Materialien 1968

Springerblockade und Solidarität mit den Rockwell-Arbeitern

1968 erlebte ich die Hochzeit der APO-Phase, die Euphorie bei der Belagerung der Springer-Druk-
kerei in der Barerstraße, die Straßenkämpfe mit der Polizei, die Verhinderung der Auslieferung der Springerzeitungen, die nächtelangen Vorbereitungen in der Mensa, die Besetzung der Akademie, den Kampf gegen die Notstandsgesetze und in diesem Zusammenhang die Belagerung der Firma Rockwell. Dort hatte man den Betriebsratsvorsitzenden gefeuert, weil er an einer Kundgebung teilgenommen hatte. Wir fuhren daraufhin mit ca. 200 Studenten, Schülern, Lehrlingen und Freaks vor das Fabrikgelände und unterstützten den Streik der Belegschaft, die sich mit dem ent-
lassenen Betriebsrat solidarisiert hatte. Auf einer Mauer hockte ein Gitarrespieler und sang das Lied von der Solidarität und andere Arbeiterlieder. Die umliegenden Fabriken unterstützten durch kurzfristige Warnstreiks die Kollegen von der Firma Rockwell, und die naheliegende Feuerwache stiftete Freibier. So erlebte ich zum ersten und einzigen Male in München die Solidarisierung von Arbeitern mit der APO. Vor dem Eingang wurde getanzt und gesungen, es wurden Flugblätter ver-
teilt und immer wieder wurde Bier spendiert. Am Nachmittag gab die Betriebsleitung nach und stellte den Arbeiter wieder ein. Wir fuhren in begeisterter Stimmung zur Mensa zurück und feier-
ten den »Sieg der Arbeiterklasse und der Studenten«. Vielleicht ist es unmöglich, diese Stimmung heute wiederzugeben, aber damals erschien uns alles möglich, wir sahen tatsächlich eine siegreiche Revolution vor uns, vor allem angespornt vom Pariser Mai, vom Aufstand der Studenten in Rom, in Chicago, in Prag, in Tokio, in Warschau, in London, in Berlin … Und dann folgten Schlag auf Schlag die Niederlagen. Die Notstandsgesetze wurden trotz allem angenommen, in Paris siegte noch einmal die Reaktion mit General de Gaulles, in Prag marschierten die Russen ein. Und in München war wohl der entscheidendste Moment, als vor dem Springerhaus zwei Menschen um-
kamen, seit der Ermordung Benno Ohnesorgs die ersten Toten. Der Tod von Schreck und Frings während der Belagerung des Springerhauses versetzte der Münchner Bewegung einen Schock, von dem sie sich nie wieder richtig erholt hat. Verstört zogen sich viele Münchner aus der APO zurück, sogar im SDS kam es zu einem einschneidenden Bruch und vor allem war durch dieses Ereignis der Versuch gescheitert, so etwas wie eine Aktionsgemeinschaft vom linken Flügel der SPD bis hin zur äußersten Linken der APO herzustellen, die die politische Landschaft der Stadt entscheidend verändert hätte. Die andere Seite erkannte diese Verwirrung sofort, nicht umsonst hatten sie in Dr. Sieber, einem ehemaligen SDS-ler, einen hervorragenden Psychologen und nutzte nun ihren Vor-
teil aus. Polizei, Justiz und Presse beschuldigten lautstark die APO, den Tod der beiden verschuldet zu haben, und vertiefte so den Graben zwischen den linken Gruppen. Es ist bezeichnend, dass nur einer noch heute in mehreren Erklärungen die Namen von Frings und Schreck in die Reihe der To-
ten von Ohnesorg bis zu den Genossen der RAF aufnahm: Rolf Pohle, der damals zusammen mit der Rechtshilfe nachzuweisen versuchte, dass die Schuldigen ganz woanders zu suchen wären, nämlich in den Reihen der Polizei. Die amtlichen Untersuchungen wurden jedenfalls sehr rasch abgeschlossen, ohne dass man zu einem Ergebnis kam.

Peter Schult


Peter Schult, Besuche in Sackgassen. Aufzeichnungen eines homosexuellen Anarchisten, München 1978. In: Lutz Schulenburg (Hg.), Das Leben verändern, die Welt verändern! 1968. Dokumente und Berichte, Hamburg 1998, 191 f.

Überraschung

Jahr: 1968
Bereich: Notstandsgesetze