Materialien 1980
BLATT-Prozess
“Dass dieses Verfahren mitten im Fasching stattfindet, macht Sinn“, beginnt der Schrifttäter Heinz Jacobi an diesem unverschämt frühen Freitagmorgen seine Einlassung zur Sache, die nach dem Willen des ob seiner penetranten Anhänglichkeit uns wohl bekannten Staatsanwalts Steiner auch die des BLATTs geworden war. Aber das narrische, dem in diesen Tagen auch hierzulande seine verkümmerte Freiheit gestattet wird, hatte bei diesem mittlerweile 15. Strafprozess gegen das BLATT nichts mit dem Unsinn dieses vor Sinnlichkeit nachgerade triefenden Verfahrens zu tun. An die Schwänke der Gerechtigkeit reicht der anspruchslose Narhalla-Witz nun mal nicht hin!
Der Staat, dieses mimosenhafte Objekt (unserer Begierde?), das weit empfindlicher reagiert als sein präsidierendes Subject, hatte zur Verhandlung geladen, tief beleidigt von jenem mittlerweile sattsam bekannt gewordenen offenen Brief des Angeklagten Heinz Jacobi im 146. BLATT. Wohl gemerkt, der frisch gekürte Präse dieser empfindlichen Republik, dem der ganze rhetorische Auf-
wand ja gewidmet war, schwieg – welch ein Mann – geschichtslos, ohne jede Emotion. Wissend, dass seine Wanderschaft durch die deutschen Lande zu einer qualvollen Hetze von Gerichtstermin zu Gerichtstermin entarten würde, müsste er all die „Beleidigungen“ beklagen, die in seiner deut-
schen Vergangenheit rumrühren. Weit geschichtsbewusster dagegen gibt sich das Gebilde “… aus Macht, Profit, Rasterfahndung, Gewalt und Verfolgerwahn …“ (Heinz Jacobi’s Neufassung, vor-
getragen bei der Einlassung zur Sache). Als einzig legitimer Rechtsnachfolger des Dritten Reiches, als das es sich ausdrücklich versteht, hat es sich einen Paragraphen erhalten, den es auch als Un-
person für ganz persönliches zu gebrauchen weiß: den Paragraphen 90 a StGB – Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole, ohne dem die BLATT-Prozessgeschichte nie so ereignisreich ge-
worden wäre.
“Mit Recht“ sei dieses Ungetüm in die Erbmasse dieses Staates übernommen worden, weiß STA Steiner diesen Schutz für das herzlose Seelenleben seines Brötchengebers zu erklären. “Schon ein-
mal“, plädiert er silbergrau an das müde Gericht, sei ein Staat so dargestellt worden, dass er der Achtung seiner Bürger nicht mehr wert war.
“Wenn es vor 33 genügend Leute gegeben hätte, die den damaligen Staat in Schutz genommen hätten, wäre das, was nach 33 kam, nicht geschehen“, kalauert er über Weimar und offenbart – als ehemaliger RCDS-Vorsitzender – Geschichtsverständnis à la Lazarettstraßenhauptquartier. Und: “Wer so diesen Staat kritisiert“ wie der Schrifttäter Jacobi und sein Komplize Blatt, “wie hätte der damals das Dritte Reich kritisieren wollen. Schärfere Worte wären wohl kaum zu finden gewesen …“ krönt Ein-Steiner schließlich seine relative Staatstheorie.
Mehr war dieser Deutschstunde nicht zu entnehmen. 90a hin oder her, man hatte ja, weil man schon beieinander war, auch noch über andere Delikte, die „sachlich zusammentreffend“ einfach drangehängt worden waren, zu verfahren. Ein Vergehen der Beleidigung einer städtischen Amts-
person etwa, die sich erst auf Anraten der befragten Kripo und der hauseigenen Rechtsabteilung beleidigt fühlte. Und ebenfalls „sachlich zusammentreffend“ ein Vergehen des fahrlässigen Voll-
rausches auf der Wiesn. Wen alles solche Anklage betraf? Der Leser zügle seine anzügliche Neu-
gier. Für den Berichterstatter konnte das vor Gericht auch nicht mit letzter Klarheit geklärt wer-
den. Auch nicht, ob nicht vielleicht Amtsrat Böls’s Behandlung eines Antrags auf einen politischen Informationsstand in ursächlichem Zusammenhang mit dem – fahrlässig hin oder her – Voll-
rausch und dieser wiederum mit dem offenen Brief an Carstens stand: “Mia san hia herin koa Kasperltheata und im Wirtshaus samma a net!“ stellt jedenfalls Richter Kollmann überzeugend seine Profession klar. Und nachdem auch die Staatsanwaltschaft noch mal bekräftigte, dass dies ein Prozess und keine Komödie sei, erfährt das ganze Theater seine dramatische Wende: “Sie geh! Daherin ham mia das Sagn“, fährt der amtsanmaßende Wachtl plötzlich die korrekt kostümierte Anwaltschaft der Angeklagten an, als sie es wagt, das allzu offenherzige Angebot der Staatsvertei-
digung zu monieren, die in unprotokollarischer Einfalt dem Zeugen Oberamtsrat einen Platz auf der Anklagebank anbot. Und weil das erboste grüne Männchen offenbar überfordert von soviel Öffentlichkeit auf den Zuschauerbänken nicht zu beruhigen war, musste der einmal mehr auch noch offensichtlich schon längst mit seiner Urteilsbegründung beschäftigte Richter Kollmann mit aufwendigem Gebrüll die Verteidigung in ihre Schranken weisen.
Wen wunderts, dass nach solchen Strapazen das schwarze Gericht gegen Mittag schon zu seinem sparsamen Urteil fand. In allen „sachlich zusammenhängenden“ Punkten folgte es gänzlich unge-
rührt von den liebevollen Plädoyers der Verteidigung den Vorgaben der Staatsanwaltschaft. Und verurteilte Heinz Jacobi zu stolzen 130 Tagessätzen à DM 20.– und den unverantwortlichen BLATT-Redakteur zu DM 1.600.– Geldstrafe.
In seiner Urteilsbegründung hielt es sich ebenfalls kurz und bündig an das, was schon vorgegeben war, und zitierte den einzigen Satz, den das BLATT zur Sache zu sagen hatte: Jedes weitere Wort wäre zuviel der Ehre.
Blatt. Stadtzeitung für München 166 vom 22. Februar 1980, 4 f.