Materialien 1991
„Geh ma naus, ha?“
Als in den misslichen Kriegstagen von 1866 der bayerische Außenminister Freiherr von der Pfordten seinen König Ludwig II. aufstöbern wollte, musste er sich gewaltsam Einlass in das Schloss Berg am Starnberger See verschaffen. Dorthin war der Monarch verduftet. Der Minister fand seinen Herrn im verdunkelten Saal bei künstlichem Mondlicht mit dem Prinzen Taxis als Barbarossa und Lohengrin verkleidet vor. Derweil wurden gerade im Unterfränkischen bei Kis-
singen Bayerns Soldaten von den Preußen verhauen.
Wenn eine norddeutsche Zunge diese Geschichte einem bayrischen Stammtisch erzählt, dann kann es sein, dass ein Bayer sich zur vollen Größe erhebt und folgenden Satz ausstößt: „Geh ma naus, ha?“ Dies ist die allseits verständliche Aufforderung, einen Meinungsunterschied vor der Tür hand-
greiflich zu regeln.
Lauwarmes Wasser
So ist zu verstehen, dass der Trainer des FC Bayern München, der Rheinländer Jupp Heynckes, einen herben Autoritätsverlust hat hinnehmen müssen, ohne das wohl gleich mitzukriegen. Es hat nämlich der Spieler Stefan Effenberg, bekannt durch ein loses Maul, vor versammelter Mannschaft seinem Trainer dieses Angebot gemacht: „Wenn Sie was gegen mich haben, Trainer, dann können wir ja zusammen rausgehen.“
Der Jupp, von dem es ganz allgemein heißt, er sei für die Erfindung des lauwarmen Wassers nicht verantwortlich, hat in diesen schweren Tagen des FC Bayern München so manches nicht gleich richtig geschnallt. Die Lähmung der grauen Zellen hat aber nicht nur ihn befallen. Das Virus muss in der Chefetage des Klubhauses gewütet und den Präsidenten Scherer ebenso befallen haben wie den Manager Hoeneß. Nach Art des bayerischen Märchenkönigs halten sie sich nach der Schmach, nur Zweiter geworden zu sein, bedeckt.
Die erworbene Immunschwäche der Bayern-Gewaltigen ist aber nicht erst ausgebrochen, als sie am letzten Spieltag eine so schmähliche Schlussvorstellung gegen Absteiger Uerdingen darboten. Das Virus verursachte fiebrige Zustände schon vor der jetzigen Endzeitstimmung.
Blanke Torschlusspanik führte die Bayern-Prokuristen mit ihren Scheckbüchern zu einer Blitz-Nacht-und-Nebel-Reise ins ferne Brasilien, wo sie in geschäftsunüblicher Hast einen Millionendeal abwickelten: den schlechten Nachrichten von der Heimatfront sollten Jubelmeldungen von der Copacabana entgegengehalten werden.
Tatsächlich schwebte schon bald nach den Einkäufern eine schwarze Perle aus Brasilien in Mün-
chen ein. Um einen Prüfstand einer Münchner Klinik versammelten sich nicht weniger als drei Ärzte zur Fleischbeschau und schrieben Bernardo (26) kriegsverwendungsfähig. In diesem Augen-
blick war der schwarze Mann der fünfte Ausländer beim FC Bayern, von denen jeweils nur zwei eingesetzt werden dürfen. Ein weiterer soll noch folgen. Günstige Voraussetzungen für das Be-
triebsklima.
Berühmte Kurven
Somit sind alle Weichen für einen Münchner Fußball-Komödienstadel gestellt, der einer (un)heim-
lichen Hauptstadt großes Publikum einbringen wird. Da die berühmten Fan-Kurven das Lied „Heynckes raus“ schon geübt haben, kann mit weiteren Strophen gerechnet werden, von denen eine vielleicht „Hoeneß“ zum Inhalt hat. Und die alte Erfahrung sagt: Die Stehkurven schaffen jeden, sie brüllen jeden hinweg. Der Massenchor von München grummelt und grollt schon. Wenn er erst dröhnt, ist in München mal wieder Götterdämmerung.
Horst Vetten
Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 13 vom 28. Juni 1991, 23.