Flusslandschaft 2012

Lebensart

Einheitsfeier am Mittwoch, 3. Oktober: Die Stadt ist besetzt. Unzählige Massen bevölkern den öffentlichen Raum. Viele von ihnen tragen blitzsaubere Gewänder, die angeblich auf Traditionen der bäuerlichen Aborigines im weiß-blauen Lande zurückzuführen sind. In München beginnt die Verdirndelung der Welt. Und es zeigt sich wieder mal die Klassenspaltung ganz klar: Aufwendige Chiemgauer Tracht weist auf einen prall gefüllten Geldbeutel hin, high heels in Kombination mit karierten Schürzen bedeuten, dass im Stall nicht Kühe gemolken werden. Und dass viele der Le-
dernen und der griabigen Hüatei von fleißigen chinesischen Händen für beinahe umsonst genäht, bestickt, geformt wurden, sieht man ihnen gar nicht an.

Wer sich der Wiesn von Osten her nähert, gewissermaßen gegen deren Windschatten schnürt, findet den Weg mit seinem Riechkolben: Die Mischung aus Urin und Erbrochenem machts. Bist
du dann dort und hast gar ein gemütliches Platzerl in einem Bierzelt gefunden, hauns dir die Maß vors Gfries: 0,85 Liter sind drin. Wenn du beim Bezahlen des Fuchzgerl wieder raus haben willst auf den Zehner, grinst die Bedienung und geht. Und wennst dann dei Noagal auszuzelt hast, hast sofort was Neues zu bestellen, ruckizucki, sonst …

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In der Unterführung der Theresienwiese Richtung Herzog-Ernst-Platz

Vernebelter Blick, diesmal auch im Hofgarten und auf der Ludwigstraße. Zu den Einheitsfeiern schwebt die politische Prominenz ein, um salbungsvolle Reden zu halten … Über die schwarz-rot-geile Ländermeile (Ludwigstraße/Hofgarten) läuft etwa eine Stunde lang das Promotionteam „Junge Union Hinterdupfing“ und verteilt Lose unter dem Motto „Glücksfee Deutschland“. Um
15 Uhr soll ja am CSU-Stand eine Tombola stattfinden, an der auch Politikerinnen und Politiker „befragt“ werden können. Auf den verteilten Losen ist zu lesen: „Gewinnnummer 15 – Herzlichen Glückwunsch, das bayerische Innenministerium spendiert Ihnen einen Abschiebeflug nach Afgha-
nistan!“ oder „Gewinnnummer 129 – Herzlichen Glückwunsch, Sie sind Fan eines Landes, in dem Flüchtlinge unter menschenunwürdigen Verhältnissen leben!“

Tausende, Abertausende bevölkern die schwarz-rot-gold und weiß-blau beflaggte Innenstadt. Sie haben die Stadt im Klammergriff. Halt, da findet sich doch noch ein kleines Grüppchen, das dem Nationalrausch Argumente entgegenhält. Etwa Sechshundert demonstrieren ab 14.30 Uhr vom Stachus aus. Polizeifahrzeuge stehen in Massen in den Nebenstraßen. Das SEK ist auf den Beinen. Nicht, weil das Queerkafe vom Tröpferlbad demonstriert, sondern weil der „schwarze Block“ anwe-
send ist. Der Zug kann erst losgehen, nachdem die Seitentransparente entfernt wurden. Einer der Sprechchöre lautet: „Hoch die antinationale Solidarität“. Begleitet werden wir von einem großen Polizeiaufgebot, es wimmelt von Zivilpolizisten, am Straßenrand steht der Wiesnpöbel, gibt Schwachsinniges von sich, einige bekannte Rechtsextreme begleiten den Zug. Nach lauten Prote-
sten wird PI-News-Autor Michael Stürzenberger vom USK in Sicherheit gebracht. Immer wieder kommt es zu Auseinandersetzungen, drei Personen werden festgenommen …2

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Kondomspender in der Toilette im Untergeschoss des Marienplatzes im Dezember


1 Foto © Volker Derlath

2 Siehe www.3oktober12.blogsport.de/2012/07/03/no-for-a-deutschland/, www.de.indymedia.org/2012/10/335888.shtml und Fotos der Proteste gegen die „einheitsfeier“ von Felicitas Hübner, Christoph Klinke und Franz Gans.

3 Foto © Volker Derlath

Überraschung

Jahr: 2012
Bereich: Lebensart