Materialien 1990

Platz für Wanzen

Schärfere Gesetze für Bayerns Verfassungsschutz und Polizei

Je mehr die Angst vor den „bösen Russen“ schwindet, desto mehr verstärkt der Staat seine Sicherheitsüberwachung im Inneren. Ganz vorn bei der rigorosen Überwachung der Arbeitnehmer: der Freistaat Bayern mit zwei neuen Gesetzen zur wasserdichten Bespitzelung der Bürger.

Wer heutzutage auszieht, um das Fürchten zu lernen, der wird mit Enthüllungsstories über die Schnüffel-Praxis des Stasi bestens bedient. Vergleichsweise spröde hingegen lesen sich die beiden Gesetze, die die bayerische CSU-Regierung im Juli 1990, als letzte Amtshandlung des neu zu wählenden Landtags, noch durchpeitschte: Das „Bayerische Verfassungsschutzgesetz“ und das „Dritte Gesetz zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes“.

Freie Bahn damit für den Datenverbund zwischen Polizei und Verfassungsschutz, das Beschnüffeln von Arbeitnehmern und ihren Angehörigen zum „vorbeugenden Sabotageschutz“. Platz da für den Einsatz von Wanzen in Privatwohnungen, für die Arbeit „verdeckter Ermittler“, für Filmaufnahmen bei den Streiks und Demos, Zwangsverpflichtung zur freien Mitarbeit beim Verfassungsschutz für alle Beschäftigten bei „öffentlichen Stellen“ im weißblauen Freistaat – und die wasserdichte Abschottung der Schnüffel-Behörden gegen Auskunftsbegehren etwa Betroffener.

So sieht im Klartext aus, was im Mogel-Jargon juristischer Rosstäuscher verpackt wurde. Auf gesamtdeutschem Boden hat Bayern damit die Nase in puncto Schnüffelstaat derzeit ganz vorn.

Doch die Konkurrenz schläft nicht: Slogans wie „Sicherheit“ oder „Kampf gegen die organisierte Kriminalität“ sind offenbar immer noch gut für Große Koalitionen. Lediglich Bremen und Berlin lehnten die von Bayern und Baden-Württemberg am 11. Mai im Bundesrat eingebrachte Initiative ab, nach der die Polizei mit Lauschangriffen und verdeckten Ermittlern vorgehen kann. Und zwar bei „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ (welche das auch immer sein mögen), und keineswegs nur gegen „dringend Tatverdächtige“, sondern auch gegen „Kontaktpersonen“ oder gar gegen „potentielle Straftäter“. Wem die Polizei zutraut, dass er irgendwann mal ein Ding drehen könnte, der darf bespitzelt werden. Wahrhaftig ein dickes Ding – und alles unter dem Etikett „Sicherheit“.

Als „Versuch, den Polizeistaat in der Demokratie zu etablieren“, werten denn auch Rechtsexperten der SPD die Bundesratsvorlage. Noch sind die Eier in Bonn nicht ausgebrütet: Die von Justizminister Engelhard (FDP) gelegten Gesetzesentwürfe liegen nur so lange in der Schublade, solange die FDP-Fraktion Widerstand gegen das Sicherheitspaket ankündigt.

Als die SPD am 18. Juli im Bayerischen Landtag Verfassungsbeschwerde gegen das „Polizeiaufgabengesetz“ ankündigte, dröhnte es aus der Mehrheitsfraktion dazwischen: „Der normale Durchschnittsbürger hat keine Angst.“ Marianne Würdinger, ihres Zeichens normale CSU-Durchschnittsabgeordnete, drückte etwas platter aus, was ihr Innenminister Edmund Stoiber unter anderen Aspekten Tage zuvor ebenfalls festgestellt hatte: „Der gewaltige Umbruch in der DDR … lässt etwas die Entwicklung im Westen in den Hintergrund treten.“

Vier Instanzen

Schnüffeln am Arbeitsplatz: Seit drei Jahren läuft das Arbeitsgerichtsverfahren, mit dem der Betriebsrat von Siemens-Hofmannstraße in München gegen die Ausleuchtung der 800 Beschäftigten des Bereichs „öffentliche Telefonnetze“ (und die Regelanfrage für jeden Stellenbewerber) vorgeht. Seit Herbst 1988 liegt das Urteil erster Instanz vor, wonach Siemens mit dieser Praxis gegen das Betriebsverfassungsgesetz verstößt. Am 9. Mai 1990 teilte das Landesarbeitsgericht dem Betriebsrat mit, dass „aufgrund eines Wechsels im Kammervorsitz mit einer Terminierung frühestens Ende 1990 gerechnet werden“ könne.

Siemens-Betriebsratsmitglied Heribert Fieber: „So wird eine rechts- und verfassungswidrige Praxis zum Zustand. Die Geschäftsleitung hat bereits angekündigt, dass sie notfalls vier Instanzen anrufen will. Wenn jedesmal drei Jahre zwischen den Entscheidungen liegen, bedeutet das den Freibrief für die Arbeitgeber.“

„Sicherheitsüberprüfungen von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebens- und verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder beschäftigt werden sollen“ (auf Deutsch: vorbeugender Sabotageschutz), sind im neuen Verfassungsschutzgesetz ausdrücklich vorgesehen. Neu ist, dass die Betroffenen zuvor auf einem Revers ihr freiwilliges Einverständnis erklären müssen.

