Materialien 1989

Rede auf der Mitgliederversammlung

April 1989

Ich kenne die Zukunft natürlich nicht, und so viel ich weiß, kann sie auch niemand von Ihnen voraussagen.

Deshalb können wir nur unseren Befürchtungen unsere Hoffnungen gegenüberstellen.

Unser Ziel muss es sein, dass nicht unsere Befürchtungen, sondern unsere Hoffnungen Realität werden.

Also nicht nur Reaktionen, sondern Aktionen müssen unser Handeln für die Zukunft bestimmen. Zum Beispiel dürfen wir nicht darin stehen bleiben, alternative Adressen für Bio-Produkte zusammenzutragen; wir müssen auch darüber aufklären, was der Treibhaussalat aus Holland mit der Atomenergie zu tun hat.

An sechs Beispielen möchte ich zeigen, wie wir statt unsere Befürchtungen unsere Hoffnungen zum Ziel unseres Handelns machen können. Ich halte mich dabei im Wesentlichen an Ergebnisse aus unserem Workshop vom März ’89.

1. Unsere gemeinsame größte Befürchtung ist die Angst vor einem neuen Supergau und vor den ungelösten Entsorgungsproblemen. Demgegenüber steht unsere große Hoffnung – Ausstieg aus der Atomenergie. Unser aktives Handeln sollte deshalb z.B. diejenigen unterstützen, die sich mit alternativer Energiegewinnung beschäftigen, sie vertreiben oder ihre Verwendung zu entscheiden haben (kommunaler Ausstieg aus dem Stromvertrag).

2. Leider müssen wir feststellen, dass die Betroffenheit der Menschen ohne gravierende Unfälle ständig abnimmt, dass sie sich an kleinere Störfälle gewöhnen und auch verdrängen. Demgegenüber steht unsere Hoffnung, dass ein weiter anwachsendes Problembewusstsein in der Bevölkerung stattfindet.

Wir sollten deshalb weiterhin Informationen vermitteln, Zusammenhänge aufzeigen, Verbindungen herstellen und uns selber weiterbilden (Fortbildungsveranstaltungen).

3. Wir befürchten, dass unser Tun und Handeln wirkungslos bleibt, dass wir keine Veränderungen bei den Verantwortlichen erreichen.

Unsere Hoffnung ist es, dass wir zunehmend mehr Einfluss auf die Politik, die Menschen, die sie machen, und ihre Entscheidungen bekommen. Darum muss sich unser Handeln in einer verstärkten Bündnisarbeit – vielfältige Kontakte und Zusammenarbeit mit anderen Gruppen – ausdrücken (Vernetzung der Anti-AKW-Bewegung, Gespräche mit Andersdenkenden).

4. Wir befürchten, dass immer mehr Unrecht zu Recht wird, z.B. durch Schaffung neuer Gesetze, Festlegung der Grenzwerte von Lebensmitteln, Entsorgungsgesetze, Unterbindungsgewahrsam, Versammlungsverbote usw.

Unsere Hoffnung ist es, dass die ethischen und moralischen Wertvorstellungen erhalten bleiben. Unser Handeln muss bestimmt sein durch mehr Mut, das Unrecht laut und deutlich aufzuzeigen und dagegen anzugehen.

5. Wir befürchten eine zunehmende Fremdbestimmung. Unser Handlungsspielraum wird immer mehr eingeschränkt.

Wir hoffen, dass immer mehr Menschen bereit sind, wieder Eigenverantwortung zu übernehmen. Wir sollten deshalb Verbraucherboykotte und auffällige, provozierende Aktionen in Selbstverantwortung durchführen. Wir sollten/müssen wie ein Mahnmal immer gut sichtbar sein.

6. Betrifft den Verein und seine Arbeit insgesamt: Die zur Verfügung stehenden Kräfte, Zeit und Geld reichen nicht aus, um unsere gesteckten Ziele alle zu erreichen.

Die Hoffnung ist: Neue Menschen für unsere Arbeit zu gewinnen und neue finanzielle Quellen aufzutun. Darum dürfen wir nicht vergessen, Werbung in eigener Sache zu machen.

Bei allen begrenzten Möglichkeiten haben wir unsere Stärken, die wir nicht vergessen dürfen.

1. Wir sprechen eine große Zielgruppe von Menschen an: die MÜTTER.

2. Als Mütter sind wir besonders glaubwürdig.

3. Wir sind eine wichtige Gruppe in der Gesellschaft wenn nicht gar die wichtigste, denn ohne Mütter gibt es keinen Fortbestand in der Gesellschaft. Daher haben wir auf jeden Fall einen legitimen Anspruch auf Mitsprache.

4. Wir haben eine deutliche inhaltliche Festlegung unseres Ziels: Ausstieg aus der Atomenergie.

Auf diese Stärken sollten wir uns weiterhin besinnen und verlassen.

Isolde Schröter


Sammlung Mütter gegen Atomkraft, Cornelia Blomeyer.

Überraschung

Jahr: 1989
Bereich: Atomkraft