Materialien 1968

Demonstranten!

Die Polizei verhält sich bei Protestaktionen sehr rücksichtsvoll, sie leiht euch sogar Lautsprecher, mischt sich bei Aktionen unter euch, um euch zu warnen und mit euch zu diskutieren, damit da nicht etwas passiert, was politisch tatsächlich notwendig sein könnte, damit wieder mal bewiesen ist, Polizei und Demonstranten in München verstehen sich, es hat eine Aktion gegen … stattgefun-
den, im Übrigen hat sich alles im Sande verlaufen. Die alten Böcke schießen wie eh und je. Und man denkt, das ist alles in Ordnung so, protestieren muss man heute, auch wenn nichts dabei rauskommt, wir werden halt eben noch ein bisschen missverstanden.

Auch die Polizei denkt so und ihr „Missverständnis“ lässt sich ebenso harmlos aus dem Weg räu-
men, wenn man ein wenig verschweigt, ein bisschen Material sammelt, schnell durchgreift, wenn’s niemand sieht und dem ganzen Roman von der „Profillosigkeit der Demonstrationen“ noch eine Hauptfigur gibt, auf die sich alles, was an Gesetzwidrigkeiten und Unbequemlichem, alles was reizt und scheußliche Emotionen auslösen könnte, konzentriert, das muss dramaturgisch kapiert sein. Denn die Polizei ist gezwungen aufzuklären und aufklärerische Romane verlangen einen negativen Helden, das hängt mit der Unterbrechung des Identifikationsprinzips zusammen, sagte mir der Literaturhistoriker Sieber, also Isolation, Abschreckung, negative Aggression usw. Und der Kadi macht das glänzend, über 60 Jahre (BGB seit 1898) justitiare Verwaltung der Ordnungsindustrie schaffen das, haben es immer geschafft. Kurz vor seinem Spanien- oder Griechenlandurlaub ver-
kündet dieses Symbol der Zeitlosigkeit seine lustintegren Sprüche:

1 Jahr für Reinhard Wetter, 9 Monate für Heinz Koderer, 8 Monate für Thomas Schmitz-Bender, 4 für Alois Aschenbrenner, alle ohne Bewährung.

Noch ca. 8 Leute erwarten ähnliche Urteile.

Diese „Rädelsführer“, verfolgt es weiter, kommen vom SDS. Mit der Zeit schaffen sie – Justiz und Polente – es noch, dieses Nest von Verschwörern und Neurotikern auszuräuchern. Die liberale Presse greift diese Fälle kaum auf und beweist so, in wessen Namen auch immer, dass nicht nur Springer Minderheitenhetze betreibt. alles, was sie an den Aktionen nicht verstanden haben (ihr Geschrei nach „oben“, nach Legitimation und politischer Motivation), haben sie ausgenützt für Angriffe gegen den SDS, alle „Ausschreitungen“ auf ihn projiziert, heute können sie ihre eigene Dummheit nicht durchbrechen, ihre liberale Systemtreue zwingt sie, diese Leute und somit den SDS zu isolieren.

Wenn ihr, Demonstranten, heute Märtyrer oder „Führer“ braucht, die an eurer stelle exemplarisch bestraft werden, dann geht nach Hause, die alten warten längst darauf.

GEHT MORGEN ZUM PROZESS GEGEN KLAUS SCHLEMPER (21.6. 8 Uhr 45, Pacellistraße)

vw: Peter Staimmer, Mü-Gröbenzell, Tannenfleckstraße 26a, Eigendr. i. Selbstverl.


Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.

Überraschung

Jahr: 1968
Bereich: Prozesse