Materialien 1999

Politischer Normalzustand

Krieg und Frieden

Eine ganz normale Nation ist vom ganz normalen Wahnsinn niemals weit entfernt, doch wenn sich die Deutschen ihrem politischen Normalzustand nähern, schrumpft ihr Sicherheitsabstand zum ganz normalen Wahnsinn so sehr zusammen, dass einem das Ganze wie echter Wahnsinn vor-
kommt. Denn was ist es anderes als echter Wahnsinn, wenn ganz normale Deutsche einen An-
griffskrieg führen und ihn auch noch als „humanitäre Intervention“ ausgeben, wo sie doch hätten wissen können, dass Hitler 1939 die Zerschlagung der Tschechoslowakei faktisch genauso begrün-
det hat? Und wie soll man/frau es nennen, wenn ganz normale Deutsche einen neuen Hitler erfin-
den und aus seinen Verbrechen ein neues „Auschwitz“ machen, wo sie doch hätten wissen müssen, dass diese ihre Auschwitzlüge sie zu immer neuen Lügen zwingt?

Die Folgen für unseren Geisteszustand zeichnen sich deutlich ab. Schnell haben sich unsere Hei-
matvertriebenen und ihre Nachkommen, die deutschen Kosovo-Albaner, zu Wort gemeldet. Sie sind die wahren Opfer der Geschichte, jedenfalls der Lautstärke nach. Vielleicht wären sie etwas leiser, wenn sie die europäische Nachkriegsgeschichte nicht immer erst mit ihrer Vertreibung be-
ginnen ließen, sondern nicht immer, aber immer öfter eine Gedenkminute an die Völker einleg-
ten, deren bürokratisch organisierte Ermordung durch ganz normale Deutsche erst zu ihrer Ver-
treibung geführt hat. Auch wäre es weniger unerträglich, wenn die ethnischen Deutschen aus dem Sudetenland, die eine Gnade der Geschichte zu satten Gewinnern gemacht hat, nicht Entschädi-
gung von einem Volk verlangten, das nicht zuletzt durch die politische Unvernunft ganz normaler Deutscher auf die Schattenseite der Geschichte geraten ist.

Das alles ist natürlich zum Wahnsinnigwerden, aber möglicherweise ist die deutsche Normalität gar nicht anders zu verkraften. Nur so ist auszuhalten, dass schon längst wieder das alte deutsche Spiel „Osterweiterung“ gespielt wird, freilich mit neuen Figuren im Rahmen einer „neuen Welt-
ordnung“ und unter vorläufiger Kontrolle durch die „westliche Wertegemeinschaft“. Hätten die Deutschen dieses Spiel vor mehr als einem halben Jahrhundert nicht so gründlich verdorben und es dabei zur Kenntlichkeit entstellt, wären deutsches Geld und deutsches Wesen schon viel früher dorthin gelangt, wo sie sich heute die Menschen gefügig machen. Warum das alles so schlimm ist? Weil deutsche Normalität offenbar keine Grenzen kennt.

Hannes Henjes


Die Demokratische Schule vom September/Oktober 1999, 15.

Überraschung

Jahr: 1999
Bereich: Internationales