Materialien 1980

Offener Brief

Peter Dienstbier, herzerfrischender Kenner und Kritiker hiesiger Geschichte und Kultur, hatte unter Kolbe drei lange Jahre im Münchner Kulturapparat gearbeitet. Man weiß es wohl, sein Wirken passte nicht in den feisten, protzigen Betrieb der Weltstadtkultur. Von dem er deshalb 1978 seinen Abschied nahm oder besser: zu nehmen hatte. Unter dem Titel „Kulturpolitik als Schmierenkomödie“ veröffentlichte er im 125. BLATT seine Erfahrungen und Erkenntnisse aus drei Jahren kommunaler Kulturarbeit in einem Artikel, in dem er vor allem auch mit seinem Chef, dem eitlen Kolbe und seiner Spektakelkultur „mit populärem Verpuffungscharakter“ abrechnete.

Danach hat er sich aus der Stadt verzogen, ist nach Wasserburg gegangen und hat ihr von dort noch ein paar Gedichte nachgeschrieben (vgl. seinen Gedichtband „mit dir, du, der“, besprochen im 164. BLATT). Die Stadt und vor allem ihre kleinkarierte Lokalpresse, die ihm tiefbeleidigt den Sympathisanten und Anarchisten nachkläffte, wollte ihn aber nicht vergessen. Mit ihrer jämmer-
lich provinziellen Phantasie hat sie jetzt, nach zwei Jahren, noch mal nachgetreten: Mit einem Gedicht in trampelnder Zehetmeier-Poesie, als dessen Autor Peter Dienstbier angegeben wird. Erich Hartstein hat sich nicht entblödet, es in seinem ach so witzigen faschingsdienstlichen Spaß-
anzeiger zu veröffentlichen.

Peter Dienstbier, von Wasserburg inzwischen nach Marokko emigriert, wo er eine Professur für deutsche Literatur annahm, hat ihm dazu den folgenden Offenen Brief geschrieben.

Sehr geehrter Herr Hartstein,

ich weiß nicht, ob mich Ihre Unverschämtheit ärgert oder ob mich Ihre Niedertracht anekelt: jedenfalls ist mir klar, dass Sie es auf bewusste Schädigung meines literarischen Rufes angelegt haben. Mit dem erneuten Abdruck jenes lächerlichen Machwerks über den traurigen Genossen Kronawitter, das Sie bereits in Ihrer läppischen Faschingszeitung im Jahre 1978 gebracht hatten, beabsichtigen Sie doch allzu offensichtlich, mich unter die jämmerlichen Verseschmiede vom Kaliber eines Vogel, Zöpfl und Zehetmeier einzuordnen, deren poetische Sonntagsergüsse allen-
falls für das Bayerische Volksschullesebuch der Grundstufe und in Ihr Käseblatt taugen, so sehr sich Verdienstordensträger Ihres Genres auch bemühen, das Zeug durch öffentliche Lobhudelei und Prämierung krampfhaft hoch zuwerten!

Ich kann Ihnen versichern, dass es in meinen Augen kaum etwas Verächtlicheres gibt, als einem Schriftsteller tückisch solch mieses Gereime unterschieben zu wollen, weil man nun mal öffentlich dazu die Möglichkeit hat; das ist kein Witz, das ist ekelhaft, und damit deklassieren Sie sich selbst. Im Grunde genommen ist mir meine Zeit wahrhaftig zu schade, mich mit einem Typ wie Ihnen und womöglich noch auf Ihrem Niveau anzulegen – da dürfte Hopfen und Malz endgültig verlo-
ren sein!

Ich bin sicher, dass Sie es bald zum Schrifttumspräsidenten (wenigstens für Bayern) unter Bun-
desreichskanzler Strauß bringen werden. Dann können Sie wieder ganz andere Maßnahmen gegen so jemand wie mich ergreifen …

Mit vorzüglicher Verachtung (wie sagte doch Brecht: „Nachbar, Euer Speikübel!“) verbleibe ich

Peter Dienstbier

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Georg Kronawitters Abschied

von Peter Dienstbier

Am Brunnen vor dem Rathaus,
da steht der linde Schorsch.
Sein Blick geht träumend gradaus,
sein Zorn ist müd und morsch.
Er macht sich auf die Söckel,
verschluckt ein Abschiedwort;
vom roten Herrn von Heckel
zog’s ihn schon immer fort.

Ging er an den „Genossen“
vorbei in tiefer Nacht,
dann hat er noch im Dunkeln
die Augen zugemacht.
Er musste gar nicht lauschen,
sie riefen es ihm zu:
„Hau endlich ab, Geselle;
wir geben keine Ruh!“

Vom Unteranger grinsten
sie ihm ins Angesicht;
sein Tagwerk für die Münchner
bekümmerte sie nicht.
Jetzt grüßt der Schorsch das Rathaus
zum Abschied noch einmal;
dann geht er seine Wege –
und kommt im Mai noch mal.


Blatt. Stadtzeitung für München 168 vom 21. März 1980, 5.

Überraschung

Jahr: 1980
Bereich: Medien