Flusslandschaft 2012

Alternative Szene

In fünfter Auflage mit neuem Nachwort erscheint: autonome a.f.r.i.k.a. gruppe / Luther Blissett / Sonja Brünzels Handbuch der Kommunikationsguerilla, Hamburg 2012. Die von Rezensenten als »Erste-Hilfe-Buch für Gesellschaftskritik« bezeichnete Handreichung von 1997 hat verschiedene Generationen politischer AktivistInnen inspiriert und zur Entwicklung kreativer politischer Pro-
testformen beigetragen. Den sozialen Protestbewegungen stellt es einen unentbehrlichen Werk-
zeugkasten zur Verfügung. Anlässlich des Erscheinens der französischen Ausgabe bezeichnete »Le Monde« die VerfasserInnen des »Kultbuches« als »Handwerker, die die Bemühungen der Herr-
schenden zum Einsturz bringen, als freche Schlingel, die aus der Subversion eine schöne Kunst machen und nicht ohne Genuss die Lunte des Aufstands gezündet haben. Ein Buch, das nicht in alle Hände fallen sollte!« Tatsächlich konstatieren die AutorInnen in einem ak-Interview: »Als Kommunikationsguerilleras freuen wir uns über jede Aktion, die die herrschende kulturelle Gram-
matik unterläuft, aushöhlt, verspottet und die zeigt, dass das Leben auch ganz anders sein kann. Das können hübsche Fakes, gut plazierte Torten oder auch ein fein inszeniertes unsichtbares Thea-
terstück sein. Uns geht es dabei nicht um ›die‹ Wahrheit oder die richtige Ideologie, sondern um die bessere soziale Praxis. Das ist die Essenz unseres Begriffs des Politischen.« Wer also sind die mysteriösen AutorInnen, die über sich selbst schreiben: »We have declared ourselves to be the famous and fabulous forerunners of communication guerilla because we desire fame, money and beautiful lovers.« Eine Antwort geben sie selbst: »Die autonome a.f.r.i.k.a gruppe ist ein weltweit tätiger Zusammenhang von Teilzeit-Desperados. Ermüdet vom ergebnislosen Flugblattverteilen, machten sie sich auf die Suche nach einer lustvolleren Art, Politik zu betreiben, und fanden Erfül-
lung in der Theorie und Praxis der Kommunikationsguerilla – denn: Ist nicht die beste Subversion, die Codes zu entstellen, statt sie zu zerstören?«1

„… Das Feld scheint kein Ende zu nehmen. Wir übersteigen einen weiteren Zaun. Befinden uns auf einem Pfad. Ich versuche, in der Dunkelheit die Karte zu lesen und gleichzeitig zu filmen. Laut dem Plan müssten wir ganz nah dran sein. Wir sehen uns um. Plötzlich zeichnen sich in der Dunkelheit Umrisse ab. Graue Silhouetten erscheinen vor uns, es sind vielleicht zehn, wie Phantome. Ein paar helle Kleinbusse oder Lieferwagen nähern sich. Das müssen die Bullen sein. Sie haben allerdings kein Blaulicht. Sind wir angekommen? ‘Schau mal, Dreibeine’, sagt Duncan, und ein strahlendes Lächeln breitet sich über sein Gesicht aus, ‘das sind wir!’ Eindeutig, zwei Konstruktionen erheben sich in den Himmel, auf deren Spitzen akrobatische Gestalten herumturnen. Die Dreibeine, die ursprünglich erfunden wurden, um es Aktivisten zu ermöglichen, sich vor der Polizei in Sicherheit zu bringen, während ein Gelände oder eine Straße besetzt wird, sind zum Markenzeichen der Gruppen in Großbritannien geworden, die direkte Aktionen durchführen. Isa dreht sich zu mir um. Ihre Augen sind so groß wie Untertassen. Ich frage sie: ‘Und, wie fühlst du dich?’ ‘Wow … schwer zu beschreiben’, antwortet sie. Wir sprinten los und finden Anschluss an den Rest der Gruppe, wo wir uns sicher fühlen, wo wir all die vertrauten Gesichter vorfinden, die Blicke voll überschwäng-
licher Freude. Wir besetzten das Gelände – und weit und breit kein Bulle! Ich sehe zum Himmel, da ist eine Sternschnuppe. WIR HABEN ES GESCHAFFT! …“2

3
An der Litfaßsäule vor dem Import Export im Kreativquartier Ecke Dachauer/Schwere-Reiter-Straße anlässlich der Trauerfeier für Claus Schreer am 4. Oktober 2023

(zuletzt geändert am 7.10.2023)


1 Siehe www.assoziation-a.de/neu/Handbuch_der_Kommunikationsguerilla.htm.

2 Auszug aus Isabelle Fremeaux/John Jordan, Pfade durch Utopia. Ein Buch/Film, Edition Nautilus, Hamburg, August 2012. Dieses Buch plus Film ist sowohl spannender Reisebericht als auch Dokumentation utopischer Praxis, eine Ent-
deckungsreise auf der Suche nach postkapitalistischen Lebensformen. Vom illegalen Klima-Camp beim Londoner Flug-
hafen Heathrow bis zum von Punks besetzten Weiler in den Cevennen, von der von ihren Schülern selbst verwalteten anarchistischen Schule bis zur englischen Agrarkommune, von besetzten Fabriken in Serbien über die Freie-Liebe-Kom-
mune in einer alten ostdeutschen Stasi-Basis bis zum Bauernhof, auf dem Privateigentum gänzlich abgeschafft ist – die Autoren haben in den in den Breschen und Lücken der Gegenwart sehr lebendige Utopien gefunden. Aus dieser reichen Erfahrung ist Pfade durch Utopia entstanden, ein verführerischer Bericht, der vom Leben dieser Gemeinschaften erzählt, von ihrem Alltag und ihrer Geschichte. Der dem Buch beiliegende Film, der während der Reise gedreht wurde, ist ein poetisches Roadmovie aus der Zukunft.

3 Foto: Richy Meyer

Überraschung

Jahr: 2012
Bereich: Alternative Szene