Flusslandschaft 1947

Ressentiments

Karl Amadeus Hartmann schreibt am 28. Januar: „Leider muss man feststellen, dass der Nazigeist bei uns noch überall blüht. Die Naziideologie hat sich in das deutsche Volk sehr tief hineingefres-
sen. Leider ist der Hitlerismus ein Produkt des deutschen Volkes und nicht, wie man angenommen hat, einer kleinen verbrecherischen Clique. Beim Eisenbahnfahren, beim Anstehen um etwelche Dinge, im Theater, im Konzert, im Kino, sogar in Ämtern, überall hört man Naziphraseologien. Ge-
schimpft wird auf die Ausländer, die Juden, die Besatzungsmächte. Der Antisemitismus hat sich in der Temperatur bis heute gut gehalten. Das Los der Antifaschisten ist ein schweres, und glückli-
cherweise haben wir eine Besatzung, sonst ginge es diesen allen an den Kragen.“1

»Die Föhre und das spanische Rohr – „Bayern war schon ein geordneter Staat mit geschriebenen Gesetzen in einer Zeit, wo dort, wo später Berlin gebaut wurde, die Wildsau ihren Hintern an den Föhren gerieben hat.“ Diese historisch bedeutsame Erinnerung verdanken wir Herrn Kultusminis-
ter Dr. Dr. Hundhammer. Ihm verdanken wir es auch, daß sich heute in Bayern zwar nicht die Wildsäue, wohl aber die Kinder ihre Hintern reiben.«2

Über Erich Kästner, der in der Neuen Zeitung mit spitzer Feder schreibt, ergießen sich Protestbrie-
fe, in denen sich der „gesunde Volkszorn“ austobt. Kästner reagiert auf seine Art: „Ich mag nicht länger drüber schweigen, / weil ihr es immer noch nicht wisst: / Es hat keinen Sinn, mir die Zähne zu zeigen, – / ich bin gar kein Dentist!“3

(zuletzt geändert am 6.3.2025)


1 www.freiklick.at/index2.php?option=com_content&do_pdf=1&id=898. Der am 2. August 1905 geborene Komponist Karl Amadeus Hartmann wurde am 27. und 28. April 1945 Zeuge eines Zugs Tausender Inhaftierter, die von der SS aus dem La-
ger Dachau auf einen Todesmarsch getrieben wurden. Nach der Befreiung vom NS-Regime wird Hartmann zum Dramatur-
gen des bayrischen Staatstheater berufen. Seine Begründung der „Musica-Viva-Konzerte“ hat zahlreiche ähnliche Veranstal-
tungen im In- und Ausland zur Folge. Siehe auch „Allzu schönen Masken ins Stammbuch“.

2 Die Nation. Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur, München, 5 vom August 1947, 10.

3 Erich Kästner, Wir sind so frei. Chanson, Kabarett, Kleine Prosa. Werke in neun Bänden, Bd. II. Hg. von Hermann Kurzke in Zusammenarbeit mit Lena Kurzke. München/Wien 1998, 127.

Überraschung

Jahr: 1947
Bereich: Ressentiments

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