Materialien 1991
Die Sanduhr am Golf läuft
15. Januar 1991
Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Süssmuth,
Die Sanduhr am Golf läuft. Während ich dies schreibe, ist noch kein Schuss gefallen.
In den letzten Stunden ist es uns schmerzlich bewusst geworden, dass – wieder einmal – weiblicher Protest entweder zu schwach war oder niedergehalten wurde.
Wir bitten Sie als Frau, die von allen politischen Gruppierungen in diesem Lande geachtet wird, unseren Protest gegen den drohenden Krieg aufzunehmen und auf internationaler Ebene weiterzugeben.
Krieg darf in unserer Zeit kein Mittel politischer Auseinandersetzung mehr sein. Jeder Krieg endet mit einer Konferenz. Dieses Mal müssen die Verhandlungen vor dem Krieg stattfinden. Es könnte der letzte sein. Wir Frauen müssen eingreifen. Sofort.
Wir fordern eine internationale Frauenkonferenz, die den Golfkonflikt analysiert und eine Konfliktlösung sucht, die diesen Namen verdient.
Wir bitten Sie dringend, die Initiative zu ergreifen ! ! !
Hilfreich erscheinen uns hierzu die Vorschläge Dr. Johan Galtungs, Begründer der Friedensforschung, Stockholm.
Diese wurden am 11. Januar 1991 bei einer Veranstaltung der IPPNW und des Instituts für Psychologie und Friedensforschung e.V. in München vorgetragen.
1. Die Wirkung der Sanktionen muss abgewartet werden.
2. Unverzüglich muss eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit der Staaten des Nahen Ostens einberufen werden.
3. Die Vereinten Nationen müssen ihre Bereitschaft signalisieren, umgehend die Palästina/Israel-
Frage als kontinuierlichen Punkt in ihre Tagesordnung aufzunehmen, bis die Arbeitsfähigkeit der KSZNO gegeben ist.
4. „Blauhelme“ der UNO übernehmen Zug um Zug die Überwachung der Einhaltung der Sanktionen gegen den Irak.
5. International und national muss jeglicher Rüstungsexport unterbrochen werden.
6. Der Bruch und die Umgehung der Sanktionen muss die sofortige Entlassung der Firmenreprä-
sentanten nach sich ziehen. Die Firmen müssen eine Strafe zahlen, die der Höhe des unerlaubten Abschlusses entspricht. Das gleiche gilt für die Transportunternehmen.
7. Jeder Staat hat einen prozentualen Anteil seines Bruttosozialproduktes zur Verfügung zu stellen, damit die Nahrungs- und Medikamentenversorgung des sanktionierten Landes gewährleistet ist und den Ländern ein Ausgleich gezahlt werden kann, die durch die Boykottmaßnahmen direkt und indirekt benachteiligt sind.
8. Jeglicher Zahlungsverkehr mit dem sanktionierten Land ist einzustellen. Die Auslandskonten der Bürger des sanktionierten Landes werden eingefroren.
9. Die Bundesregierung muss deutlich machen, dass sie auf eine militärische Option verzichten will.
10. Der Bundestag muss sofort Verordnungen und Gesetze erlassen, damit obengenannte Forderungen erfüllt werden können.
11. Die Bundesregierung spricht sich sofort für die Bereitschaft zu einer europäischen Mittlerrolle zwischen den USA und dem Irak aus.
Wir schließen uns diesen Vorschlägen vollinhaltlich an.
Mit den besten Wünschen
Mona Summers,
Mütter gegen Atomkraft e.V.
im Auftrag der
Friedensinitiative Christen in der Region
Pax Christi München
Mütter und Väter gegen atomare Bedrohung, Berlin
Die Berliner Compagnie
Die Münchner Mahnwache gegen die Atomgefahr
Women’s International League for Peace and Freedom
P.S.: 17. Januar 1991 – Der Krieg hat begonnen. Er muss schnellstens beendet werden. Daher ist die Notwendigkeit einer Frauenfriedenskonferenz dringender denn je.
Dieses Schreiben geht mit der Bitte um Unterstützung an
Frau Marianne von Weizsäcker
Frau Petra Kelly
Frau Renate Schmid
Frau Prof. Dr. Ursula Männle
Mütter Courage. Zeitung der Mütter gegen Atomkraft 1/1991, 21.