Materialien 1980
Nach der Hausbesetzung: Als Fallschirmjäger auf Wohnungssuche?
Als die Bullen um drei Uhr morgens kamen, stand ich gerade am Eck zur Fraunhoferstraße, um zu schauen, ob sie dort schon versammelt sind, wie es im Haus gerüchteweise verlautet wurde. Und sie kamen tatsächlich nur aus der entgegengesetzten Richtung – ca. 35 Busse, zwei Laster, diverse technische Hilfskarren und 420 Grüne.
„DIE BEAMTEN DRANGEN NICHT IN DAS HAUS EIN.“ SZ vom 25. Februar 1980
Mit gezücktem Schild und Knüppel, manche auch mit Bergarbeiterfunzeln und Streitäxten bewaff-
net, stürmen sie zur Toreinfahrt hinein und, nach kurzem Demolieren der Tür und einer Mauer, auch ins Haus. Beim Einschlagen der Haustür saust die Axt haarscharf an den Köpfen der paar Leute vorbei, die sich auf die Stufen gesetzt haben. Draußen wird inzwischen der gesamte Altstadt-
ring in Höhe der Blumenstraße 33 abgesperrt – niemand soll’s sehen. Um diese Zeit sind ja auch wenig Leute auf der Straße. Doch die paar, die vorbeikommen, fragen natürlich „Was ist dann da los?“, und der Bulle ganz vorne an der Absperrung meint: „Nix.“ Und nach weiteren Fragen: „Des is a Übung.“ (Aha) Gegenüber vom Haus sind unterdessen viele „Passanten“ eingetroffen, unauf-
fällig, jedoch mit gespitzten Ohren. Die Räumung hat begonnen, zwei Punks werden herausgezerrt (ein paar Tritte können ja nie schaden, ned wahr, Herr Schlachtmeister?), ansonsten geht das Fo-
tografieren, die ED-Behandlung fast lautlos über die Bühne. Die „Besatzer“, wie es im Polizeipres-
sebericht so schön heißt, werden einzeln herausgeführt, jeweils in Begleitung „zweier Beamter“, während die noch im Haus Verbliebenen Flugblätter zu den Fenstern hinauswerfen und zu uns herüberwinken; und weil drinnen niemand aufs Klo darf, pinkelt auch einer zum Fenster hinaus. Kurzum: die ganze Prozedur dauert bis um halb Acht und endet mit 51 vorläufigen Festnahmen; 50 „Besatzer“ kommen gleich nach der ED-Behandlung wieder frei.
WARUM KAMEN GLEICH 420 POLIZISTEN ZUR HAUSBESETZUNG? WEIL EINER ALLEIN DIE EINSTURZGEFÄHRDETE DECKE NICHT HÄTTE HALTEN KÖNNEN.
Nach allem, was ich von dieser Stadt und ihren getreuen Helferleins weiß, verblüfft mich dieses vorläufige Ergebnis keineswegs – vor sieben Jahren hat man sich ja auch nicht gescheut, im be-
setzten Gasteig-Spital die 150 Leute gleich festzunehmen. Was mir aber zu denken gibt, ist der immer offener zutage tretende Zynismus, mit dem die Stadt ihre Maßnahmen begründet.
Nach den Abgeboten, im Obdachenlosenasyl zu schlafen, oder Antrag auf Sozialwohnungen (mit Dringlichkeitsstufe I, versteht sich) zu stellen, glaubte sie diesmal, die Hausbesetzer und ihre neu-
en Nachbarn „schützen“ zu müssen. Das Haus sei baufällig und die Besetzer schwebten in Gefahr, so dass sich die Stadt strafbar mache, ließe sie die Leute drinnen. Richtig ist, dass — kleine Repa-raturen ! — sowohl Strom als auch Wasser vorhanden waren und von Baufälligkeit bei diesem Haus keine Rede sein kann. (Hoffentlich fällt das Haus auch wirklich zusammen, wenn das Pla-nungsreferat erst mal eingezogen ist!). Obendrein erklären die gestrengen Ordnungshüter die ganze Aktion für null und nichtig, weil von den 101 erfassten Besetzern nur drei ohne festen Wohn-sitz waren; was allerdings noch gar nichts sagt, denn die Stadt müsste schließlich am besten wis-sen, wie sie Leute ohne festen Wohnsitz diskriminiert.
