Materialien 1968
Informations-Flugblätter der Münchner Studenten gegen die Notstandsgesetze
Informationsflugblatt I
Germanisten: Laut Aushang in der Germanistischen Fachschaft soll der Rektor eine Empfehlung an alle Institute gesandt haben, in der er die Leiter auffordert, für heute Nachmittag alle Veran-
staltungen abzusagen, um den Studenten die Teilnahme an der Vollversammlung zu ermöglichen.
Polytechnikum: zeigt um 12 Uhr einen Film über Notstandsgesetze, anschl. Disk. mit Dozenten.
Statistische Übungen: Von 40 Teilnehmern waren 16 anwesend, von denen 7 pro, 4 contra Wei-
terführung stimmten. Übungen werden abgehalten!
Pareigis: 33 für Ausfall, 26 contra, ausgefallen, keine Diskussion.
Larenz: RCDS-Leute wollen Abstimmung beeinflussen, die Vorlesung ist sehr gut besucht!
Vollversammlung: Korporationen belegen die Große Aula schon ab 11 Uhr 30, um Abstimmung zu ihren Gunsten zu beeinflussen.
Maurus (Politreferent des ASIA) hat Transparente, die bei AGFA, im AStA und in der Uni aufge-
hängt werden sollten, beschlagnahmt; erst als ihm Anzeige (wegen Diebstahl) angedroht wurde, gab er die Plakate heraus; er hatte schon mal Plakate beschädigt.
Informationsflugblatt II
Bosl: Go-in um 12 Uhr 15 (HS 225)
Bockelmann: gab eine sehr vage persönliche Stellungnahme ab. Er war nicht bereit, eine Diskussi-
on stattfinden zu lassen, die Studenten konnten auch keine Stellungnahme abgeben. Bockelmann war auch nicht bereit, pro oder contra Vorlesung abstimmen zu lassen, da »seine Beamtenpflichten keiner Abstimmung unterlägen«. Vorlesung fand statt, ca. ein Drittel verließ den Hörsaal.
Sängele: 243 für Vorlesung, 210 gegen
Betriebe (Stand 12 Uhr):
Fa. Rathgeber: z.Zt. Vertreter-Versammlung; Stimmung streikbereit; ab 12 Uhr 30 neue Nachrich-
ten
Fa. Oldenburg: Streikwillig. Abwartend
Fa. Zündapp: Streikbereit. Warten auf Initialzünder!
Pa. Compur: aussichtslos, rechts-SPD
Für Betriebe und Öffentlichkeitsarbeit 16 Uhr Treffpunkt im Lichthof anschl. Flugblätter vertei-
len!!!
Informationsflugblatt III
Fa. Siemens (Martinstraße): 15 Uhr 40 Schichtwechsel, wir versammeln uns vor dem Betrieb mit Flugblättern und Transparenten
Zwischenfall am Siegestor: Rechtsgerichtete Studenten zerstörten die um 11 Uhr am Siegestor während einer Protest-Aktion angebrachten Plakate (»Kein 1933! Streik gegen Notstandsgesetze«). Sie versuchten eine Schlägerei mit streikbereiten Studenten zu provozieren, schließlich wichen sie den sachlichen Argumenten der Streikenden. Die Plakate wurden wieder aufgehängt und werden durch Streikposten bewacht.
Universität Bochum: wird von streikenden Kommilitonen blockiert
Universität Göttingen: kein Vorlesungsbetrieb, Streik, allgemeine Diskussion
Universität München: Nur die tiermedizinische Fakultät und einzelne Professoren beteiligen sich nicht am allgemeinen Streik
Letzte Meldung vom Siegestor: angeblich aus Sicherheitsgründen wurde das Siegestor von Polizei und Liegenschaftsamt abgeriegelt. Die Plakate sind entfernt worden.
Maurach: Vorlesung fand statt!
