Flusslandschaft 1991

Wiedergutmachung/Entschädigung

„Zwangsarbeiterin nicht entschädigt – Der Elektrokonzern Siemens muss seine ehemaligen Zwangsarbeiter nicht entschädigen. Mit diesem Spruch schmetterte das Oberlandesgericht München in der ersten Juliwoche die Berufung der 71-jährigen Waltraud Blass gegen ein Urteil des Münchner Landgerichts vom Juli 1990 ab (siehe auch METALL Nr. l5/90). Waltraud Blass, wegen angeblicher Vorbereitung zum Hochverrat im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück eingekerkert, musste vom Dezember 1943 bis September 1944 in einer Fertigungshalle, die der Rüstungsbetrieb Siemens & Halske in der Nähe des Lagers errichtet hatte, Kupferspulen wickeln. Nach Kriegsende bekam sie zwar die übliche Entschädigung für die erlittene KZ-Haft (fünf Mark pro Tag), aber keinen Pfennig Lohn für die geleistete Sklavenarbeit. Im vergangenen Jahr verklagte sie Siemens auf die Zahlung von rund 24.000 Mark zuzüglich 10.000 Mark für entgangene Rentenansprüche und als Schmerzensgeld. Der 20. Senat des Oberlandesgerichts berief sich nun auf das Urteil der Vorinstanz: alles verjährt. Für die ,Aktion Sühnezeichen’, die Frau Blass in ihrer Klage unterstützte, ist der Richterspruch eine ,Blamage der deutschen Justiz’. Nach Ansicht eines Siemens-Sprechers sei das Unternehmen ,einfach nicht der richtige Ansprechpartner’. Der säße in Bonn. Denn die Frage der Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter bedürfe einer politischen Entscheidung. Der Bundestag forderte zwar die Bundesregierung im Oktober 1990 auf, mit deutschen Unternehmen Gespräche über die Einrichtung eines Fonds zu führen, aus dem solche Ansprüche abgegolten werden können. Die Kohl-Regierung blockte aber bis heute ab. Mit dem Verweis auf fehlende politische Entscheidungen drückt sich der Siemens-Konzern vor seiner Verantwortung. Das Unternehmen braucht jetzt nur zu warten, bis das Problem ‚biologisch’ gelöst ist – die ehemaligen Opfer gestorben sind und keine Entschädigung mehr fordern können.“


1 Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 14 vom 12. Juli 1991, 6 f.