Materialien 1994

Erörtern nicht erlaubt!

Erörterung zum FRM II – Alibiveranstaltung für 3,5 Mio. Mark Steuergelder

Ein Glanzstück von bayerischem Demokratieverständnis lieferte das Bayerische Umweltministerium beim Erörterungstermin zum Atomforschungsreaktor FRM II, der in Garching vor den Toren Münchens und nahe dem neuen Großflughafen München II errichtet werden soll.

Am 3. Mai begann die Erörterung der Einwendungen zum FRM II, wozu die Genehmigungsbehörde – das Bayerische Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen – alle EinwenderInnen schriftlich eingeladen hatte. Vor Beginn des Verfahrens wurden die EinwenderInnen bei einer Auftaktkundgebung des Bündnis gegen Atomreaktor Garching auf die politische Brisanz und auf die Gefahren, die dieser Reaktor mit sich bringen würde, hingewiesen. Ein großes Aufgebot an privaten Sicherheitskräften wie in der Halle die an einem extra eingezogenen Zwischenboden festgeschraubten Tische und Stühle der EinwenderInnen zeugten von einer gewissen Nervosität der Genehmigungsbehörde.

Weltweit aufsehenerregendes Projekt

Verhandlungsleiterin Edeltraud Böhm-Amtmann – Ministerialrätin im Bayerischen Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen – versuchte zu Beginn des Verfahrens den Eindruck zu erwecken, dass die Bedenken der 50.120 EinwenderInnen – davon 304 Einzel- und 14 Kommunen-Einwendungen – von der Genehmigungsbehörde ernsthaft geprüft würden und kündigte unter Hinweis auf die festgelegte Tagesordnung ein faires Verfahren „für dieses weltweit aufsehenerregende Projekt“ an.

Die Hoffnung der ca. 1.000 anwesenden EinwenderInnen in der Rudi-Sedlmayer-Halle auf ein faires Verfahren verblasste aber ziemlich schnell. Ein erster heftiger Protest richtete sich gegen die vorgegebene Tagesordnung: Wichtige Einwände, wie z.B. die Problematik der Verwendung von hochangereichertem Uran, die Auswirkungen der radioaktiven Niedrigstrahlung und die nicht nach EG-Richtlinie durchgeführte Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) wurden auf Tagesordnungspunkt „Sonstiges“ verwiesen. Bereits im Vorfeld der Erörterung hatte die Genehmigungsbehörde bekannt gegeben, dass diese Themen für die Genehmigung des Reaktors nicht relevant sein werden. Da aber hierzu viele Einwände vorlägen, dürften diese Themen zum letzten Tagesordnungspunkt angesprochen werden.

Autoritäre Verhandlungsführung

Die Verhandlungsleitung hielt sich strikt an ihre Tagesordnung und ließ auch nicht die geringste Ausnahme zu. Ein Gast aus Osterreich, der stellvertretend für 2.500 EinwenderInnen angereist war, bat, seine Einwände zusammenhängend vortragen zu dürfen. Dies wurde ihm verweigert, er hätte also über die gesamte Zeit der Erörterung anwesend sein müssen und hätte nur zum jeweils aufgerufenen Tagesordnungspunkt sprechen dürfen. Gleichermaßen erging es den Kommunen wie auch der Stadt München: Ihnen wurde ebenfalls eine zusammenhängende Stellungnahme verwehrt. Letztlich wurde damit von allen EinwenderInnen verlangt, ständig präsent zu sein und für mehrere Wochen Urlaub zu nehmen.

Voreilige Äußerungen des Ministeriums

Gleich eingangs legte die Verhandlungsleiterin das eindeutige Votum der Bayerischen Staatsregierung für den Reaktor dar. Dies veranlasste den Rechtsbeistand des Bündnis gegen Atomreaktor Garching, Dr. Tillo Guber, den ersten Aufhebungsantrag zu stellen: Der Termin solle ausgesetzt werden, bis die Äußerungen der Herren Goppel und Stoiber, der Reaktor müsse gebaut werden, zurückgenommen würden.

Der zweite Aufhebungsantrag schloss sich gleich an: Eine Umweltverträglichkeitsprüfung, wie sie das EG-Recht für den Bau einer Atomanlage fordert, wurde weder im Raumordnungsverfahren noch im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren durchgeführt. Eine UVP fordert die Prüfung der Notwendigkeit des Vorhabens, die Prüfung von Alternativen und die Betrachtung der sogenannten „Nullvariante“: welche Situation ergibt sich, wenn der Reaktor nicht gebaut würde.