Bockelmann: gab zu, dass die NS-Gesetze Vorschriften beinhalten, die nicht gut formuliert, aber doch gut gemeint seien. Er wollte sie als Mittel gegen die drohende Gefahr der NPD verstanden wissen
Achtung! Für Aktionen in Münchner Betrieben Informationen beim Streikzentrum im Lichthof der UNI ab 15 Uhr
Informationsflugblatt IV
Fels sagt Vorlesung ab: Die Vorlesung von Fels (Statistik) findet nicht statt. Prof. Fels hat sich be-
reit erklärt, all den Studenten, die unbedingt auf Abhaltung der Vorlesung bestünden, zu einem anderen Zeitpunkt Nachhilfestunden zu erteilen. Anschließend sprach er über die Entwicklung des Nationalsozialismus und die Verbrechen im Dritten Reich.
Assyriologisches Seminar streikt: mit Zustimmung der Professorenschaft haben die Studenten be-
schlossen, ab 24. alle Vorlesungen und Seminare ausfallen zu lassen.
Evangelischer Theologe bezieht Stellung: Prof. Pannenberg führte in seiner Vorlesung eine Diskus-
sion durch, in der er sich entschieden gegen die NS-Gesetze in ihrer jetzigen Form wandte und einen Generalstreik der Arbeiter für politisch und moralisch gerechtfertigt erklärte.
Psychologen lassen Vorlesung ausfallen: von den 30 Prozent, die in der Vorlesung von Prof. Wul-
sten noch anwesend waren, stimmten bis auf zwei Enthaltungen alle für Ausfall und Streik bis auf weiteres.
Buchhandlungen erklären sich solidarisch: 102 Buchhändler aus 20 Buchhandlungen in München forderten durch eine Unterschriftenaktion den DGB zum Generalstreik gegen die NS-Gesetze auf.
Verlage streiken: die Belegschaften von Piper, Hanser werden morgen ihre Arbeit niederlegen und zum Botanischen Garten kommen.
Teilstreik bei Rathgeber: Mehrere hundert Arbeiter der Waggonfabrik Rathgeber sind vorläufig et-
was zögernd in den Streik getreten. Um 14 Uhr Neues.
Informationsflugblatt V
Kriegsdienstverweigerer: Für Soldaten war bisher nur von einem Einsatz gegenüber dem äußeren Feind die Rede. Der Einsatz bei einem inneren Notstand ist eine völlig neue Situation, die mit dem Eid unvereinbar ist, Recht und Freiheit des deutschen Volkes tapfer(!) zu verteidigen. Die Zunah-
me der Wehrdienstverweigerer dürfte sprunghaft steigen – Unterschriftsvorlagen beim Streikzen-
trum.
Rathgeber – Neue Information! Ca. 300 Arbeiter sind heute Mittag vors Haus gezogen mit der Forderung, durch die Abteilungen ziehen zu können, um weitere Kollegen dazu zu bewegen, sich dem Streik anzuschließen.
Unterschlägt das Bundespresseamt Unterschriften gegen Notstandsgesetze?
Villmuth Albrecht hat am 10. Mai ca. 700 selbstgesammelte Unterschriften von NS-Gegnern nach Bonn gesandt. Diese Unterschriften sind bis jetzt noch nicht eingetroffen. V.A. hat nun Postfahn-
dungsantrag gestellt. Inzwischen hat V.A. innerhalb 7 Stunden in der Maximilianstr. wieder Unter-
schriften gesammelt (ca. 1.200). Das Streikzentrum hat die Unterschriften per Zustellungsurkunde weggeschickt.
19 Uhr: Beginn des »Hungerstreiks«
Zwerenz, Kilian, Süverkrüp, Degenhardt kommen.
Aktivitäten an der FH
10:15 Straßentheater, 11:00 Teach-in, dann Bot. Garten.