Gegen die „Besatzer“ jedenfalls wird Strafanzeige erstattet, weil Haufriedensbruch begeht, „wer sich widerrechtlich in ein fremdes Gebäude oder umzäuntes Grundstück begibt oder wer es auf Aufforderung nicht verlässt.“ (O-Ton Kistler, Bullenpressestelle) Zu einer Räumungsaufforderung seitens der Polizei ist es allerdings nicht gekommen. Die Herren stürmten das Haus sofort, postier-
ten sich vor den Wohnungen und forderten die Leute auf, einzeln herauszukommen; andernfalls würde man sie mit Gewalt herausholen. Ersteres geschah, und jetzt will die Staatsanwaltschaft München I unter der Leitung von OberSA Fendt differenzieren „zwischen jenem Teil der Besatzer, der das Gebäude freiwillig verließ, und dem anderen, der erst auf wiederholte polizeiliche Auffor-
derung ging“. (SZ vom 26. Februar) Was heißt schon „freiwilliges Verlassen“? – Ab dem Zeitpunkt, wo die Bullen im Haus waren, konnte ja niemand mehr raus. Doch diese Unterscheidung kann gar nicht dämlich genug sein, dass OberSA Fendt sie nicht träfe, obwohl er selbst keinen plausiblen Grund dafür hat: „Das kann ich im Moment noch gar nicht sagen in diesem Stadium der Ermitt-
lungen“.
Und weil ihm Fragen überhaupt lästig sind, lautet das Ende des Interviews: „Das Gespräch ist be-
endet.“ (knacks) Auf Wiederhören! Noch um einige Grade blöder ist dann die Antwort von Kistler: (knörz) „Man hat von polizeilicher Seite her die Leute aufgefordert, herauszugehen“, und auf mei-
nen Einwurf, dass das nicht zutreffe: „Jamei, die hätten ja vorher das Gebäude verlassen können.“ Ach so! …
Doch so schwachsinnig sich die andere Seite auch verhält – es bleibt vorerst bei den 101 Strafanzei-
gen. Vom Schnellgericht des Amtsgerichtes München wurden inzwischen auch schon zwei der Be-
satzer verurteilt: Zu 30 Tagessätzen à fünfzehn Mark und zu 10 à zehn Mark. Die SPD, in der Op-
position, setzt sich diesmal natürlich für die Sache der Hausbesetzer ein. Auf ihrem Parteitag am letzten Samstag fordert sie: Weg mit den Strafanzeigen! An der Misere ist die Rathaus-CSU schuld.“
Doch Ex-OB-Kronawitter war da nicht so wohl und gab zu bedenken: „Auch ich hätte nicht anders vorgehen können.“ Das Gasteig lässt ihn halt nicht aus. Und auch die FDP, sie macht sich ja für die Wohngemeinschaften stark, wird mit ihrem Antrag nicht recht populär. Sie hat jetzt auch die Scheiße im eigenen Haus. Die Büros ihres bayerischen Landesverbands in der Agnesstraße 47 sind nämlich zweckentfremdete Wohnungen. Das hat ihr eine städtische Anzeige eingebracht.
DIE GRUPPE IST EINDEUTIG KOMMUNISTISCH GELENKT.
So bleibt nur die Frage, ob die ganze Hausbesetzung nicht anders verlaufen wäre, wenn zwischen den Leuten „drinnen“ im Haus und denen „draußen“ mehr gelaufen wär. Den Hintergrund für die Hausbesetzung lieferte ja der Rausschmiss der Jugendlichen aus der Matthäuskirche auf Veran-
lassung des Gesundheitsamtes hin. Die sanitären Zustände seien untragbar gewesen.