Strafverfahren gegen Betreiber anhängig

Schließlich folgte noch ein dritter Aufhebungsantrag, da ein Strafverfahren gegen die Betreiber des FRM I seit zweieinhalb Jahren anhängig ist: 1989 traten radioaktive Substanzen über lange Zeit unbemerkt aus einem undichten Abwasserrohr und verseuchten das Erdreich. Dieses Thema führte zu einem lebhaften Wortwechsel zwischen Einwendern und der Genehmigungsbehörde. Die Verhandlungsleitung versuchte zwar immer wieder, den Einwendern das Wort zu entziehen, indem sie im Bedarfsfall das Mikrophon abstellte. Trotzdem kam klar zum Ausdruck, dass den Betreibern, also der Technischen Universität München, ein wasserrechtlicher Bescheid vorlag, „den Abwasserkanal in betriebsmäßig ordentlichem Zustand zu halten“. Die Ursache des Lecks ist inzwischen bekannt: Wurzelwuchs hatte das Rohr verstopft. Dies nimmt bekanntlich einige Jahre in Anspruch und beweist, dass die vorgeschriebenen Überprüfungen des Kanals nicht durchgeführt wurden. Die Betreiber haben also gegen wasserrechtliche Genehmigungsbescheide verstoßen.

Edeltraud Böhm-Amtmann stellte klar, dass Anträge im Genehmigungsverfahren nicht zulässig seien, eine Ablehnung der Aufhebungsanträge von daher nicht nötig sei.

Auf der Pressekonferenz in der Mittagspause bestätigten die Rechtsbeistände einhellig, dass die Verhandlungsleiterin den ihr in der Atomrechtlichen Verfahrensverordnung (AtVfV) zugestandenen „Ermessensspielraum“ zur Durchführung der Erörterung ausschließlich zuungunsten der EinwenderInnen nutzte.

Sicherheitsbericht bereits überholt

Am 12. April dieses Jahres wurde per Beschluss der Bayerischen Staatsregierung festgesetzt, dass der Reaktor mit einem sogenannten Vollschutz gegen Flugzeugabstürze ausgelegt werden soll. Das heißt aber, dass Planungsänderungen von den Außenwänden bis hin zum Reaktorbecken notwendig sind. Diese Umplanungen liegen derzeit offenbar noch nicht einmal der Genehmigungsbehörde vor. Dies veranlasste das Bündnis gegen Atomreaktor Garching, einen weiteren Aufhebungsantrag des Erörterungstermins zu stellen, da der ausgelegte Sicherheitsbericht nicht mehr Grundlage der Erörterung sein kann. Auch dieser Antrag wurde von der Verhandlungsleitung nicht angenommen; er wäre ohnehin abzulehnen, da „dies nicht im Sinne der vielen EinwenderInnen sein kann“, so Frau Böhm-Amtmann.

Massive Einschränkungen am zweiten Erörterungstag

Am zweiten Tag wurde Punkt 1 der Tagesordnung „Zuverlässigkeit der Betreiber“ fortgesetzt. Während am Vortag Redner bis zu einer Stunde erläutern durften, wurde die Redezeit am zweiten Tag rigoros auf fünf Minuten gekürzt. Damit wurde von vorneherein eine sachliche Ausführung eines Einwandes unmöglich gemacht. Je kritischer die Beiträge wurden, desto mehr blockierte die Verhandlungsleitung die Ausführungen der EinwenderInnen. So wurden Fragen an die Antragsteller nur weitergeleitet, wenn diese vorgefertigte Statements dazu verlesen konnten. Bei Unsicherheiten stellte Frau Böhm-Amtmann ihrerseits die Frage an die Antragsteller: „Möchten Sie diese Frage beantworten?“ Diese wurde meist verneint. Schließlich wurden Fragen des UMWELTINSTITUT MÜNCHEN E.V. an die Antragsteller bezüglich der gravierenden Unzulänglichkeiten des Sicherheitsberichts und die stellenweise gezielte Irreführung der LeserInnen generell unterbunden. Mit dem Hinweis, Fragen müssten schriftlich an die Genehmigungsbehörde gerichtet werden, wurde dem UMWELTINSTITUT MÜNCHEN E.V. das Rederecht entzogen, es wurde uns auch nicht erlaubt, das Wort an den Rechtsbeistand weiterzugeben. Diese Einschränkungen bestimmten den restlichen Tag, immer häufiger wurden Beiträge unterbrochen und abgebrochen, Rechts- und Sachbeistände durften nicht mehr zugezogen werden. Dies gipfelte in einem Befangenheitsantrag gegen die Verhandlungsleitung, der von Frau Böhm-Amtmann als „Behauptungsantrag“ an die Umweltbehörde zur Überprüfung weitergeleitet wurde. Unbeirrt setzte sie die Erörterung fort und verwies darauf, dass sie die Entscheidung über diese Anträge, sobald sie vorlägen, verlesen werde.