Informationsflugblatt VI
Informationen über die Aktionen in anderen Städten:
Paris: Die Studenten der Sorbonne haben ihre Solidarität mit unseren Aktionen erklärt und vorgeschlagen, eine »Internationale der revolutionären Studenten« zu gründen. Heute Abend treffen sich Studenten und Arbeiter, die gemeinsam ihre Ablehnung der Kompromissvorschläge der Gewerkschaften und Regierung bekunden wollen, zu einer Großkundgebung. Renault und Citroen streiken weiter!
Frankfurt: Studenten haben die Universität und das Rektorat besetzt. Die gesamte Universität ist augenblicklich in Händen der militanten Studenten. In 5 Schulen ist Totalstreik. Bei einer Schule Polizeieinsatz zur Räumung der von Schülern besetzten Schule. Polizei zog wieder ab. 3.000 Schü-
ler demonstrierten in der Innenstadt und legten zeitweise den Verkehr lahm. Für morgen sind große Demonstrationen angekündigt.
Hamburg: Die Korporierten organisierten sich, um die Abstimmung in der Vollversammlung zu beeinflussen. Es wurde beschlossen, einen »milden« Streik durchzuführen.
Berlin: Alle größeren Fakultäten streiken. Das Germanistische Inst. ist besetzt, ebenso das japanol. Inst. und das Otto-Suhr-Inst. (Streikzentrum)
Informationsflugblatt XV
Anschlag der Rechten: Die Rechtsextremen, die schon den ganzen Tag versucht hatten, mit 2 Me-
gaphonen (bedient von RSD-Leuten, ortsbekannten NPD-Rednern) und Zerstören von Plakaten die Arbeit des Streikzentrums zu stören, erreichten den climax ihrer Aktivitäten: gestern schmissen sie eine brennende Gasbombe in den Ostflügel, heute eine Buttersäureflasche o.ä. von der Empore aus auf das Streikzentrum, die beinahe 2 von uns am Kopf getroffen hätte.
Notstandspost: Um 14:00 wurde im Lichthof eine Notstandspost eingerichtet. Bis 21:00 wurden 110 Telegramme an 99 Abgeordnete abgeschickt.
Hochschule für Film und Fernsehen streikt seit Montag. Antrag auf Verschiebung. Telegramm an SPD
Rockwell wirft Betriebsrat raus: die Fa. Rockwell (Maschinen) hat einen Betriebsrat, der zum Streik aufgerufen hat, rausgeschmissen, daraufhin streikten die Arbeiter länger als vorgesehen. Morgen, Mittwochfrüh um 7:00, werden 100 Studenten aufgefordert, zu Rockwell zu kommen, um ihre Solidarität mit dem fristlos entlassenen Betriebsrat und der streikenden Arbeiterschaft zu bekunden (Moosacherstr. 25).
Fürstenfeldbruck: morgen um 13:00 soll im dortigen Gymnasium eine Diskussion zwischen Stu-
denten und Schülern stattfinden.
Informationsflugblatt XVI (29.5. Stand 12:30)
Firma Rockwell: seit ½ 7:00 sind über 300 Studenten bei der inzwischen in den Streik getretenen Firma. Die Studenten und Arbeiter haben erreicht, dass ein IG-Metall-Sprecher der Betriebslei-
tung über die Wiedereinstellung des gestern fristlos entlassenen Betriebsrates Hans Koller verhan-
delt.
Solidaritätskundgebungen für Rockwell: wurden inzwischen von den Firmen Heynau und Wacker ausgerufen (einstündige Warnstreiks).
BMW: wo sich streikwillige Arbeiter zusammengefunden haben, wurde vom Werkschutz abgerie-
gelt.
Alle Aktionen in den Betrieben gehen nun von Rockwell aus!
Das Bayerische Fernsehen und die Ateliergesellschaft Bavaria beraten seit 12:00, ob zum Warn-
streik ausgerufen werden soll. Einer internen Info zufolge sind mehrere Produktionsgruppen in den Streik getreten.
In der Schülervollversammlung wurde ein Marsch auf das Kultusministerium beschlossen, das alle Streikmaßnahmen unterbunden hat und mit disziplinarischer Verfolgung gedroht hat.
