Materialien 2013
Auszug aus einem Gespräch
zwischen Ursula Ebell und Günter Wangerin
Ursula Ebell war Kuratorin der Ausstellung Hanne Hiob zum 80. (Gasteig 2003)
UE: Soweit ich weiß, hast du nie an einer Kunstakademie studiert bzw. eine reguläre künstlerische Ausbildung absolviert. Auch Ausstellungen von Dir gab es bisher nur wenige …
GW: Das stimmt. Nach der Schule habe ich mich gefragt, ob die Kunstakademie etwas für mich wäre, aber ich habe mich dagegen entschieden und Medizin studiert. 1965 hatte ich eine merkwürdige Mischung aus humanistischen Ideen („Urwaldarzt wie Albert Schweitzer werden …“) und Geldverdienen im Kopf. Dann kamen die Notstandsgesetze, die Studentenbewegung. Da bin ich mit auf die Straße gegangen. Gemalt habe ich aber immer. Auch schon Comics … und eben Transparente für die Straße.
UE: Für Demonstrationen und öffentliche Aktionen?
GW: Ja und für Studentenzeitungen.
UE: Stammt die Bildergeschichte „Wie Karl Roßmeier Bundestagsabgeordneter wurde“ aus dieser Zeit?
GW: Ja. Sie war in einer Würzburger Studentenzeitung abgedruckt, die ich mit herausgegeben habe. Es war eine Geschichte in Anlehnung an den Roman „Amerika“ von Franz Kafka. Ausgestellt habe ich in dieser Zeit gar nichts. Was ich gemacht habe, war für die Straße gemacht und auf der Straße zu sehen. Vieles nur einen Tag.
UE: Deine Galerie war sozusagen die Straße.
GW: Das kann man wohl so sagen. Galerie war für mich ein Fremdwort. Ich war – und bin es übrigens noch heute – Teil einer Bewegung für eine radikale Veränderung eines Landes, das sich seit 1990 wieder Deutschland nennt. Am Ende geht es doch um die Frage, wer über die Produktionsmittel verfügt. Der hat es auch in der Hand, ob von diesem Land noch einmal ein Krieg ausgehen kann oder nicht.
UE: Kannst du das konkreter sagen? Was bedeutet diese Sichtweise für die künstlerische Tätigkeit?
GW: Da muss ich ein bisschen ausholen. Wie du weißt, habe ich an einer ganzen Reihe von Brecht-Inszenierungen für die Straße teilgenommen. Brechts Tochter Hanne Hiob las dabei die Gedichte ihres Vaters, die Regie führte Thomas Schmitz-Bender. Es ging um die Großprojekte „Der Anachronistische Zug“ sowie „Die Legende vom toten Soldaten“. Brecht hat im „Anachronistischen Zug oder Freiheit und Democracy“ ja davor gewarnt, den „demokratischen“ Nachfolgern der Hitlerfaschisten auf den Leim zu gehen. Interessant ist dabei, dass er nicht den moralischen Zeigefinger gehoben und gesagt hat: Die Kapitalisten sind so böse … Er hat gesagt: „Die Kapitalisten wollen keinen Krieg – sie müssen ihn wollen“. Das mussten sie zweimal im letzten Jahrhundert und es gibt viele Anzeichen dafür, dass sie es heute wieder müssen. Sozusagen bei Strafe des Untergangs als Kapitalisten. Sie müssen rationalisieren, sie müssen entlassen, sie müssen Kapital exportieren, sie müssen Kriege führen – eben nicht unbedingt deswegen, weil sie so kriegslüstern sind, sondern alleine schon deswegen, weil sich die anderen wehren. Was auch heißt, dass sie sich vorbereiten: gegen den inneren Feind und den äußeren. Das ist ein Gesichtspunkt, den meiner Meinung nach vor allem die Gewerkschaften ins Blickfeld rücken sollten. Seit Juli diesen Jahres können ja Panzer gegen Streikende eingesetzt werden.
UE: Damit sind wir beim Titel deiner Ausstellung „Frieden undsoweiter“ hier im Gewerkschaftshaus.
GW: Frieden bedeutet im Sinn der Kapitalisten, die Zeit zu nutzen, sich auf den nächsten Krieg vorzubereiten. Übrigens – sie lassen ja schon ständig Krieg führen, oder nicht?
UE: Zurück zu meiner Frage, wie sich deine politische Einschätzung in deiner Kunst ausdrückt.
GW: Die Antwort ist einfach: Ich helfe mit meinen Mitteln, diese Gedanken sichtbar zu machen. Den Verantwortlichen für den Krieg, wenn du so willst – eine Gestalt, Farbe und Form zu geben. Dafür male und zeichne ich, dafür stelle ich Masken und Objekte her.
UE: Gehst du davon aus, etwas zu bewirken?
GW: Alleine bewirke ich gar nichts. Aber ich bin nicht alleine …
Flugblatt zur Ausstellung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.