Materialien 1980
Staatstheater!
Vorspruch zur Rede im Carstens-Prozess, 2. Instanz
Die Verhandlung der ersten Instanz fand folgerichtig mitten im Fasching statt, aber einige der Herren haben ihre damalige Verkleidung immer noch nicht abgelegt. Dieser Mummenschanz ist eine Zumutung, ist Mummenschanz durch eben jenen Staat, der sich durch den Vorwurf der Lä-
cherlichkeit verunglimpft fühlt.
Außerdem ist es für einen Rationalisten eine Zumutung, unter dem Marterwerkzeug irgendeines Gottes beziehungsweise dessen Sohnes verurteilt zu werden. Das magische Brimborium könnte das Urteil noch tiefer ins Lächerliche ziehen. Ich beantrage also die Entfernung eines Symbols, das Zeugnis eines hierzulande massenhaft verbreiteten religiösen Wahns ist, also Symptom eines durchaus krankhaften Zustandes; ich beantrage hiermit die Entfernung eines Symbols, in dessen Namen Millionen gemordet, Millionen verurteilt wurden. Hilfsweise beantrage ich den Umzug in einen kreuzlosen Raum.
Ihr Religionsstifter fordert: Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet! Und: Liebet eure Feinde! Und: Wer ohne Fehl ist, der werfe den ersten Stein! So lange sich also das magische Gerät im Raum befindet, müssten Sie das Verfahren sofort einstellen, mich liebevoll ermahnen, den Staat nicht mehr zu ärgern und mich meiner Wege gehen zu lassen. Aber Staatsanwalt Steiner, über dessen moralische Qualitäten ich mich nicht auslassen will, wirft trotzdem den ersten Stein.
In der ersten Instanz habe ich schon eine Rede gehalten, die ich Ihnen nun noch einmal verlesen will, die aber wie alle vernünftige Rede hier wirkungslos bleiben wird. Staatsanwalt Steiner wird wieder durch Geschichtsklitterung glänzen und den abenteuerlichen Vorschlag machen, 1935 habe man den Nazi-Staat mit meinen Epitheta belegen können, aber beileibe nicht den heutigen. Immerhin gibt er damit zu, dass beim § 90 a ein Wahrheitsbeweis möglich ist; ich wiederum glaube aber nicht, dass der Typus Steiner damals so mutig gewesen wäre, sondern meine, dass dieser Typus damals eher unangefochten Staatsanwalt auf dem Boden verbrecherischer Para-
graphen gewesen wäre. Der Herr Richter, dem sich als Vertreter des gesunden Menschenver-
standes die so genannten Laien zugesellt haben, wird mich verurteilen, formal vielleicht korrekt, nur geht der gesunde Menschenverstand vor die Wachhunde des Gesetzes. Ein Paragraph, der halb Europa lachen macht und mich lebhaft an mein Recht auf Widerstand gegen Unterdrückung gemahnt.
Man langweilt mich mit denselben Vorwürfen, so langweile ich mit derselben Rede. Es hat sich seitdem nichts geändert, Vorwürfe und Gesetz sind albern wie eh und je. Nur zum Herrn Bösl, dem Mann, der sich erst nach Rückfrage bei Vorgesetzten und dem 14. Kommissariat beleidigt fühlt, möchte ich noch ein kleines mitleidiges Lächeln zufügen.
So also sprach Heinz Jacobi am frühen Morgen des vergangenen Freitag vor den Schranken des Landgerichts München. Wo er zur Berufungsverhandlung antreten musste. Weil wir im BLATT 146 einen Brief veröffentlicht hatten, den er – in tiefer Sorge um Bestand und Ansehen der BRD – klammheimlich an Prof. Karl Carstens geschickt hatte, um diesem auf seine Weise zur bevorste-
henden BuPrä-Wahl zu gratulieren.
Viele Alternativzeitungen druckten diese Gratulationscour nach. Wovon dann – neben uns – auch etliche von ihnen teuer bezahlen mussten. Weil nämlich der Staat sich dadurch „im unteren bis mittleren Bereich“ verunglimpft fühlte und deshalb kräftig verurteilen ließ.
Während nun wenigstens der BLATT-Abgesandte inzwischen tätige Reue zeigte und im letzten Moment die Berufung gegen das früher von uns als Skandal empfundene Urteil zurückzog, blieb Jacobi, als Vertreter des Anti-Strauß-Komittees, standhaft und wollte unbedingt Recht haben. Was er dann schließlich in Form von 130 Tagesätzen à DM 20, – auch bekam. Weil es schließlich in diesem unseren freiheitlichsten, den wir je hatten, nicht angeht, dass jemand im Vollrausch für den Amtsrat Bösl eine fahrbare Elektroheizung klaut und die ebenfalls geklaute Kittekat-Packung wieder umtauschen will, weil er Carstens mit Strauß verwechselt hat, bei dem ihm eh alles für die Katz zu sein scheint.
Blatt. Stadtzeitung für München 173 vom 6. Juni 1980, 29.