Bevölkerungsaktionen gehen vom Germanistischen Institut, Schellingstr. 3 aus.
Straßenbahn blockiert in der Leopoldstr. von Studenten und Schülern.
In der Gisela-Schule wurden die streikwilligen Schüler vom Rektorat festgehalten und durch vor der Schule auffahrende Polizeiautos eingeschüchtert.
Anglistik-Vorlesung findet statt: Streikdiskutanten wurden des »Saales verwiesen«. Morgen soll die Vorlesung mit Prof. Clemen einer Diskussion zur Verfügung gestellt werden.
Kirow-Ballett hat sich mit den streikenden Münchnern solidarisiert und die Intendanz aufgefor-
dert, nach der Vorstellung das Nationaltheater zu Diskussionen zur Verfügung zu stellen.
Demonstration zum Botanischen Garten 16:00 Uni über TH zum Bot. Garten, anschl. Sitzstreik am Sendlinger Torplatz
Hochschule für Film und Fernsehen streikt weiter, Freitag Vollversammlung
Informationsflugblatt XVII
In der Vollversammlung wurde beschlossen, den Streik bis Donnerstag weiterzuführen.
Die Vollversammlung der Schüler beschloss, den Streik morgen abzubrechen und in den Schulen mit den Lehrern zu diskutieren.
Die Betriebsgruppen treffen sich um 20:00 im Soz. Inst. (Konradstr.)
Der Besitzer der Druckerei Schmidt, Klenzestr., hat am vergangenen Freitag einem Arbeiter ge-
droht, jeden zu entlassen, der im Betrieb versuchen sollte, für einen Generalstreik zu werben.
Die Belegschaft des Selecta Verlags (Planegg) empfahl gestern in einer Petition dem DGB einen Generalstreik zur Verhinderung der NS-Gesetze.
Hochschule für politische Wissenschaften streikt seit drei Tagen.
USG-Information: eine Delegation der 3.000 Schüler überbrachte dem Vertreter Hubers folgende Petition: l) allgemeines Streikrecht für Schüler, 2) Straffreiheit für die streikenden Schüler, 3) Dis-
kussion eines Vertreters des Kultusministeriums mit den Streikenden. Staatssekretär Lauerbach weigerte sich.
Eine Flugblatt-Aktion vor Kasernen wurde heute Nachmittag durchgeführt. Reaktion mittelmäßig (ein Soldat mit Streikaufkleber auf dem Auto darf nicht in die Kaserne fahren).
Verlauf der Demonstration
Am Botanischen Garten durchbricht der Zug die Polizeikette und die Demonstranten belagern in Gruppen aufgeteilt den Stachus. Der gesamte Verkehr ist blockiert. Nach 20 Minuten wird der Sitzstreik aufgehoben, die Demonstranten spalten sich, ein Teil zieht zum Hauptbahnhof, der andere zum Botan. Garten, wo sich nach kurzer Zeit auch die anderen einfinden, um über weitere Aktionen zu beraten. In einer Abstimmung entscheidet man sich für den Bayerischen Rundfunk.
Polizeifunk: fast alle Mannschaftswagen sind am Bayer. Rundf., Wasserwerfer, Bereitschaftspoli-
zei. SPÄTER: ein Demonstrant ist festgenommen, der Bahnhof ist ebenfalls von Polizisten be-
wacht.
Informationsflugblatt XVIII (29.5. Stand 20:00)
Demonstration: Am Bayer. Rundfunk wurde eine Delegation zum Intendanten (Wallenreiter) ge-
schickt, mit der Forderung nach einer 1½stündigen Sendezeit (während der Hauptsendezeiten) für die APO. Nach längeren Verhandlungen abgelehnt. Es wird beschlossen, den Hauptbahnhof zu blockieren. Der Bahnhof ist von Bereitschaftspolizei abgeriegelt.
