Materialien 1980
In der Vorhölle
Münchner Jugendkrawalle beziehungsweise ein Vorspiel dazu
Im kalten Sommer dieses Jahres kündigte die Stadt (wer ist das eigentlich?) dem Kreisjugendring (dem eckigen) einen Vertrag (den seit 20 Jahren bewährten nämlich), in dem geregelt war, dass die 43 Münchner Jugendfreizeitheime, die der Stadt gehören, vom Kreisjugendring betrieben, betreut und verwaltet werden. Der – vorgebliche – Grund der Kündigung ist, drei dieser Freizeitheime in die markige Obhut von Sportvereinen zu geben, und – unserer unerheblichen Meinung zufolge – der CSU endlich den ihr zustehenden Einfluss in diesem von Moskau unterwanderten Bereich zu verschaffen.
Böse, wie man aufeinander ist, wird dann miteinander heimlich verhandelt, ob’s nicht doch irgendwie weitergeht. Nach etlichen Sitzungen glaubten die Obermacker vom Kreisjugendring dann schon, einen possierlichen Kompromiss eingehandelt zu haben, als die gewitzten Handels-
partner von der Stadt plötzlich einen ganz neuen Vertragsentwurf aus dem Diplomatenköfferchen zogen und sprachen: „Das oder nichts!“ (auf teutsch: nichts oder nichts!)
Mit diesem Schachzug scheinen anscheinend weitere Verhandlungen gescheitert zu sein. Be-
stimmt werden sie weiter verschandeln, und bestimmt wird auch etwas dabei herauskommen, aber bestimmt nichts, worauf die betroffenen Teenies und Kids in den Freizeitheimen großen Einfluss hätten.
Wie man sich jugendlichen Übermut vom Hals hält, das demonstrierten anschaulich die Vollver-
sammelten des Kreisjugendrings am letzten Samstag in aller menschenfeindlichen Herrgottsfrüh. Auf der Tagesordnung standen – na, ratet mal – die beiden Verträge und wie der KJR weiterver-
handeln soll. In so einer Versammlung sitzen jede Menge Delegierte der im KJR organisierten Verbände, in denen wiederum die von der offenen Jugendarbeit betroffene Jugend nicht organi-
siert ist. Ausgerechnet diese Delegierten besitzen alleiniges Stimmrecht, während man nur zwei jugendlichen Vertretern der gesamten Freizeitheimjugend ein schlichtes Rederecht einräumt. Vertretung muss sein in der Vertretokratie, meine Herren. Kein Wunder also, dass sehr schnell ein paar freche Stimmen laut wurden, die das Rederecht für alle anwesenden Jugendlichen forderten. Eine ruckzuck und formell korrekt durchgeführte Abstimmung bot mit überwältigender Mehrheit dem unsinnigen Ansinnen Einhalt.
Oh, ihr furzschrittlichen Jugendbearbeiter, und Geiseln der Kindheit, wenn ihr sie braucht für eure hinterhältigen Pläne, dann lasst ihr sie reden und applaudiert ihnen, damit jeder glaubt, ihr liebtet sie; wenn’s darum geht, einen faulen Kompromiss zum Abschluss zu bringen, werdet ihr zu Demo-
kraten.
Erstaunlich, dass an diesem Punkt nicht die Jugend unter Absingen von unanständigen Weihnachtsliedern den Saal verließ. Sie zogen es vor zu bleiben und zu sprechen, bzw. ihre Vertreter halt. Sie nahmen kein Blatt vor den Mund und zeigten ihre Zähne.
„Wir akzeptieren weder den einen noch den anderen Vertrag. Der Vertrag der Stadt wird nicht dem Kreisjugendring aufdiktiert, sondern in erster Linie uns,“ sagten sie „und wir wollen bei neuen Ver-
handlungen dabei sein, denn die Stadt ist ein kritischer Partner, und der Kreisjugendring ist ein kritischer Partner, aber wir sind bei weitem der kritischste Partner! Wir fordern Selbstverwaltung.“
Ihre Haltung machte noch ein Plakat deutlich, das sie im Raum aufgehängt hatten:
“Wir vom Rand
nehmen euch das Gängelband
jetzt aus der Hand!
Basta – die Selbstverwaltung.“
Einige ausländische Jungs aus dem FHZ Westend entrollten hinter den Köpfen der Wichtigtuer vom Kreisjugendring ein Transparent:
“Ausländische Jugendliche sind keine Randgruppe!“
Bei so verschiedenen Reaktionen auf den Vorwurf, Randgruppe zu sein, muss man berücksich-
tigen, dass diese Reaktionen aus verschiedenen Ecken kommen, dass in den Freizeitheimen verschiedene Besucher verkehren, die noch nicht oder erst seit kurzem miteinander ins Gespräch kommen und anfangen, über die eigenen und gemeinsamen Interessen laut nachzudenken. Ein überfreizeitheimliches Treffen von Jugendlichen gibt es erst seit ein paar Monaten.
