Materialien 2012
Remember remember the 6th of december
Die Normalität regierte keine_r erwartete etwas Außergewöhnliches. Die Horoskope kündigten die Fortsetzung dieses Zustandes an.
Am 6. Dezember 2008 geraten zwei Bullen mit einer Gruppe junger Anarchist_innen in Konflikt. Der Bulle Epaminodas Korkoneas erschießt den 15-jährigen Alexandros Grigoropoulos.
Innerhalb einer Stunde versammeln sich Menschen und beginnen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Im Zuge dessen entlädt sich die Wut der Menschen in einem zerstörerischen Akt der Re-
volte, mehrere Universitäten und öffentliche Plätze werden besetzt, Einkaufszentren, Luxusge-
schäfte, Banken und Polizeistationen werden angegriffen und den Flammen übergeben. Bis zum Ende dieser Nacht hängt Tränengas in den Straßen Athens und die Polizei ist aus vielen Vierteln vertrieben worden.
Innerhalb weniger Stunden verbreitet sich die Revolte über ganz Griechenland.
An den Aufständen beteiligen sich weite Teile der Bevölkerung wodurch mit den verschiedensten Aktionsformen experimentiert wird.
Seit diesen Tagen versucht der Staat händeringend die herrschende Ordnung aufrecht zu erhalten. Immer wieder gab und gibt es Repressionsschläge des Staates gegen Individuen und Kollektive. So werden immer wieder Menschen mit fadenscheinigsten Begründungen eingeknastet, sei es für das Publizieren von Texten, Betreiben von Blogs, oder die angebliche Teilnahme an Angriffen. Denn jede_r ist ein_e potentielle_r Angreifer_In!
Dabei werden Gruppierungen und Einzelpersonen zu Führungskadern erklärt, da es unmöglich erscheint, dass solch spontane, aufständische Handlungen aus einem kollektiven Willen heraus, die Unterdrückung zu beenden, entstehen.
Der Angriff auf Einzelne stellt jedoch immer einen Angriff auf uns alle dar, da das Verlangen nach einer freien Welt unser gemeinsamer Wunsch ist. Die Gefahr geht dabei nicht von Individuen, sondern von unseren gemeinsamen Ideen aus, und somit bedarf es keiner gesetzlichen Legitimie-
rung von Repression mehr, da die bloße Existenz unserer Ideen, der bloße Gedanke, schon Gefahr genug ist.
Somit gerät mensch heutzutage nicht mehr nur dann ins Visier der staatlichen Repression, wenn Gesetze überschritten werden, sondern heute bekommt sie jede_r zu spüren, der_die nicht bereit ist, oder dem_der es nicht möglich ist, seine_ihre vorgegebenen Rollen zu erfüllen.
In dem Moment, wo sich die Repression in allen Bereichen der Gesellschaft ausbreitet, ist es of-
fensichtlich naiv zu denken, dass sie nur diejenigen trifft, die die Staatssicherheit bedrohen. Die um sich greifende Repression zeigt jedoch nicht die Stärke der Bewegung, sondern die Schwäche des Staates in einer auseinanderbrechenden Welt.
Dabei wollen wir uns bei unserem Handeln nicht an Repressionsschlägen oder sonstigen Termi-
nen, die sich in die kapitalistische Normalität eingliedern, orientieren, rein reflexartig agieren und in einen einstudierten Abwehrkampf zurückziehen. Lasst uns stattdessen den Kampf, den die Ge-
fangenen und die Ermordeten begonnen haben, fortführen und die Bedingungen für die Befreiung aller schaffen. Was nicht heißen soll, dass wir uns mit den inhaftierten Kompliz_Innen entsolida-
risieren, denn die begonnenen Kämpfe fortzuführen, deren Aktionsformen aufzugreifen, weiterzu-
entwickeln und gleichzeitig zu hinterfragen, heißt direkte Solidarität. Wir stellen keine Forderun-
gen, beispielsweise für die Verbesserung von Haftbedingungen, an den Herrschafts- und Justizap-
parat, weil dies bedeuten würde, unsere Stellung in der Hierarchie zu akzeptieren. Die Selbstbe-
schränkung in dem Stellen von Forderungen raubt Kraft und ist immer mit dem Eingehen von Kompromissen verbunden.
