In Städten wie München, meine ich, passiert die Ausbeutung des Menschen heute nicht mehr in der Arbeitswelt, wo zumindest in großen Betrieben eine einigermaßen akzeptable Machtbalance erreicht wurde, sondern im Wohnungsmarkt.
Was an stinknormalen 30-Prozent-Mieterhöhungen auf Leute zukommt, ist ja finanziell durch keinen Tarifkampf in der Arbeitswelt wieder zurückzuholen. Das müssen sich die Gewerkschaften mal klarmachen. Die große Umverteilung, die soziale Deklassierung findet auf dem Wohnungs-
markt statt.
Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 5 vom 10. März 1989, 13.