Trotz solcherlei Angriffen ging die Versammlung recht ordentlich weiter und sie beschloss schließlich, dem KJR-Vorstand zu empfehlen, einige Forderungen ihrer Schutzbefohlenen doch bitte im neuen Vertrag durchzusetzen:
▓ „Kein Heimleiter im SSZ“ (im Selbstverwalteten Stadtteilzentrum Neuperlach gibt es tatsächlich Selbstverwaltung – das sog. Perlacher Modell)
▓ „Keine Bullen im Freizeitheimbeirat“ (das Wort „Bullen“ wollte die Versammlungsleitung nicht gehört haben)
▓ „Selbstverwaltung als mögliche und anstrebenswerte Form in Freizeitheimen.“
Es besteht die Gefahr, dass das Einlassen auf diese Verhandlungsspiele und Mauscheleien der jugendlichen Power den Wind aus den Segeln nimmt, bevor sie ein stärkeres Selbstbewusstsein entwickelt. Aber noch ist nicht aller Tage Abend, wie man so schön sagt am frühen Morgen, und jedem steht es frei, aus solchen Demokratieveranstaltungen zu lernen; es gibt Widersprüche, was die eigenen Vorstellungen und Wünsche anbelangt. Wie sich die Verwalter der Jugend auch immer einigen werden – der Depp sind die Betroffenen: die Jugendlichen zuallererst, dann die Putzfrau-
en, die die Stadt durch private Reinigungsfirmen ersetzen will, und – die wolln wir doch nicht vergessen – die Pädagogen.
Diese diskutieren zur Zeit über Streikmaßnahmen. Schon lange im Zweifel über Sinn und Sinn-
losigkeit ihrer Tätigkeit als Puffer zwischen Jugendlichen und Institutionen, wollen sie der Stadt zeigen, dass nun die Grenze des Zumutbaren erreicht ist. Hoffentlich tun sie das, sonst werden sie womöglich bald zu sog. „Animatoren“ in den Freizeitheimen der Sportjugend verkommen. Dort wird in geradezu ehrlicher Konsequenz das zum Grundsatz erhoben, was eh schon in vielen Frei-
zeitheimen jetzt bunter Alltag ist: ein bisserl Disco, ein bisserl Basteln, ein bisserl Tischtennis, ein bisserl Wandern und ein bisserl Bier oder besser Cola.
Im Konzept der Jugendarbeit, wie sie sich die „Münchner Sportjugend“ nach der vorgesehenen Übernahme des Freizeitheimes Blumenau vorstellt, hört sich das folgendermaßen makaber an:
▓ „Freizeitpädagogik statt Sozialpädagogik; Angebote machen – Sozialarbeit so wenig wie möglich“ (auf teutsch: der schweigenden Mehrheit der integrierten Jugendlichen die Langeweile schmack-
haft machen)
▓ „Integration statt Konfrontation; zur Erläuterung: Integration ist hier nicht als geistlose Anpassung zu sehen, sondern als durchaus kritische, aber letzten Endes positive Auseinan-
dersetzung mit den bestehenden Gegebenheiten unserer Gesellschaftsordnung.“ (Der Käse
riecht für sich selbst, meine ich.)
▓ „Verstärktes Sportangebot; im Bewusstsein der Bedeutung, die eine sportliche Betätigung für die nicht nur körperliche Entwicklung des jungen Menschen hat, soll ein verstärktes spielerisch-sport-
liches Angebot in den Jugendtreff hineingetragen werden.“ (auf teutsch: In einem sportlichen Körper herrscht ein sportlicher Geist.)
▓ „Der offene Freizeitbereich muss drei Punkte beinhalten: a) Entspannungs- und Erholungszeit (nach Schule und Arbeit), b) Zerstreuungs- und Vergnügungszeit (Spiel, Sport, Spannung), c) Lern- und Befreiungszeit (Erfahrungen machen, Erlebnisse haben, Selbstverwirklichung“ (auf
nach Poona), „aktive Teilnahme)“
Wie wärs denn mal mit: Vergnügungs- und Befreiungszeit? Zeit wär’s!
Zum Abschluss nun noch zur Erbauung – bitte entspannen – ein Zitat von Wolfgang Pohrt (aus „Ausverkauf“, Rotbuchverlag, S. 41):
„Begreift man nun die Jugend als jene, leider allzu flüchtige und vergängliche lebensgeschichtliche Episode, worin der Mensch sich noch nicht resignierend mit allen Scheußlichkeiten der Welt abge-
funden hat – als Galgenfrist zwischen dem einen Augenblick, wo man kein hilfloses Kind mehr ist und dem anderen, wo man zum Mitmachen in der mörderischen Maschinerie des Erwerbslebens gezwungen wird; als momentanes Innehalten in jenem rastlosen und unerbittlichen Prozess, dessen Ursprung der Säugling und dessen Resultat der Bückling ist –, dann …“
… Ja dann … was dann? …
Hans + Tommi
Blatt. Stadtzeitung für München 183 vom 24. Oktober 1980, 16 ff.