Flusslandschaft 1965

Atomkraft

Anfang Januar meldet das Radio, dass Ministerpräsidenten Alfons Goppel und sein Landwirt-
schaftsministers Alois Hundhammer den Ebersberger Forst als Standort für einen Protonenbe-
schleuniger des Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire (CERN) vorschlagen wollen. Dies löst einen Sturm der Entrüstung rund um den Forst und in München aus. Im Herbst entsteht die Schutzgemeinschaft Ebersberger Forst.

Bis zum August 1963 veranstalteten die USA, die Sowjetunion und Großbritannien oberirdische Atombombentests. Frankreich und China testeten auch danach noch weiter. Jahre und jahrzehnte-
lang hält sich konzentrierte radioaktive Strahlung in der Atmosphäre: „… Im März 1964 wurde in München ein vorübergehendes Ansteigen der Ablagerung von Alpha-Strahlen beobachtet. Das Bundesforschungsministerium stellte dazu abwiegelnd fest: ,Die in München beobachteten Men-
gen liegen unter der Toleranzgrenze. Eine Beunruhigung ist aber nur dann angebracht, wenn die verstärkte Radioaktivität nicht eine vorübergehende Erscheinung ist, sondern das ganze Jahr über andauert.’ Die Münchner Gesundheitsbehörde stellte bei den Regenfällen zwischen dem 15. und dem 29. Oktober 1965 eine sechzehnmal so starke Belastung mit langlebigen Alpha-Teilchen wie ,normal’ fest. Man zog es aber vor, die Bevölkerung mit der Mitteilung dieses Anstieges nicht zu beunruhigen. Als dies im Januar 1966 herauskam, verteidigte man das Verschweigen mit dem Argument, die Bevölkerung wäre nur unnötig beunruhigt worden. Es hätte zu keinem Zeitpunkt irgendeine Gefahr gedroht, und es würde auch jetzt keine Gefahr drohen. Von einer Verseuchung der Lebensmittel sei nichts bekannt. Außerdem könne man nicht ausschließen, dass bei den Mes-
sungen möglicherweise ein Fehler unterlaufen sei. Ein namhafter Fachmann vom Münchner Insti-
tut für Strahlenschutz, Dr. Wittenzeller, attestierte den Verschweigern sogar Verantwortungsbe-
wusstsein. Man könne erst dann von einer alarmierenden Situation sprechen, wenn die Bevölke-
rung einem erhöhten Strahlenquantum über längere Zeit, das heißt über Jahre, ausgesetzt sei. Über die Herkunft der langlebigen Strahlung konnte auch er keine Angaben machen, versprach aber, die Angelegenheit weiter zu untersuchen. Das Gesundheitsamt ließ darüber hinaus verlauten, Gesundheitsschädigungen müssten erst dann befürchtet werden, wenn über lange Zeit hinweg die Radioaktivität hundertmal höher als die bisher höchsten Werte sei. Die in München gemessenen Werte seien zwar bemerkenswert, aber völlig ungefährlich. Bundeswissenschaftsminister Stolten-
berg konnte sich die Quelle der radioaktiven Strahlung in München und im Voralpengebiet auch nicht erklären. Vielleicht sei es nicht auszuschließen, dass ein Atomunfall in Frankreich zu dem – allerdings natürlich völlig ungefährlichen! – Ansteigen der Strahlung geführt haben könnte. Die Bundesregierung könnte aber zu Abwehr- und Schutzmaßnahmen genötigt sein, wenn die im ver-
gangenen Herbst gemessene Radioaktivität unvermindert anhalten sollte, konkretisierte Stolten-
berg immerhin. Eine der in diesem Fall zu ergreifenden Maßnahmen seien ‚Verhandlungen’ mit benachbarten Staaten, beschwichtigte der Minister….“1

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„Für die Bevölkerung besteht keine Gefahr; wir haben alles im Griff!“ Der Computer im Kernforschungszentrum Garching. Foto: Lebeck/Pontis


1 Benedikt Weyerer: „Tschernobyl war nur die bisherige Spitze. Mit Beschwichtigungen, Desinformation und Gedankenlosigkeit reagierten Politiker und Behörden schon lange vor dem Super-GAU“ In: Münchner Stadtanzeiger 16 vom 18. April 1996, 14.

2 Privatsammlung

Überraschung

Jahr: 1965
Bereich: Atomkraft