Wir sehen die Forderung für die Freilassung von einigen politischen Gefangenen als eine Verkür-
zung der Kritik am ganzen Knastsystem und dessen gesellschaftlicher Funktion.
Wir stellen keine Forderungen, da wir nicht nach Veränderung fragen, sondern die Realität ge-
meinsam grundlegend umgestalten wollen.
Wenn jemand aufgehalten wird, gilt es, nicht stehen zu bleiben und sich auf einen reflexartigen Ab-
wehrkampf zu fixieren, sondern weiter zu laufen mit unserem Ziel vor Augen und, der Leblosigkeit den Kampf ansagend, der mörderischen Gesellschaft den Garaus zu machen.
Wir wollen aufzeigen, dass uns nur die Mauern trennen, denn diese mörderische Gesellschaft zeigt sich nicht nur im Knast, wo sie uns unserer Träume und unseres Willens beraubt, sondern auch in der Arbeit und der Freizeitgestaltung, beim haltlosen hin und her Eilen von Warenregal zu Waren-
regal, auf dem Heimweg, wo uns etliche Werbeplakate zeigen, was das Beste für uns sei, und eine nicht vorhandene Notwendigkeit konstruieren.
Zahllose Tote zeichnen den Weg dieser Gesellschaft, den sie bis hier her gegangen ist, wo eine scheinbar sich endlos in die Zukunft erstreckende Gegenwart uns erwartet.
Tag für Tag klären Titelseiten über Nichtigkeiten auf. So scheint es, dass die Scheidung zweier Pro-
minenter das einzige ist, was es zu berichten gibt.
Kein Wort wird verloren über die Menschen, die an dieser Gesellschaft zu Grunde gehen, nichts über die Menschen, die bei Abschiebungen ihr Leben lassen, nichts über die Toten an den Grenzen, nichts über die Ermordeten im Knast und in Polizeigewahrsam oder über diejenigen, die dem Druck nicht standhalten und keinen anderen Ausweg sehen, als sich selbst ihr Leben zu nehmen. Dies sind keine Nachrichten, die uns nichts angehen, sondern gesamtgesellschaftlich totgeschwie-
gen werden, da sie uns zwingen, über diese Scheißwelt nach zudenken, über den Verlust der Selbstbestimmung unseres Lebens, ihre Grenzen, Mauern und Knäste, ihre Autoritäten und Ge-
setzen, sowie ihrer geheuchelten Moral.
Jeder vor sich hin vegetierende Häftling sollte uns daran erinnern, dass alles, was uns geboten wird, leere Versprechen sind. So krepieren wir einsam mit nichts, als einer Lüge, die uns versi-
chert, nicht die Nächsten zu sein, die es trifft.
Die Ohnmacht, in der wir uns befinden, ähnelt immer mehr dem Schicksal derer, die bereits dahin gerafft wurden. Immer weiter entfernen wir uns vom Leben und nähern uns dem Bild einer funk-
tionierenden Maschine.
Fangen wir an, uns endlich als Ausgebeutete und Unterdrückte zu begreifen, und zerstören diese mörderische Gesellschaft mit ihrer Akzeptanz der Unterdrückung, mit ihrer Atomkraft und Abga-
sen, Waffen und Kriegen, Grenzen und Knästen, Fernsehern und Antidepressivas, Bullen und Abschiebungen, Schulen und Zurichtungsanstalten.
Machen wir endlich Schluss, fangen wir an, von den Abenteuern der Freiheit zu träumen und un-
sere Möglichkeiten im Aufstand zu erproben.
Für die Freiheit und die Anarchie!
Einige Unerwünschte in Tagen der sozialen Befriedung!
Anarchistische Gruppe München
Pamphlet. Zeitschrift gegen das Bestehende 1/2012, 26 ff. (www.agmuenchen.blogsport.de)