Materialien 1968

Das Münchner Jugendinformationszentrum

Vor allem Nachtclubbesitzer wussten die günstige Lage zu schätzen. Sie interessieren sich hartnäk-
kig für das Erdgeschoss eines großen Wohnhauses in der Nähe des Münchner Hauptbahnhofes. Doch noch so ansehnliche finanzielle Angebote konnten die Hausbesitzerin nicht umstimmen. Die Frau, eine ältere Dame, vermietete die Räume lieber für weniger Geld an das Stadtjugendamt. Nicht zuletzt ihrer Aufgeschlossenheit ist es zu danken, dass ein in der Bundesrepublik einmaliges Experiment gestartet werden konnte.

In München entstand nämlich das erste Jugendinformationszentrum. Weitere Geburtshelfer und finanzielle Lebensspender sind: Das Stadtjugendamt, das Jugendkulturwerk und der Stadtjugend-
ring. Das Zentrum wird von Karl Baumann geleitet; bis zum Sparbeschluss war er Jugendsekretär des DGB in München. Baumann wird von einer hauptamtlichen Mitarbeiterin unterstützt.

Die Aufgaben, denen sie sich zu widmen haben, sind umfangreich. Es gibt jedoch keinen festen Ka-
talog, keinen behördlichen Leitfaden, in dem diese Aufgaben exakt verzeichnet wären. In erster Li-
nie versucht das Jugendinforationszentrum, wie der Name schon besagt, die Fragen junger Leute zu beantworten und die Jugendlichen auf das vielfältige Programm und Angebot der einzelnen Verbände hinzuweisen. Die Fragen, die an Baumann herangetragen werden, beginnen mit recht banalen Wünschen (etwa nach Anschriften bekannter Größen des Schaugeschäfts) und reichen bis zu schwerwiegenden pädagogischen Problemen. So kommen beispielsweise Eltern ins Informati-
onszentrum, die mit ihren Kindern Ärger haben, den Weg ins Jugendamt aber scheuen. Sie wollen zunächst einmal unverbindlich Rat holen. Hier können sie nämlich die Meinung der Behörde er-
fahren, ohne gleich mit deren Maßnahmen rechnen zu müssen. Erst wenn die Eltern ausdrücklich wünschen, vermittelt Baumann offizielle Gespräche mit dem Stadtjugendamt. Aber auch junge Menschen, die Ärger mit ihren Eltern haben, melden sich im Zentrum. Weitere Fragen gelten den Ausbildungsmöglichkeiten und den Anforderungen und Chancen bestimmter Berufe.

Die günstige Lage in der Nähe des Hauptbahnhofs macht das Zentrum übrigens auch zu einem etwas gepflegteren Wartesaal für Schüler, die hier die Zeit bis zur Abfahrt der Züge mit Schularbei-
ten überbrücken können. In den Mittagspausen kommen Lehrlinge und Jungarbeiter ins Zentrum. Je Tag begrüßt Karl Baumann durchschnittlich etwa 60 Besucher.

Im Informationszentrum beschränkt man sich aber nicht nur darauf, Fragen zu beantworten; man will auch von sich aus auf das Angebot. auf die Aktivität der Jugendverbände hinweisen. Das be-
ginnt damit, dass alle verfügbaren Jugendzeitschriften ausgelegt werden. Ferner werden zahlreiche Prospekte der einzelnen Verbände bereitgehalten. Vor den Urlaubsmonaten wies Baumann z.B. auf das recht umfangreiche und teils auch sehr preiswerte Angebot der kommunalen Jugendreisege-
sellschaften hin. Für auswärtige Gruppen und Einzelreisende vermittelt er gegebenenfalls Zimmer und stellt ein Besucherprogramm zusammen.

Keineswegs will das Zentrum den einzelnen Verbänden Konkurrenz machen. Nicht zuletzt deshalb schließt es bereits gegen 19.30 Uhr seine Pforten. Das Zentrum will praktisch den Jugendlichen – in gewisser Weise aus neutraler Warte – sagen, was alles für sie geboten wird. Im Hintergrund stehen dabei Überlegungen, wonach Jugendliche sich gern unverbindlich erkundigen wollen, bevor sie die feste Bindung an eine Gruppe eingehen. Im Zentrum herrscht deshalb ein ungezwungener Ton, Man kann es besuchen, wie man ein großes Warenhaus aufsucht; man kann sich umsehen, ohne gleich in Beschlag genommen zu werden. Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle noch erwähnt, dass im „Zentrum“ auch verbilligte Karten für Theaterveranstaltungen verkauft werden.

Wie eingangs bereits berichtet, gibt es keinen exakten Aufgabenkatalog. Vieles bleibt deshalb der Initiative von Karl Baumann überlassen. Er versucht u.a., das Zentrum zu einer Stätte der Begeg-
nung zwischen Jugendlichen und der Öffentlichkeit auszubauen. Nach den Demonstrationen in diesem Frühjahr diskutierte beispielsweise Münchens Polizeipräsident mit jungen Leuten. Diese Diskussion war sehr offen und ehrlich, und deshalb auch erfolgreich.

Natürlich gibt es auch Fehlschläge und Schwierigkeiten. Dem Betrachter fällt z.B. auf, dass die Jugendverbände nur mit halbem Herzen das Zentrum unterstürzen. Sie sehen es doch noch zu sehr als Konkurrenzeinrichtung. Ferner scheint es so, als ob die Verantwortlichen im Stadtju-
gendamt zuviel hineinreden wollen. Von den Schulen scheint ebenfalls nur halbherzige Unter-
stützung zu kommen. Das Informationszentrum kann aber nur dann erfolgreich arbeiten, wenn es dynamisch und offen bleibt. Kleine Pannen müssen dann eben in Kauf genommen werden.

Erfreulich und anfangs auch beträchtlich war die Unterstützung, die das Jugendinformations-
zentrum durch die lokale Presse und den Rundfunk erfahren hat. Doch langsam schwindet natür-
lich der Reiz der Aktualität und die Berichte werden seltener. Eine Einrichtung, die praktisch auf „Laufkundschaft“ angewiesen ist, braucht aber eine ständige Unterstützung, zumindest solange bis sie einigermaßen bekannt ist.

Zusammenfassend lässt sich also sagen: Die ersten Monate waren alles in allem erfolgreich. Es kommt jetzt darauf an, wie sich das Jugendinformationszentrum weiterentwickelt. Entscheidend dabei ist, ob man ihm den Spielraum zubilligt, den es benötigt. Andererseits muss aber auch das Jugendinformationszentrum beweglich bleiben. Es muss vertrauenswürdig und für alle Jugend-
lichen akzeptabel sein. So gesehen vermag es wahrscheinlich der verbandlichen Jugendarbeit eine gute und, wie ich meine, notwendige Schützenhilfe zu geben.

Auf jeden Fall wären andere Großstädte nicht schlecht beraten, wenn sie ähnliche Einrichtungen planen und aufbauen würden. Die Kosten – nach Schätzungen etwa 100.000 Mark im Jahr – dürften nicht zu hoch sein. Dieser Betrag wird wahrlich oftmals für unsinnigere Dinge verwendet! Vor allem Politiker, die noch kürzlich zum „Dialog“ mit der Jugend aufgefordert haben, sollten bedenken: Reden sind gut, Taten besser.

Karl Jörg Wohlhüter


Gewerkschaftliche Monatshefte 12 vom Dezember 1968, 756 f.

Überraschung

Jahr: 1968
Bereich: Jugend