Materialien 1993

Erfolg mit dem richtigen Partner

Digital: Erster Computer-Streik hat sich für die Beschäftigten und die ganze DV-Branche gelohnt

Der Arbeitskampf bei Digital hat sich gelohnt. Nach zwei Wochen Streik, mit dem der Druck konti-
nuierlich verstärkt werden konnte und nach 65 Stunden am Verhandlungstisch, konnte die IG Me-
tall in der Nacht zum 26. Juni einen Konzern-Tarifvertrag abschließen, der die Ansprüche der rund 6.000 Beschäftigten des im Umbau befindlichen Computer-Unternehmens einheitlich sichert. Das Tarifergebnis wurde von den Metallerinnen und Metallern bei Digital am 30. Juni per Urabstim-
mung gebilligt: 81 Prozent der Stimmberechtigten sprachen sich für Annahme aus.

Mit dem erfolgreichen Tarifkampf haben sowohl die meist hochqualifizierten Beschäftigten des Computer-Unternehmens als auch die IG Metall ein Stück Neuland betreten. In einer von Krisen geschüttelten Branche, in einem reinen Angestelltenbetrieb, dessen Beschäftigte zu mehr als der Hälfte im Außendienst sind, und mit einem gewerkschaftlichen Organisationsgrad von „nur“ 50 Prozent konnte genug Kraft entwickelt werden, um die von der Firmenleitung aufgestellten Tabus zu durchbrechen.

„Wie der Papst zur Pille, so hat sich unsere Geschäftsleitung zur IG Metall verhalten“, beschrieb Wolfgang Müller, Metaller und Betriebsratsvorsitzender von Digital in München, auf der Betriebs-
versammlung am 29. Juni die Ausgangssituation des Konflikts. Ganz umgekehrt hingegen die Ein-
sicht der Belegschaft: Die Gewerkschaft ist ein Zweckbündnis, ohne das sich erworbene Standards der Arbeitsbedingungen und Mitspracherechte nicht sichern lassen.

Großer Zulauf

Genau darum aber musste es gehen, nachdem immer offensichtlicher wurde, dass das Unterneh-
men durch Ausgliederung von Betriebsteilen und zuletzt durch Holding-Bildung eine neue Unter-
nehmensstruktur bastelte, in der die vorhandenen Betriebsvereinbarungen und Beschäftigten-Ansprüche durchs Raster gefallen wären.

Nur ein Tarifvertrag, so die frühe Erkenntnis der Digital-Betriebsräte, kann einheitliche Arbeitsbe-
dingungen und Vertretungsansprüche sichern. Der Zulauf zum „Zweckbündnis“ IG Metall wuchs mit der Weigerung der Geschäftsleitung, sich auf Tarifverhandlungen einzulassen. Und die ge-
werkschaftsfeindlichen Kindereien des Managements sorgten auch noch während der Verhand-
lungen für genügend Zündstoff, um den Streikelan zu beflügeln.

Guter Wille

Am 14. Juni hatte der Streik begonnen, zunächst in den beiden Niederlassungen in Berlin. In den Tagen darauf waren Zug um Zug die übrigen Niederlassungen in Nord- und Westdeutschland einbezogen worden – und zum Ende der ersten Streikwoche hatten sich die besonders bei den Digital-Großkunden empfindlichen Streikwirkungen bis in den Elfenbeinturm der in München ansässigen Geschäftsleitung herumgesprochen. Sie gab Rauchzeichen – und am 22. Juni begannen die Verhandlungen mit der IG Metall.

Doch obwohl in einer ersten gemeinsamen Erklärung die Verhandlungspartner guten Willen zur Einigung formulierten, behauptete Geschäftsführer Hans Q. Dirkmann in einem Rundschreiben an alle, die Verhandlungen mit der IG Metall seien „keine Tarifgespräche“. Und am 24. Juni ließ er eine Erklärung verteilen, wonach Digital angeblich mit der DAG um Abschluss eines Tarifvertrags bemüht sei.

Daraufhin legten die Digitaler ein Scheit zu: Am Freitag, dem 25. Juni, traten auch die Metallerin-
nen und Metaller der Standorte München, Nürnberg, Mannheim und Dresden in Streik.

Flexible Taktik

Hans W. Dirkmann musste seine „Ente“ vom Vortag selbst dementieren, die Kraftspritze der flexi-
blen Streiktaktik wirkte sich am Verhandlungstisch aus – nach 65 Stunden Marathon konnte die Tarifvereinbarung, die nun für alle Beschäftigten der Holding gilt, unterschrieben werden. „Die Geschäftsführung der Digital Equipment Beteiligungen freut sich, Ihnen mitteilen zu können, dass die konstruktiven Verhandlungen mit der IG Metall zu einem äußerst erfolgreichen Abschluss ge-
bracht werden konnten“, teilte Dirkmann der Belegschaft persönlich mit. „Damit ist es uns gelun-
gen, die seit langem angestrebte, klare Struktur der Arbeitsbedingungen in dem bewährten Rah-
men der Tarifpartnerschaft zu erreichen.“

Klares Signal

Schöner kann man seine Niederlage nicht als Sieg umdeuten. Tatsache ist: Die Tarifverträge für die südbadische Metallindustrie (Klaus Zwickel: „Bekanntlich ja nicht gerade die schlechtesten“) gel-
ten künftig für alle Digitaler. Außerdem wurde ein Bündel „beschäftigungssichernder Maßnahmen“ mit konzernweiter Stellenausschreibung, interner Stellenbesetzung, Freistellungsmöglichkeiten für Weiterbildung, Erziehungsurlaub, Ausbau der Teilzeit als Wahlmöglichkeit für die Beschäftigten – und Nutzung der Kurzarbeit für Qualifizierung vereinbart.

Über den gesetzlichen Rahmen hinaus wurden Strukturen einer einheitlichen Arbeitnehmervertre-
tung gesichert, die einerseits auch auf Konzernebene einen Wirtschaftsausschuss installieren, an-
dererseits zwischen den Konzernbetrieben Betriebsrats-Arbeitsgemeinschaften an den Standorten ermöglichen, egal wie Digital die Unternehmen aufteilt.

Der amtierende Vorsitzende der IG Metall, Klaus Zwickel, nach Abschluss der Verhandlungen: „Mit dem Streik ist in die Computerbranche ein Stück Normalität eingezogen. Die IG Metall hat gezeigt, dass sie der richtige Partner für die Beschäftigten auch in der Computerindustrie ist. Die Beschäftigten haben bewiesen, dass sie für ihre Rechte kämpfen, für einen Tarifvertrag auch erfolg-
reich streiken können. Dies ist ein unmissverständliches Signal für die anderen Unternehmen der Branche."

Hannelore Messow


Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 14 vom 9. Juli 1993, 15.