Materialien 1993
Team der eisernen Besen
Bosch zerschlägt Merk-Telefonbau in München
„Teamorientierte Produktion“ (TOP) lautet der klangvolle Titel, unter dem im Bosch-Konzern die Gruppenarbeit eingeführt werden soll. Doch die human klingende Verpackung, so erfährt derzeit die Belegschaft der Münchener Bosch-Enkelin Merk-Telefonbau GmbH (zu 100 Prozent im Besitz der Bosch-Tochter Telenorma), ist nichts anderes als ein gnadenloses Instrument, ältere Beschäftigte rauszudrücken.
Seit Telenorma bei Merk allein das Sagen hat, sind von den Anfang 1992 noch 1.045 Arbeitsplätzen bereits 330 „abgebaut“ worden. Bis Mitte 1994 sollen bloß rund 500 übrigbleiben. Ein Großteil der Produktion soll fremdvergeben, das Betriebsgelände im Arbeiter-Viertel München-Giesing verscherbelt und der Standort irgendwo anders hin im Großraum München verlagert werden. Im Gespräch ist auch das DASA-Gelände in Ottobrunn. Pech für die paar hundert Frauen aus dem Viertel, die meist seit vielen Jahren für Merk werkeln – zum Billigtarif der Lohngruppe 2.
Die in Sachen Produktentwicklung nur mäßig erfolgreiche Geschäftsführung von Merk stellt gegenüber der Bosch-Zentrale ihre Fähigkeiten derzeit unter Beweis, indem sie ältere Beschäftigte möglichst geräuschlos in die Arbeitslosigkeit schiebt. Als eiserner Besen wird die neue Arbeitsorganisation mit dem Titel TOP benutzt.
Beispiel: Die Kabelfertigung umfasst derzeit noch neun Beschäftigte, davon sollen höchstens vier übrigbleiben. Dem derzeitigen „Teamleiter“ Josef E. (51), Angestellter in der Gehaltsgruppe 6, wurde bereits im Frühjahr eröffnet: „Ihr Stuhl ist zu teuer.“ Wenn er nicht „freiwillig“ einen Auflösungsvertrag unterschreibe, müsse er mit Abgruppierung rechnen.
Peinliche Fragen
Seine Tätigkeiten (Einstellarbeiten, Lohnabrechnung, Qualitätskontrolle, Terminverfolgung, Anlernen neuer Mitarbeiter) sollen in Zukunft von den Frauen des „Teams“ übernommen werden. Für billiges Geld, versteht sich. Und nur von denen, die nach dem Willen des Managements übrigbleiben. Drei Kolleginnen (53, 45 und 44 Jahre alt) müssen sich in regelmäßigen Abständen fragen lassen, wann sie endlich ihren Auflösungsvertrag unterschreiben würden: Für die neue Arbeitsorganisation seien sie nicht brauchbar, weil „nicht teamfähig“.
Monika Lehsten, Betriebsrätin und Metallerin bei Merk: „Wir haben verlangt, dass die Kolleginnen weitergebildet werden, wenn man ihre Qualifikation nicht für ausreichend hält. Die Antwort der Geschäftsleitung: ‚Das wäre rausgeschmissenes Geld.’“ Auch die Vorschläge des Betriebsrats zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung wurden zurückgewiesen. Wenn auf Konzernebene eine solche Vereinbarung getroffen werde, könne man die ja übernehmen.
Doch auch in der Bosch-Zentrale ist die Bereitschaft des Vorstands, „Teamorientierte Produktion“ im Geist des partnerschaftlichen Etiketts zu regeln, bisher nicht erkennbar.
Aktion gestartet
Die Metallerinnen und Metaller von Merk-Telefonbau haben inzwischen eine „Aktion Gegenwehr" gestartet, für die sie auch bei den Bewohnern des Stadtviertels Unterstützung finden: Die Bürgerversammlung von München-Giesing hat sich die Forderung, der Betrieb dürfe nicht verlagert werden, zu eigen gemacht. Für die öffentliche Protestveranstaltung am 7. Oktober stellte die benachbarte Pfarrei ihr Grundstück zur Verfügung.
H. Messow
Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 22 vom 29. Oktober 1993, 20 (07).