20:15 Polizeivizepräsident beordert sämtliche Kripoleute zum HBF. Durch den Starnbergerbahn-
hof sind die Demonstranten in den Gleisbereich eingedrungen, die Polizei erwartet die Besetzung des Stellwerks.
20:45 unter Prügeleien werden die Demonstranten zurückgedrängt
Polizeifunk: Anordnung, möglichst viele zu verhaften, um Gleise zu räumen. Nach einigen Zwi-
schenfällen ziehen sie Richtung Stachus.
21:15 Sitzstreik Bahnhof Süd bewegt sich Richtung Lehnbachplatz.
21:30 5 – 6.000 Leute blockieren Verkehr am Stachus. Tram total blockiert. Zugrichtung: Land-
wehrstr (21:45) Richtung Goethestr. (21:50) wieder Richtung Bahnhof (21:52). Der Zug ist nicht mehr so massiv. (22:04) Eine Gruppe am Promenadenplatz zieht Richtung Theatiner-Maffei-Straße; die zweite Gruppe am Max-Josephs-Platz, eine weitere Gruppe am Marienplatz (21:15).
Laut Polizeifunk beginnen die Studenten die Oper zu blockieren. Studenten begeben sich zum Eingang Tiefgarage. Polizei hat die Aufgabe, Eindringen der Studenten in die Tiefgarage zu ver-
hindern, Polizei bekommt Verstärkung auf Anfrage (21:45)
22:50 Studenten versuchen gewaltsam in die Oper einzudringen.
23:15 Am Platz vor der Oper sehen sich mehrere tausend Studenten und Arbeiter einer Konfron-
tation mit der Polizei gegenüber. Laut Augenzeugenberichten ist es zu Ausschreitungen seitens der Polizei gekommen.
23:20 Sie versuchen die Rückeingänge der Oper zu besetzen …
Informationsflugblatt XIX
Arbeiter der Gas- und Wasserwerke streiken: 73 Arbeiter der GUWW sind in den Streik getreten und haben den Gewerkschaften ihr Misstrauen ausgesprochen.
Rundfunkunion telegraphiert nach Bonn: »Tiefgreifende Unruhe unter den Mitarbeitern des Bayer. Rundfunks veranlasst uns zu dem dringenden Appell an alle DGB-Mitglieder des Deutschen Bundestags, sämtliche Möglichkeiten auszuschöpfen, um Vertagung der NS-Gesetze zu erreichen …« Rundfunkunion im DGB, der Vorstand im Namen einer außerordentlichen Protestversamm-
lung.
Mark Braun: Mitglied des Streikzentrums, wurde heute Abend aus einer Demonstrantenkette herausgegriffen und verhaftet. Nach Feststellung der Personalien wurde er wieder freigelassen.
Sammlung: seit Montag wurden für das SZ ca. 1.100 DM gesammelt, ca. 700,- wurden ausgegeben, u.a. 130 DM für den Kauf eines Megaphons (Schüler).
Schulen: Die Mädchen des Elly-Heuß-Gymnasiums wollen morgen streiken. Zur großen Pause um 10 Uhr sollen einige Leute zum Diskutieren hinkommen, Flugblätter mitbringen, ebenso die Schu-
len: Sophie Scholl, Käthe Kollwitz.
Informationsflugblatt XX (30.5.)
Zum Auftakt Uni-interner Auseinandersetzungen versuchten 2 RSD-Falangisten ständig unsere Lautsprecher-Durchsagen zu boykottieren, nach einer Streitdiskussion stimmte die Mehrheit für Rausschmiss, rausgeschmissen hat sie niemand, auch nicht, als sie sich öffentlich als Wahlredner für die NPD bezeichnen lassen mussten.
