Materialien 2013

Auf die Straße gejagt

XXXLutz – Impressionen von einer Möbelhaus Mahnwache

Die Stimmung unter den rund 50 Beschäftigten von XXXLutz, die sich zur Mahnwache vor dem Münchner Einrichtungshaus auf der Schwanthalerhöhe getroffen haben, ist bedrückt. Seit dem
5. Oktober, dem letzten Wiesn-Samstag, ist ihr Leben wie zerstört. Was war an diesem Tag passiert? Bereits zwei Stunden vor dem Ende der Öffnungszeit war das Restaurant des Möbelhauses leer, die Lichter waren ausgeschaltet. Den Beschäftigten kam das schon merkwürdig vor. Um 18 Uhr wurden dann die Kunden per Lautsprecherdurchsage informiert, dass das Einrichtungshaus „aus betriebstechnischen Gründen heute um 18.30 Uhr schließen wird“. Als nächstes wurden die Beschäftigten gebeten, um 18.30 Uhr ins Betriebsrestaurant zu kommen. Geschäftsführer Dirk Bader verkündete die Schließung des Möbelhauses vom folgenden Montag an.

Im gesamten Haus befanden sich bereits Wachleute eines privaten Sicherheitsdienstes. Die Beschäftigten wurden aufgefordert, ihre privaten Sachen zügig zusammenzupacken und mit nach Hause zu nehmen. Das durften sie aber nur in Begleitung eines Wachmanns erledigen. Eine Mitarbeiterin, die 34 Jahre im Unternehmen ist, durfte nur in Begleitung eines Wachmanns zur Toilette gehen. Und das, obwohl man ihr vor Jahrzehnten die Kasse anvertraut hat.

Seit diesem Tag ist nicht nur das Arbeitsleben, sondern auch das Privatleben von 160 Beschäftigten zerstört. Eine Verkäuferin, seit 26 Jahren im Unternehmen, leidet seitdem unter Schlafstörungen. Auch ihre Kolleginnen, die mit ihr zur Mahnwache gekommen sind, berichten von schlaflosen Nächten und Depressionen, die sie auch sechs Wochen nach dem Schockerlebnis noch erleiden.

Eine Mitarbeiterin, die vor 40 Jahren im Karstadt-Einrichtungshaus angefangen hat, spricht davon, dass das Möbelhaus „ihr Leben, ihre Familie“ gewesen sei. „Und jetzt werden wir wie räudige Hunde vom Hof gejagt. Das tut unheimlich weh!“ Die Kollegin neben ihr, seit 23 Jahren im Unternehmen, sagt, dass sie immer da gewesen sei, wenn Überstunden erforderlich waren. Krankmachen, das habe es bei ihr nicht gegeben. Sie sei sogar eine Woche nach einer Operation am Samstag wieder zur Arbeit gekommen. „Und das ist jetzt der Dank für meinen Einsatz“, fügt sie hinzu und kann kaum die Tränen zurückhalten. Ein 60-jähriger Haustechniker, seit 32 Jahren dabei, macht sich um seine Zukunft Sorgen. „Mir fehlen noch fünf Jahre bis zur Rente. Wer stellt mich denn mit 60 noch ein? Muss ich jetzt in zwei Jahren Hartz IV beantragen?“

Nach einer knappen Stunde lösen die Beschäftigten die Mahnwache auf. Trotz der Verzweiflung sind sie fest entschlossen, ihren Kampf für einen „gerechten“ Sozialplan fortzuführen. Sie haben auch gar keine andere Wahl.

Eigentum verpflichtet

Seit über 20 Jahren arbeite ich hauptamtlich für die Gewerkschaft. In dieser Zeit habe ich viele Sauereien von Unternehmern erlebt bzw. erleben müssen. Obwohl ich die harte Realität in manchen Unternehmen kenne, bin ich fassungslos, wie XXXLutz mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern umspringt. Langjährig Beschäftigte werden so tief verletzt, dass sie sich zeitlebens nicht mehr davon erholen werden. In unserem Grundgesetz steht in Artikel 14 (2): „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Wenn dies ernst genommen würde, müsste es XXXLutz verboten werden, weiterhin als Möbelhaus auf dem Markt tätig zu sein.

Eine gesetzliche Grundlage für solch ein „Unternehmensverbot“ gibt es aber nicht. Noch nicht!

Heinrich Birner


ver.di PUBLIK 8/2013, 7.