Flusslandschaft 1955
Lebensart
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Erstaufführung 1955, Graphik: E. Litter
Das angeblich unpolitische Nachkriegskino feiert die bürgerliche Kleinfamilie, Schauspieler, die schon in der Nazizeit beliebt waren, bleiben es. Kritiker der Heile-Welt-Filme gelten als Nestbe-
schmutzer.
Klaus Kinski wird zu einem der Vorreiter der antiautoritären Emanzipation vom konventionellen Sittenkodex des konservativen Bürgertums und von obrigkeitsstaatlicher Bevormundung. Außen-
seiter, rebellische Jugendliche, Unangepasste lieben ihn; für die Spießbürger wird er zum roten Tuch. Mit Erika Remberg, Partnerin im Film „Sarajewo“, kommt es zu einer leidenschaftlichen Beziehung. Eines Tages trifft Kinski seine Geliebte vor dem Prinzregentenbad, in dem sie schwim-
men war, und küsst sie leidenschaftlich. Die Besatzung einer Funkstreife sieht dies, umkreist das Paar mehrmals, ein Polizist ruft laut „Können Sie ihre Schweinereien nicht zu Hause machen?“ Kinski lässt sich nicht provozieren, verabschiedet sich von Erika Remberg, steigt in sein Auto und fährt los, das Polizeiauto verfolgt und stoppt ihn. Kinski erinnert sich: „… »Ihre Papiere!« Noch immer nehme ich mich zusammen. »Okay, ich hole sie aus meinem Wagen.« Einer der Pupen (Polizeibeamten, G.G.) springt aus dem Maikäfer, der jetzt mit mir auf gleicher Höhe ist, und drückt mich gegen den Wagenschlag. Ich gebe ihm einen Haken. Die beiden anderen Pupen (sie sind vorsichtshalber immer zu dritt) mischen jetzt mit. Sicher, es sind richtige Schläger, aber wenn ich wütend werde, entwickle ich die Kraft eines Berserkers, und ich bin rasend vor Wut über dieses Gesindel. Inzwischen haben die Pupen über Funk einen zweiten Streifenwagen angefordert. Zu sechst überwältigen sie mich, nachdem ich einem in die Eier getreten und die anderen mit nicht zu verachtenden Faustschlägen und Fußtritten traktiert habe. Ich selbst liege mit dem Gesicht im Dreck, zwei drehn mir von links und rechts die Arme um, ein dritter hat seinen Stiefel in meinem Kreuz, und ein vierter tritt meine Waden runter … Im Funkwagen auf der Fahrt zur nächsten Wa-
che schlagen sie mir weiter mit den Fäusten ins Gesicht, weil ich zwischen ihnen eingekeilt bin und mich nicht wehren kann. Auf der Wache schreie ich diese Halunken an, dass wir uns wiedersehen werden. Nach der Aufnahme meiner Personalien lassen sie mich laufen. A. T., ein Fotograf und ich fahren noch am selben Tag zur Funkzentrale des Münchner Polizeipräsidiums, um die Namen der verantwortlichen Pupen festzustellen und ihnen mit unserer Anzeige zuvorzukommen. Die Pupen in der Funkzentrale weigern sich, sich fotografieren zu lassen und die Namen der sechs Rabauken anzugeben. Ich werde, wie könnte es auch anders sein, wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt angeklagt und zu einer ärztlichen Untersuchung aufgefordert: Jemand, der es wagt, sich mit sechs Pupen zu schlagen, kann nicht normal sein! …“2 In der Sensationspresse wird das Ereignis mehr-
heitlich als skandalös bezeichnet – nicht für die Polizei, sondern für Kinski.
Siehe auch „Tierschutz“ 1954.
1 Privatsammlung
2 Klaus Kinski, Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund. Erinnerungen, München 1978, 188 f.