Flusslandschaft 2010
Wohnen
Im Frühjahr erscheint die erste Nummer der Zeitung „Unser Viertel“ mit dem Untertitel: „Bullen, Bonzen, Nazis raus aus Giesing“.1
Eine Mieterin einer 120 qm großen Altbauwohnung in den Mollblöcken auf der Schwanthalerhöhe, die seit dreißig Jahren jährlich eine Mieterhöhung zwischen ein und drei Prozent bezahlt, erfährt zu Jahresbeginn, sie solle zum 1. Mai zwanzig Prozent mehr zahlen. Schon bald sind es dreihundert Mieterinnen und Mieter, die bedrückt und verunsichert sich zusammentun, Unterschriften sammeln, Zeitungsberichte auslösen und eine Rücknahme der Mietsteigerung erreichen. Um Andrea von Grolmann entsteht daraufhin die Bürgerinitiative Bündnis Bezahlbares Wohnen.
Maxvorstadt: „… Im Frühjahr dieses Jahres war es, als Jürgen Todenhöfer fürchtete, sein Vermächtnis könnte schwer Schaden nehmen. ‚Ich war verzweifelt.’ Er hatte viel Geld der Stiftung in Münchner Immobilienprojekte gesteckt, in Altbauten, die saniert werden, das wirft am meisten Rendite ab, das ermöglicht am meisten Hilfe. Dabei gerieten er und seine Investoren-Freunde an ein denkmalgeschütztes Haus in der Türkenstraße. Als es aus der Denkmalliste genommen wurde, um es teilweise abzureißen, begannen die Mieter zu rebellieren. Und als die Süddeutsche Zeitung bei Jürgen Todenhöfer anfragte, warum ausgerechnet seine Stiftung, die sich doch um Alte und Bedürftige kümmern wolle, in ein Haus investiere, in dem Alte womöglich die Zeche der Sanierung zahlen müssen, da wurde dem Stifter bang. — Er handelte. Es müssen harte Gespräche mit seinen Co-Investoren gewesen sein. Ich muss raus, sagte er, und die anderen wussten, dass er nicht blufft, und dass sie tunlichst seinen Wunsch erfüllen mussten, das Türkenstraßen-Haus in den nächsten Jahren in Ruhe zu lassen. Vorerst ziehen wieder Studenten in die bereits leeren Räume ein. Aus allen Wohnimmobilien werde er sich zurückziehen, sagt Todenhöfer. Recht ratlos. — Man wundert sich, dass der Mann, der jahrelang als Finanzchef den Burda-Konzern führte, nicht früher die Gefahr erkannte, die für seine Stiftung im Münchner Mietmarkt lauert, wo man schnell das Etikett Entmieter abbekommt. Künftig werde er nur noch in Gewerbeimmobilien investieren, auch wenn die weniger abwürfen und ein höheres Risiko darstellten. Todenhöfer hadert, weil er fortan weniger Krücken für Kriegsopfer kaufen und weniger bedürftige Münchner Senioren unterstützen kann. Aber es muss sein, es geht um Glaubwürdigkeit …“2
Seit 1920 liegt an der Lassallestraße in Feldmoching die 160.000 Quadratmeter große Egartensiedlung, ein Idyll, in dem über hundert Mieter und Pächter in ihren Gärten Obst und Gemüse für den Eigenbedarf anbauen. Die Immobiliengesellschaft Vivico Real Estate will hier ein Wohnquartier errichten; vielen Mietern flattern die Kündigungsschreiben ins Haus, ein Anlass, sich Anfang des Jahres zusammenzuschließen und für die eigene grüne Oase zu kämpfen.
1 www.unserviertel.blogsport.de/zeitungen/
2 Bernd Kastner: „Gutes tun, aber leise. Jürgen Todenhöfer, früher stellvertretender Burda-Chef und CDU-Scharfmacher, hat sein Geld in Stiftungen gesteckt“ in Süddeutsche Zeitung 297 vom 23. Dezember 2010, R 8.