Materialien 2008

Dir glangt’s?

Hiermit wird bekanntgegeben: am Mittwoch findet vorm Mira-Kauf-Zentrum um 17.30 Uhr ein notwendiges Haberfeldtreiben1 nebst Katzenmusi statt. Nach uraltem Brauch wird beim Haberfeldtreiben ein rechtschaffenes Sittengericht gehalten, um dauernde Skandale abzuschaffen. Die Hauptsache ist der Schlussakt, wo die Teilnehmer mit klappernden Windmühlen, Ketten und Kuhschellen einen Höllenlärm und Charivari veranstalten. Weil gerade die Brutzeit der Feldlerchen auf der angrenzenden Panzerwiese beginnt, verzichten wir auf den Lärm und jagen auch niemanden aufs Feld. In einer Klageprozession ziehen wir stattdessen einen Bannkreis um das neue Kaufzentrum. Es wird eindringlich darauf hingewiesen, dass das zuhörende Publikum und auch die Polizeioberwachtmeister den Haberern nicht zu nahe treten, damit jedes größere oder kleinere Unglück vermieden bleibe.

Mira sagt: „Mira setzt neue Maßstäbe im Umweltschutz. Das freut die Natur und alle, die in ihr leben.“ (Mira-Info)

Wir klagen: Für die Errichtung des Kaufzentrums Mira wurde ein großer Teil der Panzerwiese zerstört. Diese schon 2002 als Naturschutzgebiet ausgewiesene Heidefläche gehört zu den Bodenformen mit der höchsten kleinräumigen Artenvielfalt der Welt! Jeder Quadratmeter, der hier planiert wird, ist unwiederbringlich verloren, und mit ihm sind die teils stark bedrohten Tier- und Pflanzenarten gefährdet, die hier aufgrund der einzigartigen Geschichte der Panzerwiese heimisch geworden sind (z.B. Feldlerche, Clusius-Enzian, Steinschmätzer, Wechselkröte, Fledermaus). Die teilweise Zerstörung dieser Kostbarkeit und die Beeinträchtigung der Nordheide durch Lärm, Müll und Verkehr (750 Stellplätze für PKWs im Mira!) sind ein Skandal!

Mira sagt: „Durch den Einsatz innovativer Technologien werden 40% Gesamtenergieeinsparung erreicht. Eine saubere Sache. Wer mag, kann beim Einkaufen ganz einfach ein Zeichen für den Klimaschutz setzen.“ (Mira-Info)

Wir klagen: Mira zapft kostenlos das Grundwasser nahe des Naturschutzgebietes Panzerwiese als Kühlwasser für das Kaufzentrum ab. Auf Kosten der Natur! Laut der Verordnung über das Naturschutzgebiet „Panzerwiese und Hartelholz“ in der Landeshauptstadt München vom 3. Mai 2002 ist es „verboten, unterirdisch Wasser zu entnehmen und den Grundwasserbestand zu verändern.“ Warum? Viele der oft seltenen Grundwassertiere stellen bei erhöhten Temperaturen die Vermehrung ein. Die Bakterienaktivität dagegen nimmt zu, was ebenfalls Auswirkungen auf die Grundwasserqualität hat. Das sollten Sie auch wissen, wenn Sie hier einkaufen.

Mira lässt sich loben: „Mit diesem Projekt erhält der neue Stadtteil seine lang vermisste urbane Mitte.“ (OB Ude) „Große Marken, kleine Fachgeschäfte, eine abwechslungsreiche Gastronomie …“ (Mira-Info)

Eine solche urbane Mitte haben wir nie vermisst!

Wir klagen: über den Verlust öffentlichen Raumes. Wo früher Menschen auf der Panzerwiese tags und nachts spazierengehen konnten, regiert jetzt das Geschäft des Unternehmers Fondara: wer hierher kommt, soll kaufen! Die Öffnungszeiten diktiert das Gewerbe. Unser aller Raum wurde von der Stadt für McDonalds und Subway verscherbelt.

Wir klagen: durch das neue Kaufzentrum verliert auch das Hasenbergl seinen wohnortnahen Zusammenhang. Die gewachsene Struktur der über den Stadtteil verteilten Märkte, Friseure, Bäckereien, Läden und Treffpunkte wird innerhalb von Monaten ausgeschlachtet. Kleine Läden schließen. Sparkasse und Post, sowie die Stadtbibliothek (ab 2011) wandern in die Nordheide ab, einen gleichwertigen Ersatz wird es aufgrund der „geringeren Kundenströme“ nicht geben.

Mira sagt: „Damit Mira familienfreundlich wird, haben die Planer an die praktische Seite des Einkaufs gedacht. Durch … die vielen transparenten Glasflächen haben Eltern ihren Nachwuchs immer gut im Blick.“ (Mira-Info)

Wir klagen: aber wen interessieren die Menschen, die nicht mehr viel kaufen wollen oder können? Für die vielen älteren Mitbürger im Hasenbergl, die nicht mehr gut zu Fuß sind, wird das Leben schwieriger. Postbankkunden haben vor Ort keinen Anlaufpunkt mehr. Wo sollen wir jetzt zum Schuster gehen? Zum Bäcker? Zum Mira ist es zu weit. Ein Hoch dafür auf Miras grandiose Familienfreundlichkeit: Eltern können beim Einkaufen ihren Nachwuchs noch sehen: durch die Glasscheibe!

Mira sagt: „Mit Mira wird der Norden bunt! In rund 70 Läden finden Sie alles, was sie zum Leben brauchen.“ (Mira-Info)

Wir klagen: wer sagt, alles zum Leben Nötige lässt sich kaufen, missachtet und zerstört die gewachsene Kultur in unseren Stadtteilen. Kaum ein Stadtteil Münchens ist so bunt und lebendig wie der Norden! Wie könnte ein Stadtteil mit Menschen aus 121 Nationen grau sein? Die Menschen, die hier leben, mit ihren Schwierigkeiten und ihrem Zusammenhalt sind der unbezahlbare Schatz, nicht die Schaufensterauslagen. Wir fürchten das Gegenteil: „Geld fressen Seele auf!“ Das neue Kaufzentrum schminkt sich in allen Farben. Dabei herrscht drinnen das gleiche uniforme Sortiment wie in allen Zentren, wo Geschäfte wie New Yorker, McDonalds, Subway oder H&M konzentriert sind. Eine gigantische Werbekampagne muss deswegen Kauflust erzeugen, die mit billigem Sortiment und großem Gewinn ausgenützt wird.

Dir glangt’s? Mir a!
Der Mensch lebt doch nicht vom Konsum allein!
Wir suchen eine andere Kultur des achtsamen Miteinanderlebens.
Eine Welt mit bescheidener und gleichzeitig glücklicherer Lebensweise.
Ein Zusammenleben, das den Erhalt der Natur achtet.

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1 Nachzulesen bei Sparifankal, Huraxdax, Drudenhax, Ohrwaschl Records (Textheft) und J.N. Sepp in: Geotg Queri, Bauernerotik und Bauernfehme in Oberbayern, dtv 1053.

V.i.S.d.P.: Wolf-Christian Linhardt, Max-Müllner-Straße 14, 80933 München


erhalten per Email am 19. Februar 2012

Überraschung

Jahr: 2008
Bereich: Stadtviertel