Gegen 20 Uhr versammeln sich ca. 2 – 3.000 Arbeiter und Studenten in H 101 und im Audimax, um über weitere Aktionen zu beraten, 3 Vorschläge: in den Hackerkeller zu den Pazifisten, Di-
rektaktion (Nationaltheater) oder Fortsetzung der Uni-»Belagerung« + zentrale Aktion um 6 Uhr morgens auf dem Stachus. Nach viel Demagogie und ähnlichen Schreikrämpfen zog man aus der Uni (ca. 1.500); keiner wusste wohin. Man hatte die Parole ausgegeben, einen Betrieb zu belagern, aber zu spät stellte sich heraus, dass der Schichtwechsel verpasst war (ca. 23 Uhr). Als der Zug das Springerhaus passierte, fuhren die ersten Mannschaftswagen vor, am Amerikahaus legt der Zug eine Gedenkminute für die Opfer der Amerikahaus-Aktion vom Februar 68 ein. Die Vor- und Funkposten der Münchner Psychopolente werden nervös; einzelne Beamte, die Megaphonspre-
chern mit Verhaftungen drohten, wenn ihnen nicht sofort gesagt wird, wohin die »wilde Demon-
stration« ginge, hetzten die vorderen Ketten des Zuges wie verschreckte Küken in die schnell an-
fahrenden Funkwagen zurück. Das schon dunkle Nationaltheater ist abgeriegelt, vor dem Verlags-
gebäude der SZ wartet der Zug, bis die Wagen der Bereitschaftspolizei nachgerückt sind (ca. 15). Autofahrer berichten, dass es in der Stadt nur so von Polizei wimmle, fast alle von früheren Aktio-
nen bekannten Gebäude seien abgeriegelt. Im Polizeifunk hört man ständig andere Ortsangaben, neue Einsatzbefehle, Forderungen nach Verhaftungen »einzelner Rädelsführer«, die Einsatzleiter sind ratlos über Ziel und Zweck der Aktion. Inzwischen haben die Demonstranten die Absperrket-
ten am Bahnhof durchbrochen und sich zu einem Sitzstreik niedergelassen; als die Bereitschafts-
polizei versucht, sie zu umzingeln, springen sie auf und rennen aus dem Bahnhof. Schließlich brach man diese für die Polizei wohl lächerlichste Aktion der Nachkriegsgeschichte (keine Zeitung be-
richtete darüber) ab, um in die Uni zurückzukehren, wo es noch zu bemerkenswerten Zwischenfäl-
len kommt. Die Uni ist abgesperrt, nur Mitglieder des Streikzentrums können durch einen von Hausmeistern bewachten Nebeneingang rein (das Hauspersonal hatte vorher schon »alles mögli-
che nicht-studentische Gesindel« rausgeschmissen). Die Situation spitzt sich zu. Ein vom SZ für 3 Uhr früh angesetztes Teach-in wird nicht genehmigt. Bereitschaftspolizei drängt unsere Leute (noch ca. 300) vor der Uni ab und umzingelt das Gebäude (in Dreierketten!). Einige können noch durch Fenster und Nebeneingänge reingeschleust werden. Jeden Augenblick wird die Räumung der Universität erwartet, Rücksprachen mit dem Rektor bleiben ergebnislos, der Prorektor verhält sich neutral, aber »Polizei wollen wir nicht hier haben«. Plötzlich zieht die Bereitschaftspolizei wieder ab. Um 6 Uhr werden die restlichen Demonstranten und Mitglieder des SZ von dem wieder zur Autorität erwachten Hauspersonal zum Teil unter Gewalt aus der Uni gewiesen, das Büro- und Arbeitsmaterial wird sichergestellt (einer von uns hat Anzeige erstattet). Freitagfrüh um 8 endlich ist wieder alles ruhig und sauber, so dass zu diesem Zeitpunkt schon niemand mehr weiß, ob über-
haupt ein Streikzentrum existierte …
Streikzentrum der Uni, Lichthof
Flugblätter, Mai 1968, gedruckt in Blackpoint/Point Black. Aktionen in München – Hiystoeryie and Provokation, München Oktober 1968. In: Lutz Schulenburg (Hg.), Das Leben verändern, die Welt verändern! 1968. Dokumente und Berichte, Hamburg 1998, 187 ff. und 193 ff.