Siemens AG und Zuverlässigkeit

Im weiteren Verlauf wurde – soweit es die Einschränkungen im Rederecht zuließen – die Zuverlässigkeit der Siemens AG als Mitantragstellerin „erörtert“. Die vielen belegbaren Störfälle im Zusammenhang mit der Herstellung von radioaktiven Produkten, die im einzelnen natürlich nicht aufgeführt werden durften, veranlassten Herrn Stubbe als Siemensvertreter zur Aussage: „Es hat bei Siemens Vorfälle gegeben, die nicht akzeptabel sind.“ Ganz vorsichtig kommentierte er auch die „78 meldepflichtigen Vorkommnisse“, die Siemens zu verzeichnen hat: diese „dürften mit ganz wenigen Ausnahmen“ in der Kategorie N (Normal) sein, also „ohne Auswirkungen auf Mensch und Umwelt“.

Mindestanforderungen an faire Verhandlung

Am Ende des zweiten Erörterungstages war klar, dass dieser Erörterungstermin nichts weiter als eine Alibiveranstaltung für die Akten des Verfahrens darstellt. Von einer sachlichen Erörterung konnte keine Rede sein. Das Bündnis gegen Atomreaktor Garching stellte einen Forderungskatalog auf, den es für eine weitere Teilnahme an diesem Verfahren zur Bedingung machte:

▓ Die EinwenderInnen haben Gelegenheit, ihre Ausführungen im Zusammenhang und ohne Unterbrechung mit der jeweils erforderlichen Redezeit vorzutragen.

▓ EinwenderInnen können zum gleichen Tagesordnungspunkt mehrfach das Wort ergreifen.

▓ Den EinwenderInnen wird ihr Recht zugestanden, sich bei ihrem Redebeitrag ihrer Sachbeistände und ihrer Bevollmächtigten zu bedienen.

▓ Im Sinne einer sachgerechten Erörterung wird von der Verhandlungsleitung dafür Sorge getragen, dass Fragen, die von den EinwenderInnen an die Antragsteller gestellt werden, auch beantwortet werden.

▓ EinwenderInnen, denen es nicht möglich ist, ständig am Erörterungstermin teilzunehmen, wird die Möglichkeit gegeben, zu einem in Absprache festgelegten Zeitpunkt ihre Einwendungen an allen Tagesordnungspunkten vorzutragen.

Diese Minimalanforderungen für eine sachgerechte Erörterung wurden von der Verhandlungsleitung explizit abgelehnt.

Kein Interesse an sachgerechter Diskussion

Der dritte Tag der Erörterung bestätigte das Desinteresse der Genehmigungsbehörde an einer Diskussion erneut.

Obwohl noch immer Wortmeldungen zu Punkt 1 der Tagesordnung vorlagen, rief die Verhandlungsleitung Punkt 2 auf . Die meisten EinwenderInnen haben inzwischen verärgert den Saal verlassen. Da deswegen nur wenige Wortmeldungen zu Punkt 2 eingingen, kam die Verhandlungsleitung schnell zu Punkt 3 „Reaktoranlage“, wozu Michael Sailer (Öko-Institut) als Sachbeistand der Stadt München das Wort bekam. Er legte noch einmal dar, dass jede Diskussion über die Anlage überflüssig sei, solange die Neuplanungen, bedingt durch den besseren Schutz gegen Flugzeugabstürze, nicht auf dem Tisch lägen. Die Verhandlungsleitung verwies einmal mehr darauf, dass dieser Punkt an anderer Stelle der Tagesordnung zu diskutieren sei.

