Materialien 1991
Skepsis in München
Siemens verlagert Chip-Produktion nach Villach in Österreich
Siemens verlagert seine Chip-Produktion aus der Münchner Balanstraße ins österreichische Villach. Dadurch werden an dem Standort im Münchner Osten 1.400 Arbeitsplätze wegfallen. Betroffen davon sind zunächst vor allem gewerbliche Arbeitnehmer, etwa die Hälfte davon Frauen, viele davon langjährig beschäftigt, mit denkbar schlechten Chancen, in der Yuppie-Stadt München einen anderen Arbeitsplatz zu finden.
Das Haus Siemens informierte die Presse (zeitgleich mit dem Betriebsrat) am 4. November in forschem Ton: „Weiterer Schritt zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation des Halbleiterbereichs“. Von den 1.400 unmittelbar betroffenen Arbeitsplätzen war erst im dritten Absatz die Rede. Und davon, dass am Standort Balanstraße der Rationalisierungsplaner McKinsey auch für die bislang verbleibenden Bereiche Umorganisation mit massivem Stellenabbau in petto hält, verschwieg das Haus Siemens vornehm. Die Betriebsräte am Standort Balanstraße, wo noch rund 4.000 Menschen beschäftigt sind, rechnet mit einer Halbierung der Belegschaft – mittelfristig, also im Lauf der nächsten drei Jahre.
Die Standortleitung hat zwar zugesagt, sich für die frei werdenden Gewerbeflächen um Ansiedlung anderer Produktionsfirmen zu bemühen (denkbar wäre etwa die ebenfalls unter Reinraum-Bedingungen stattfindende Masken-Fertigung), doch diese Ankündigungen stoßen auf Skepsis: Der Standort lässt sich als Spekulationsobjekt für Büroflächen weitaus günstiger „verwerten“. Und der erste Bürokomplex auf dem Areal, auf dem es angeblich an Platz für Produktionsneubauten fehlt, wird gerade errichtet.
„Man hat uns bisher schon über die Zukunft des Standorts nach Strich und Faden belogen“, so Adolf Bickel, Betriebsratsvorsitzender an der Balanstraße und Metaller. Erst im Mai war dem Betriebsrat die Zustimmung zu einer Fertigungsschicht mit Samstagsarbeit abgenötigt worden. Mit dem ausdrücklichen Hinweis, diese Arbeitszeit diene „der längerfristigen Absicherung des Bestandes der Arbeitsplätze und Fertigungen am Standort.“
Tatsache ist: Siemens hat dadurch Kapazitätspuffer gewonnen, um die Verlagerung besser durchziehen zu können.
Hannelore Messow
Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 23 vom 15. November 1991, 16.