Materialien 1987

Demokratie niedergeprügelt

Die Demokratie hört in Wackersdorf auf. Wer das nicht glauben kann, war am vergangenen Samstag nicht am Bauzaun. In dieser Atmosphäre von Gewalt hat wohl so manchen braven Bürger der Glaube an Staat, Recht und Polizei verlassen. Und auch der Glaube an die Menschlichkeit.

Das Einsatzkommando der Zwei-Meter-Bullen aus Berlin-Kreuzberg, dessen Einsatzleiter sich und seine Mannen angeblich freiwillig für den Dienst in Wackersdorf gemeldet hat, war ein Totschlägerkommando, das mit unglaublicher Brutalität, ja Menschenverachtung vorging.

Brutale Typen hinter Kinnschutz, die mit ihrem Opfer kein Wort wechseln, keine menschliche Regung, kein Mitleid zeigen, die nur knüppeln. Das Ganze ist kein Bericht aus einem totalitären Staat, sondern ganz einfache Wackersdorfer Realität. Dass es bei dieser Prügelorgie am Samstag vor dem Bauzaun keine Toten gab, ist nicht der Vernunft der Polizei zu verdanken, sondern dem bloßen Zufall.

Eine Polizei, die die Aufgabe hat, Menschen zu schützen, brachte es fertig, Hunderte von Leuten in panische Angst zu versetzen. Auf der Flucht vor den prügelnden Berlin-Bullen und ihren unsäglichen Methoden konnte niemand mehr Rücksicht auf am Boden liegende Verletzte nehmen.

Eine Polizei, die den Auftrag hat, das Grundgesetz und damit auch die Pressefreiheit zu verteidigen, suchte sich im Pulk der Demonstranten mit als erste gezielt die mit leuchtend-orangen, postkartengroßen Presseausweisen deutlich gekennzeichneten Fotografen und Journalisten raus.

Nach Peilung mit dem Schlagstock wurde Pressevertreter systematisch zusammengeknüppelt. Bernd Greipel, dem Fotografen des Wochenblatts, der dokumentieren wollte, wie man einem Kollegen die Kamera zerschlug, wurde von hinten ein Polizistenknüppel über den Kopf gezogen. Er wurde dabei so erheblich verletzt, das er im Krankenhaus landete. Eine junge Journalistin wurde zu Boden gerissen und an den Haaren mitgeschleift.

Eine Polizei, die Gewalttaten verhindern soll, stürzte sich mit Holz- und Gummiknüppeln auf wehrlose Menschen. Die im Bewusstsein, weder mit Stahlkugeln geschossen noch mit Steinen geworfen zu haben, zunächst ruhig stehen blieben, bis die Angst vor den Berlinern um sich griff. Diese Polizei schlug junge Leute zu Boden, stiefelte Frauen und hörte erst auf zu knüppeln, wenn Blut geflossen war.

Eine Polizei, die die Aufgabe hat, Menschen zu schützen, versagte einem 21jährigen, der Hilfe für ein von der Polizei schwer verletztes Mädchen holen wollte, nicht nur den Arzt, sondern schlug auch den Helfer krankenhausreif.

Im Krieg wird das „Rote Kreuz“ als friedliches Symbol akzeptiert, die Sanitäter zumindest neutral behandelt. Am Bauzaun wurden die schwarzen Sanis bewusst zusammengeschlagen. Oft sogar, wenn sie verletzten Demonstranten gerade Erste Hilfe leisteten.

Was am Samstag in Wackersdorf geschah, hat nichts mehr mit dem Für und Wider einer Wiederaufarbeitungsanlage zu tun. Das ist die Vorschule zum Polizeistaat, in dem freie Meinungsäußerungen, Pressefreiheit und Demokratie unmöglich gemacht werden.

Beatrix Neukirch


Wochenblatt vom 15. Oktober 1987, Sammlung Mütter gegen Atomkraft, Cornelia Blomeyer.

Überraschung

Jahr: 1987
Bereich: Atomkraft