Materialien 2011

Kaufkunst, Kunstkomplizen, Gegenmacht

Eine Entgegnung auf den Journalisten Hanno Rauterberg und den Sammler Harald Falckenberg

Über Kunst räsonieren darf jeder: in Feuilletons, in Kunstmarktjournalen, auf Wernisaschen, in Schüries und im Yachtclub – aber es wäre wünschenswert, wenn wir K+K als ein Forum für Diskussionen erhalten könnten, die in den Wirtschafts-Feuilletons und PR-Zeitschriften des Kunstmarktes nicht gedruckt werden (s. K+K 1 und 2/11).

In der Welt des Geredes über die Kunst sind die Künstler zum Schweigen verurteilt.
(Alfred Andersch, Die Blindheit des Kunstwerkes)

So scheint es, so hätten sie es gerne, die Funktionäre des geschlossenen Kunstmarktsystems. Brechen wir also lustvoll das Schweigen.

Muss man sich mit der Plattitüde „Kunst an sich gibt es nicht“ befassen, weil sie von einem Multimillionär verkündet wurde, um dessen Marktgunst sich Galerien, „Museumsonkels“ (zit. nach Kasper König) und Künstler bemühen? Die Formulierung, Kunst sei „Ergebnis eines fortlaufenden und immer offenen Prozesses um Darstellung, Wahrnehmung und Akzeptanz“, ist sprachlich wohl etwas missraten und der Erkenntniswert des mühsamen Gangs durch die Kunstmarkthallen bleibt zweifelhaft. Mag sein, dass Künstler mitunter den „Mund zu voll“ nehmen und „zu Komplizen des Marktes geworden“ sind. Wer aber bestimmt die Marktregeln und die Marktpropaganda? Wer entscheidet über die Größe der Markthallen und die neuen Frühjahrsmoden? Sind das nicht diejenigen, die als Millionäre und Kunstgroßkäufer mit ihren Agenten, Galeristen und „Kunstkritikern“ die Regeln der Warenproduktion und der Börsenspekulation auf den Kunstbereich übertragen?

Da bleiben dann für Künstler/innen solche dankbaren Rollen übrig wie unartige Schoßhündchen oder „Künstlerfürsten" oder vom üblichen Bänker-Verhalten leicht abweichende Jahrhundert-Genies; die saufen und Obszönitäten erzählen. Gerne ist man darüber etwas pikiert, aber es kommt an bei den kunstsinnigen Reichen.

Solchen spekulativen Kunstsammlern geht es doch nicht um widerständige Kunst, sondern eher um die Überwindung ihrer Langeweile und um eine öffentliche persönliche Bedeutung. Sie wollen im Lichte der Öffentlichkeit bella figura machen, „sich in der Betrachtung völlig unverbindlicher Dekorationen vom Geschäft der Macht ausruhen“ (A. Andersch) und sich ein hehres Denkmal setzen lassen auf Kosten öffentlicher Mittel.

Mit Geldgier alleine ist solche öffentliche kulturelle Reputation nicht zu gewinnen. Als Kunstsammler brüstet sich so einer gerne in seinem Multimillionärsmilljöh als unkonventioneller Sonderling. Peinlich wird es, wenn dann die Kunstsammlung auch noch unter dem Titel „Ziviler Ungehorsam“ publiziert wird. Wenn man sich erinnert, was Mahatma Gandhi und Martin Luther King mit ihrem zivilen Ungehorsam riskierten, dann kann man fast nur noch zornig werden.

Machen wir uns nichts vor: in der „freien Marktwirtschaft“ (oder im kapitalistischen Schweinesystem?) ist Kunst nichts anderes als eine Ware, die als Marke installiert und verhökert wird. Und da die großen Banken und Profiteure als Käufer den Markt bestimmen, werden nur solche (Kunst-)Waren lanciert und gehyped, die ihnen verträglich und unterhaltsam erscheinen.

Man wird sich doch schließlich keine Kunst in die Sammlung kaufen oder ins Foyer der Bank oder übers Designer-Kanapee hängen, die etwas sichtbar macht von dem Irrsinn dieses weltweiten Profitsystems, von Waffenexporten und Kriegen, von Hunger und Fettsucht, von Kindersklaven und Vergewaltigung, von Luxus und Armut. atomarer Verseuchung und Zerstörung von Lebensräumen. Nein, Kunst soll repräsentative Ablenkung bieten. Das wissen die Galeristen, die Gunstschreiber, die Museums-Onkels und auch die Künstler. So sieht es denn auch aus auf der ART Basel und auf all den anderen Kunstjahrmärkten. So sieht dann die Kunst aus in Parlamenten und Parteibüros, in Museen und Kunstvereinen.

lm Sitzungssaal der Signoria in Padua führten Fresken mit der Darstellung der Folgen einer guten und einer schlechten Regierung in der Stadt und auf dem Lande den Herren die Wirkungen ihrer Herrschaft vor Augen. Im Bundestag zu Berlin sind vor allem dekorative Bildwerke zu sehen. Die Kunstsystem-Player kritisieren das „reibungslose Funktionieren“ ihrer Mitspieler, der Museumsdirektoren, Kritiker und Künstler im System und postulieren die Entdeckung des „Künstlers als Subjekt und Person des Widerstands“.

