Materialien 1993

Phantasie rettet Arbeit

Betriebsrat von Rohde & Schwarz setzt eigene Beschäftigungsideen durch

Auftragsrückgang – Arbeitsplätze weg! So simpel ist die Formel, mit der auch bei Rohde & Schwarz (R&S) in München die Geschäftsleitung ihr Handwerk betreibt: Bis Jahresende sollten ganze Bereiche aufgelöst, 410 der noch 2.400 Beschäftigten an die Luft gesetzt werden. Betriebsrat und Belegschaft jedoch haben der simplen Formel einen „Aufruf zur Phantasie“ entgegengesetzt. Mit Erfolg.

Unabhängig von dem noch auszuhandelnden Sozialplan hat R&S jetzt 750.000 Mark locker gemacht für berufliche Weiterbildung der bedrohten Beschäftigten. Außerdem konnte der Betriebsrat, gestützt auf detaillierte Informationen aus den Abteilungen, nachweisen, dass die Abbaupläne von oben weit überzogen waren. Mittlerweile sind „nur“ noch 368 Arbeitsplätze im Feuer.

Während die Herren auf dem innerbetrieblichen Feldherrnhügel des Elektronikunternehmens ihre Sparpläne über die Tageszeitungen bekannt gaben, sorgten Betriebsrat und Vertrauensleute der IG Metall für Information der Belegschaft: In Vorbereitung der ersten Verhandlung über den Personalabbau verteilte die Belegschaftsvertretung Mitte März einen Fragebogen, der zum Mitdenken aufforderte. Das Echo war enorm.

Viele Ideen

Nach einem Tag waren 180 Antworten da, zum großen Teil von ganzen Abteilungen gemeinsam verfasst. Auch Führungskräfte, die ihre Aufgabe nicht nur im Weitergeben von Befehlen sehen, beteiligten sich. So konnte letztlich beispielsweise ein Teil der Werkstätten, deren Fortbestand die Entwicklungsabteilung mit handfesten Argumenten für unerlässlich hält, vorm Plattmachen gerettet werden. Und damit vorerst 60 der 125 Arbeitsplätze.

„Kreativität, neue Produkte und Qualifizierung statt Vernichtung von Arbeitsplätzen“ prangte als Motto der nächsten Betriebsversammlung auf dem IG Metall-Transparent. Und 410 blaue Luftballons mit „blauen“ Briefen schwebten über den vorderen Versammlungsreihen, wo die Geschäftsführung ihre Stammplätze hat. Unter so ideenreichem Druck griff das Management einen Vorschlag der IG Metall-Vertrauensleute auf und erklärte sich bereit, „Kreativitätsteams“ einzurichten.

Die vom Betriebsrat geforderte Vereinbarung dazu wurde allerdings strikt abgelehnt. Begründung: „Die alleinige unternehmerische Entscheidung darf nicht durch den Betriebsrat eingeschränkt werden.“

Gleichfalls abgelehnt wurde zunächst die Forderung nach einer Vereinbarung über spezielle Weiterbildungsmaßnahmen aus Anlass der Betriebsänderung. Der Betriebsrat schaltete den Präsidenten des Landesarbeitsamts als Vermittlungsinstanz ein – und zur Überraschung der Geschäftsleitung fanden sich gut 100 Beschäftigte von Rohde & Schwarz vor dem Landesarbeitsamt ein. Stefanie Jahn, Betriebsratvorsitzende: „Die Kollegen haben uns damit den Rücken gestärkt, plötzlich war ganz sichtbar, dass sie sich für ihre Interessen auch selbst engagieren.“

Sichtbar auch für die Unternehmensleitung, die sich nun bereit fand, eine dreiviertel Million für Bildungsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen. Über die Verwendung entscheidet der Betriebsrat – der seinerseits externe Berufs- und Bildungsberater eingeschaltet hat. Die entsprechende Vereinbarung sieht ausdrücklich vor, dass eine eventuell erforderliche Aufstockung der Mittel am Jahresende neu auszuhandeln ist.

Große Ziele

Qualifizierung für die Zukunft – die Beschäftigten von Rohde & Schwarz tragen ihren Teil dazu bei. Beispiel: Die Metallerin Frieda S. (45). Sie wurde vor 15 Jahren in der Produktion angelernt, hatte sich dann als Facharbeiterin qualifiziert, und wechselte vor wenigen Wochen wegen Verlagerung der Produktion ins R&S-Werk Teisnach als Bürohelferin in die Verwaltung.

„Die ersten sechs Wochen waren hart. Jetzt schaffe ich es jeden Tag besser. Und ich will einen Englischkurs und einen Computerkurs machen, um als Kontoristin arbeiten zu können.“

Jetzt wäre allmählich auch die Geschäftsleitung mal dran mit der Weiterbildung: Die Belegschaft jedenfalls hat begriffen, dass mit alten Formeln wenig neue Kraft für wirtschaftliche Zukunft zu gewinnen ist.

Hannelore Messow


Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 14 vom 9. Juli 1993, 20 (07).