Nach einer Pause verlas Frau Böhm-Amtmann dann die Entscheidung des Ministeriums über die Befangenheitsanträge bzw. „Behauptungsanträge“ der Einwenderseite. Eine halbe Stunde lang wurde ausgeführt, dass die Verhandlungsleitung korrekt innerhalb ihres Ermessensspielraumes handelte und speziell das UMWELTINSTITUT MÜNCHEN E.V. wurde noch einmal darauf hingewiesen, dass auf diesem Erörterungstermin „direkte Fragen der Einwender an die Antragsteller nicht zulässig sind“.

Ende der Beteiligung am Erörterungstermin

Nach der Verlesung der Ablehnung der Befangenheitsanträge erläuterte Rechtsanwalt Dr. Guber in Übereinstimmung mit den Bündnismitgliedern, dass eine weitere Teilnahme unter diesen Bedingungen nicht mehr sinnvoll sei. Daraufhin verließen die Bündnismitglieder mit ihren Rechts- und Sachbeiständen den Saal.

Bedenken aus den USA

Das hartnäckige Bestehen der Antragsteller auf der Verwendung von hochangereichertem und somit waffenfähigem Uran bringt sie zunehmend in Schwierigkeiten. Die USA hatten bereits vor dem Erörterungsverfahren Bedenken bezüglich Weiterverbreitung von atomwaffenfähigem Material (Proliferation) angemeldet und die ursprünglich geplante Lieferung des Urans in Frage gestellt. Obwohl die Antragsteller diese Problematik wiederholt heruntergespielt haben, wurde bekannt, dass sie bereits Verhandlungen mit Frankreich und Russland aufgenommen haben.

Möglicherweise wird dies dazu beitragen, dass nun doch von politischer Seite ein Verzicht auf hochangereichertes Uran verlangt wird. Eine Umplanung des FRM II auf einen Betrieb mit niedrigangereichertem Uran würde das Projekt aber erheblich verzögern und vor allem erheblich verteuern. Dann würde selbst die Bayerische Staatsregierung in Finanzierungsschwierigkeiten kommen, die sich bislang diesbezüglich sehr zuversichtlich gab.

Ein Stück bayerische Realität

Dieser Bericht kann nur einen Einblick in den Verlauf der ersten drei Erörterungstage vermitteln. Wer dieses Schauspiel nicht selbst miterlebt hat, kann sich kein Bild davon machen, wie mit den berechtigten Bedenken der BürgerInnen gegen das Projekt FRM II umgegangen wurde. Die Würde der EinwenderInnen wurde durch die repressive Art der Verhandlungsleitung auf krasse Art und Weise verletzt.

Dieses Schauspiel „bayerischer Demokratie“ verschlingt eine Unsumme Steuergelder. Nicht nur die intensive, mehrwöchige psychologische und taktische Vorbereitung der Antragsteller und auch der Verhandlungsleitung auf das Feindbild „Einwender“ ist zu hinterfragen. Dass die bayerische Staatsregierung sich öffentlich für die Durchsetzung des Reaktorbaus einsetzt und gleichzeitig behauptet, dass die ihr unterstehende Genehmigungsbehörde unabhängig die Entscheidung fällt, ist unglaubwürdig.

Die EinwenderInnen wollten die Erörterung qualifiziert im Rahmen einer sachlichen Auseinandersetzung führen. Offensichtlich gefährden die Einwendungen die geplante Genehmigung. Eine öffentliche Diskussion ist deshalb nicht erwünscht.

Erörterung auf anderer Ebene

Da das UMWELTINSTITUT MÜNCHEN E.V. gemeinsam mit den Bündnispartnern gegen Atomreaktor Garching ein Interesse an einer sachlichen Darstellung der Kritik an diesem Atomreaktor hat, planen wir eine Veranstaltung, in der diese Diskussion zusammenhängend geführt werden kann. Wir wollen dazu sowohl die Antragsteller als auch die Genehmigungsbehörde einladen, aber unter einer unabhängigen Verhandlungsleitung, die diesem Attribut auch gerecht wird. Eine öffentliche Diskussion zu diesem Thema wird Dank Ihrer Unterstützung selbst in Bayern nicht verhindert werden.

Christina Hacker


Umweltnachrichten. Hg. vom Umweltinstitut München e.V. Verein zur Erforschung und Verminderung der Umweltbelastung 56/1994.

Überraschung

Jahr: 1994
Bereich: Atomkraft