Ai Weiwei wird zum ermutigenden Beispiel. Ja, klar, der übt Widerstand gegen ein kapitalistisches autoritäres System, das sich kommunistisch nennt. Schön weit weg und eine ideale Projektionsfläche für eine Vorstellung von politischem Widerstand der Kunst, den man so hierzulande doch keinesfalls haben will und auch nicht für sinnvoll und notwendig erachtet. Das lässt sich wunderbar vermarkten und erweckt sogar den Anschein, als engagiere man sich für die Freiheit. Dabei geht es wieder nur um eine Person in einem fernen Land – nicht um alle Künstler in aller Welt und in allen Diktaturen, die mit deutschen Waffen beliefert werden.

Wenn man es ernst meint mit dem „Schlusspunkt: Kunst muss sich wieder als Gegenmacht zeigen“, könnte man eine unabhängige Stiftung zur Förderung solcher widerspenstiger Kunst gründen und sich dabei persönlich bescheiden zurückhalten.

Wir stimmen mit dem Postulat überein, meinen es ernst und bieten unser Engagement dabei an. Kunst als Gegenmacht im eigenen Land! Jenseits der Zwänge des Kunstmarkts. Kunst als existentiell unabhängige, selbstbewusste, fantasievolle und öffentliche Gegenmacht, die nicht in Ateliers auf die Vermarktung in Galerien spekuliert, sondern öffentlich auftritt und nicht nur verklausuliert und geheimnisvoll den Kunstsinnigen erscheint.

Kunst als Gegenmacht gegen die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben. Gegen die Förderung bankrotter Banken und Spekulanten. Gegen den Abbau sozialer und medizinischer Leistungen. Gegen die hemmungslose Verwertung von Grund und Immobilien. Gegen den Export von deutschen Waffen und Müll. Gegen die Ausbeutung von Rohstoffen in allen Kontinenten zum Nachteil der dortigen Bevölkerung.

Für gute Ernährung und medizinische Versorgung in aller Welt. Für Menschenrechte und gegen Krieg. Für Gleichberechtigung aller – hier und universell. Für optimale Bildung ohne Noten und Leistungszwang. Für Förderung von zivilem Ungehorsam statt Anpassung und Folgsamkeit. Für Trennung von Kirche und Staat. Für ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle, etc. etc. … Teilen statt kriegen! Make art not war!

Solche Kunst braucht Räume – und nicht die in Sonntagsreden der Politiker routiniert dahingesagten „Freiräume“ am Rande der Gesellschaft. Sie braucht eigene, vom kapitalistischen Warenmarkt unabhängige autonome Strukturen, wie z.B. einen bundesweiten politischen Kunstverein und Kulturstiftungen, die widerständige politische Kunst finanziell, organisatorisch, rechtlich und publizistisch fördern. Die einzige Stiftung dieser Art wurde 1988 als Kurt-Eisner-Stiftung gegründet und könnte wesentlich mehr fördern als bisher, wenn sie Zustiftungen und Spenden erhielte. Aber das wird von den großen Kulturstiftungen im Bundesverband deutscher Stiftungen natürlich nicht beabsichtigt.

Kunst als Gegenmacht braucht z.B. eine „Bundesakademie für kulturelle Bildung“ in Wolfenbüttel, die gerade diese widerständige Position in der Gesellschaft thematisieren und fördern würde, statt Seilschaften zu alimentieren, die Malkurse und Photoshop-Lehrgänge wie an jeder Volkshochschule (nur wesentlich kostspieliger) organisieren.

Kunst als Gegenmacht braucht eine Stärkung unserer eignen berufspolitischen Organisation, die nicht mehr als Ersatz-Ausstellungsplätze zu missbrauchen sind, sondern laut und vernehmlich – mit Ironie und Zorn – politische Forderungen nach Räumen, Transparenz der öffentlichen Ausschreibungen und Stipendien, nach Ausstellungshonoraren etc. stellen und Durchsetzungsstrategien entwickeln.

Solche unabhängige Kunst als Gegenmacht braucht selbstbewusste Forderungen an alle politisch Verantwortlichen, die gerne Sonntagsreden zur Freiheit der Kunst halten und wie Rita Süßmuth betonen, Kunst müsse frei und mutig sein und der Dialog zwischen Kunst und Politik sei notwendig – sprach’s bei einer Tagung an der Bundesakademie für kulturelle Bildung in Wolfenbüttel, stand auf und ging.

Um Gegenmacht zu ermöglichen, müssen wir eigene Strukturen und Öffentlichkeit entwickeln, mit Selbstbewusstsein und Witz, Unterstützer und Verbündete finden. Wir sollten Hearings zur Lage der Künstler in diesem fetten Land fordern und realisieren, in Stadträten, Gemeinderäten, Landtagen, im Bundestag und in Parteien.

Und wir sollten einen „Tag der Kunst“ einrichten, wo wir unsere Situation, unsere Ziele und Forderungen diskutieren und Politiker und Kunstfreunde einladen, aufmerksam zuzuhören, ohne uns wohlfeile Reden über ihre großartige Kulturpolitik und ihre Schwierigkeiten zu halten.

Wir werden über unkonventionelle Lösungen und Durchsetzungsstrategien beraten, und wir werden etwas von dem zeigen, was wir als Künstler machen und vorhaben. Das wird eine Gegenmacht sein, dass den Marktstrategen, Spekulanten, Gefälligkeitsschreibern, Museums-Onkels und -Tanten die Augen auf und übergehen.

(Herr Rauterberg und Herr Falckenberg dürfen uns gerne dabei aktiv publizistisch und finanziell begleiten und ohne Machtgelüste zur Seite treten.)

Wolfram P. Kastner


Kunst und Kultur. Kulturpolitische Zeitschrift 3/11, 12.

Überraschung

Jahr: 2011
Bereich: Kunst/Kultur