Materialien 1993
Rotstift ist keine Politik
Rüstungsbetriebsräte fordern Hilfe zur Umstellung auf zivile Produkte
Die Bonner Chaos-Politik wird zum Risikofaktor nun auch für Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie. Statt gezielt die Umwandlung militärischer in zivile Produktion zu fördern, wie es die IG Metall und der Großteil der Betriebsräte dieser Branche seit Jahren fordern, setzt die Bundesregierung nun ohne Rücksicht auf (Arbeitsplatz-)Verluste hektisch den Rotstift an.
Noch heuer sollen 860 Millionen Mark im Verteidigungshaushalt zusätzlich eingespart werden. Für sämtliche Rüstungsvorhaben wurde überraschend ein Auftragsstopp verhängt, von dem Beschäftigte in bayerischen Metallbetrieben (wo rund 50 Prozent aller Inlandsaufträge produziert werden) besonders betroffen sind.
Mindestens 500 Millionen dieser einzusparenden Rüstungsgelder, so hat die IG Metall-Bezirksleitung München jetzt verlangt, müssen in ein Förderprogramm zur Produktionsumstellung fließen, um einen Kahlschlag der Arbeitsplätze und hochwertiger Industrie-Qualifikation zu verhindern.
Beispiel: Die heute zum Mannesmann-Konzern gehörende ehemalige Rüstungsschmiede Krauss-Maffei in München. Das Unternehmen hat seit 1985 für die Branche vorbildliche Anstrengungen unternommen, um seine „zivilen“ Standbeine zu stärken. Von den rund 5.500 Beschäftigten sind heute nur noch rund 800 im Bereich Wehrtechnik, 1985 waren es noch 2.000.
„Eine solide Unternehmensplanung, wie wir sie für die Sicherung der Arbeitsplätze brauchen, ist bei dieser hektischen Rotstiftpolitik kaum mehr möglich“, so Peter Krahl, Betriebsratsvorsitzender und Metaller. Die in Bonn beschlossene Streichung der Panzerprojekte Marder II und der Weiterentwicklung des Leopard II sind nicht abzufangen, solange die zivilen Projekte (Umwelt-Technik und Spezialfahrzeuge) ohne öffentliche Unterstützung bleiben.
Ähnlich ist die Situation beim Triebwerke-Hersteller MTU in München, wo der Produktionsanteil der Wehrtechnik in den letzten fünf Jahren von 50 auf 30 Prozent gesenkt werden konnte. Die Investitionen aus Eigenmitteln wurden im gleichen Zeitraum erheblich gesteigert. „Aber die Planungsunsicherheit“, so Betriebsrat Herbert Schmid, „bringt uns ans Ende der Fahnenstange.“
Die Einsparungen im Wehretat treffen vor allem die „harte Produktion“. Während die Bundeswehr 1986 noch 12,2 Milliarden Mark für die Beschaffung von Rüstungsmaterial ausgab, sollen es 1995 nur noch 5,5 Milliarden sein. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung hingegen sollen sich von derzeit 2,8 auf künftig 2,5 Milliarden Mark einpendeln. Das erfuhr die Betriebsräte-Delegation aus Münchner Rüstungsbetrieben am 8. Februar bei ihrem Besuch im Bonner Verteidigungsministerium.
Auf die Fragen der Belegschaftsvertreter, welche Maßnahmen zur Unterstützung des Konversionsprozesses denn geplant seien, musste Staatssekretär Schönbohm die Antwort schuldig bleiben: „Das ist nicht Sache des Verteidigungsministeriums. Das müsste im Kabinett koordiniert werden.“ Doch für eine Industriepolitik, die Arbeitsplätze und Know-How langfristig für zivile Anwendungen sichert, scheint sich im Kabinett Kohl niemand zuständig zu fühlen. Auch der CSU-Vorsitzende Waigel, Finanzminister, scheint den Rotstift für das einzige Instrument eines Politikers zu halten.
H. Messow
Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 4 vom 19. Februar 1993, 20 (07).