Doch was ist untragbarer: zwei Klos für zehn Leute oder keine Wohnung und auf der Straße sitzen? Der Umzug in die seit Jahren leerstehende Blumenstraße 33 war also nur die logische Folge. Nur war es leider unklar, wer eigentlich das Haus besetzt. Da gab es zuallererst die Jugendlichen als Teil der Häusergruppe, die auch im Haus wohnen wollten; dann die übrige Häusergruppe, die in Sachen Besetzung bis dahin sehr unentschlossen gewesen war; und schließlich noch diejenigen, die im Laufe des Tages eintrudelten, um ihr Interesse oder ihre Unterstützung zu bekunden. Doch zu unterstützen gab’s nicht viel, weil von den Besetzern, außer dass sie nun mal drin waren, nichts kam. Es hätten noch andere Aktionen in der Stadt laufen können. Man hätte sich überlegen müs-
sen, wie man auf die Bullen reagiert, aber das war nicht möglich, weil sich niemand aus der Häu-
sergruppe als Anlaufpunkt für Neuankömmlinge erbot. So waren die Leute von „draußen“ zum Rumstehen verurteilt, und als abends das Fest in Gang war und immer mehr Leute kamen, zerfiel die Besetzung endgültig – die einen schliefen, die anderen tanzten oder diskutierten oder soffen sich die Hucke voll, und was bevorstand, wurde in die Ecke gestellt. Denn dass die Bullen kommen würden, dürfte ja wohl jedem klar gewesen sein. Ganz sicher hängt diese Zerrissenheit auch mit der Vielschichtigkeit der Häusergruppe zusammen, aber das Prinzip „Jede® und niemand hat was zu sagen“ darf nicht Sprachlosigkeit und Unfähigkeit zur Organisation zur Folge haben.
Blumenstraße 33, Altstadtring, Krach, Gestank – wenn die Besetzung erfolgreich gewesen wäre, hätte als nächste Aktion der Altstadtring gesperrt werden müssen, weil sich’s mit dieser Straße vor der Tür nicht leben lässt. Das heißt, Häuserkampf ist nicht nur ein Kampf um Wohnraum, sondern gegen die gesamte Stadtentwicklung. Es gibt ja die Geschichte von einem, der mit einem Pressluft-
bohrer bewaffnet eine Hauptverkehrsstraße aufreißt und dafür ins Irrenhaus gesteckt wird … Wenn der Häuserkampf in solchen Dimensionen diskutiert ünd auch geführt wird, ist das gleich-
bedeutend mit Krieg, mit einer militanten Auseinandersetzung, die zwar oft abgelehnt wird, ohne die wir aber bald unsere sieben Sachen packen können. Krieg? Schreck lass nach! Ich will nicht als Fallschirmjäger auf Wohnungssuche gehen! Das meine ich auch gar nicht. Aber was passiert denn, wenn die Leute, die aus ihren Wohnungen fliegen, ihren Hausrat auf dem Marienplatz „unterstel-
len“, wenn so lange Straßen abgesperrt werden, bis die Autofahrer im Kreis herumfahren? Die Stadt und ihre Zerberusse werden sicher nicht zuschauen, und die Gewalt wird, genauso wie bei dieser Hausbesetzung, von ihnen ausgehen.
Es geht also nicht nur um Häuser, sondern schlicht und einfach um Lebensqualität – und die wird von vielen Faktoren bestimmt. Kann man von dieser Stadt überhaupt noch etwas fordern? Was hat sie letzten Endes denn zu bieten? Und, wie können wir Einfluss nehmen auf das Erscheinungsbild dieser Stadt? War es denn jemals unsere Stadt und kann sie’s noch werden? Der Häuserkampf hier hat’s nötig, auch unter solchen Gesichtspunkten diskutiert zu werden, und eine Auseinanderset-
zung in diesem Rahmen betrifft nicht nur die Wohnungslosen, sondern geht alle an.
Blatt. Stadtzeitung für München 167 vom 7. März 1980, 5 ff.