Heribert Fieber: „Wer heute im EDV-Bereich spezialisiert ist, der wird ohne diese Überprüfung kaum durchs Berufsleben kommen. Denn irgendwann stößt er sicher mal auf ein angeblich lebenswichtiges Projekt. Wie unsere Leute bei den Telefonnetzen. Das heißt: Bestimmte Berufe sind nur noch mit Zustimmung des Verfassungsschutzes auszuüben.“

Wunder Nerv

Das Wahlergebnis bei der letzten Betriebsratswahl war für Heribert Fieber eine Bestätigung: Er hatte mit dem Programm kandidiert: „Wie man im Osten sieht, sind Geheimdienste keine gute Grundlage für eine demokratische Gesellschaftsordnung. Deshalb sollte auch Siemens daran gehindert werden, Tausende von Mitarbeiter/innen vom Verfassungsschutz überprüfen zu lassen.“

Wie schnell die „Rote Karte“ vom Verfassungsschutz gezogen wird, zeigt auch der Fall des Ingenieurs Heinrich Schmidt (41), dessen Einsatz bei der Wartung von Flugmotoren für die Bundeswehr für einen Sub-Unternehmer von MTU die amtlichen Schnüffler für „bedenklich“ halten – und sich gleichzeitig weigern, die Gründe dafür zu nennen (METALL berichtete).

Als Rechtsanwalt Hartmut Wächtler vor dem Verwaltungsgericht diesen Zustand mit Stasi-Methoden verglich, traf er den wunden Nerv des Landesanwalts: „Ungeheuerlich. Schließlich arbeitet der Verfassungsschutz bei uns auf verfassungsmäßiger Grundlage.“

Was der Reporterin damals noch wie eine Realsatire vorkam, ist mittlerweile durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Prinzip geworden: Die in Berlin residierenden Juristen erklärten für Recht, dass Polizei und Verfassungsschutz einer Beschäftigten, deren Arbeitgeber offenbar mit dubiosen Behördenerkenntnissen bedient worden war, jegliche Auskunft über die sie betreffenden Daten verweigern dürfen.

Begründung: Die Sicherheitsbehörden würden auf verfassungsmäßiger Grundlage arbeiten – demgegenüber hätten die Verfassungsrechte der klagenden Bürgerin zurückzustehen.

Und so ganz nebenbei verpassten die obersten Verwaltungsrichter den „Kollegen“ aus Karlsruhe noch ein paar juristische Ohrfeigen zum Thema „informationelle Selbstbestimmung“. Während die Bundesverfassungsrichter nämlich (aus Anlass der im ersten Anlauf gescheiterten Volkszählung) das Grundgesetz zeitgemäß anwandten und dem Bürger ein Recht auf die eigenen Daten zubilligten (mit erheblichen Auswirkungen auf die Speichermöglichkeiten der Behörden), erklärten die Berliner Verwaltungs-Juristen dies kurzerhand zu Larifari:

Alle Informationen über das gesellschaftliche Verhalten und die sozialen Kontakte einzelner Bürger seien für die Gesellschaft von Bedeutung, der einzelne habe keinen „Herrschaftsanspruch“ über diese Daten, wohl hingegen der Verfassungsschutz ein Recht zu ihrer Speicherung – und auch darauf, sie dem direkt Betroffenen vorzuenthalten.

Soviel zum Thema Schutz der Grundrechte durch die Justiz. Die CSU im bayerischen Landtag hat noch ein Scheit draufgelegt – und räumt dem Verfassungsschutz auch das Ermessen darüber ein, nach Genehmigung durch das Innenministerium personenbezogene Daten „auch an andere Empfänger als öffentliche Stellen“ zu übermitteln, sofern es zum Schutz der FdGO (freiheitlich-demokratischen Grundordnung) erforderlich erscheint.

Feind von innen

Aktuelles Beispiel: Der bayerische Innenstaatssekretär Günther Beckstein plauderte öffentlich darüber, dass nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes in einer Weiterbildungseinrichtung bayerischer Arbeitgeber sich Mitglieder der Marxistischen Gruppen als Dozenten eingeschlichen hätten. Keine Frage, dass dies zum Schutz der FdGO mit Hilfe des Ministeriums unterbunden werden müsse.

Je mehr das Feindbild aus dem Osten dahinschmilzt, um so hektischer wird das Schutzbedürfnis gegen den Feind von innen – der besonders bedrohlich ist, solange man ihn nicht mal definieren kann. Wie anders ist die Total-Überprüfung ganzer Belegschaften (bis zur Putzfrau und zum Fahrer) der Rüstungsindustrie zu erklären? Ein Ritual, begründet mit Schutz vor Geheimnisverrat, das angesichts der Probleme der Branche lächerlich zu werden droht.

Zivile Aufträge

Peter Meinck, Betriebsratsvorsitzender bei der Münchner Rüstungsfirma ESG/FEG: „Wir brauchen dringend zivile Aufträge, weil die Verteidigungsetats knapp werden. Aber die jungen Leute, die sowas voranbringen könnten, wollen mit Rüstung und dem ganzen Sicherheits- und Überprüfungskram nichts zu tun haben.“

Der Betriebsrat hat der Firmenleitung als Kompromiss vorgeschlagen, die Abteilungen für zivile und militärische Aufträge räumlich so abzutrennen, dass den Sicherheitsbedürfnissen der Bundeswehr Rechnung getragen wird – und die zivil Arbeitenden trotzdem unbehelligt bleiben.

Der Vorschlag wurde abgelehnt, obwohl die einschlägige Richtlinie vorschreibt, dass der Personenkreis mit Zugang zu Verschlußsachen „so klein wie möglich“ zu halten ist.

Hannelore Messow


Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 15 vom 27. Juli 1990, 8 f.

Überraschung

Jahr: 1990
Bereich: Bürgerrechte