Flusslandschaft 2013
Sicherheitskonferenz
Vorlauf zur Demonstration gegen die so genannte Sicherheitskonferenz am 2. Februar: Für den 26. Januar lädt die Antikapitalistische Linke Olching (ALO) und die Sozialistische Deutsche Arbeiter-
jugend (SDAJ) zu einer Jubeldemo, die ab 14 Uhr vom Sendlinger Tor zum Bayerischen Hof führt. Im Aufruf heißt es: „Sind Sie es nicht auch leid, ständig Rentner, Arbeitslose, Ausländer und Links-
radikale auf der Straße zu sehen? Stinkende, nutzlose, Lärm verursachende, dumme Bürger, die sich doch lieber dem Erhalt des Vaterlands zuschreiben sollten. Klar dass die Wirtschaft in Län-
dern zusammenbricht, in denen solche Sozialschmarotzer nichts anderes tun als sinnlos zu demon-
strieren. Menschen, die der ehrlich und hart arbeitenden Gesellschaft das Geld aus der Tasche zie-
hen. Dazu sagen wir Stopp, denn wir wollen den ‚american way life’. Darum fordern wir: – Die to-
tale Wehrpflicht, unabhängig von Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Schwangerschaft, Religi-
ons- und Staatszugehörigkeit – jegliche Demonstration unverzüglich und ohne Rücksicht auf Opfer nieder zu schießen – keine Geldverschwendung mehr für Bildung, Rente und Soziales – keine Indi-
vidualität, Selbstbestimmung, Selbstverwirklichung – die Nutzung aller Ressourcen und allen Le-
bens für Kriegszweckes – komplettes Freizeitverbot – ein Leben im Dienste des Vaterlands – totale Überwachung – Ausländer stopp! – eine Mauer um die EU – FRONTEX in jeder Stadt und überall – Salz in jeder Suppe. Denn Sterben und Metzeln für Deutschland ist unser Antrieb. Also kommt gehorsam in angemessener Kleidung, in Anzug oder Uniform.“1 Trotz Eiseskälte findet sich etwa ein halbes Hundert DemonstrantInnen ein; die Stimmung ist einwandfrei.2
Proteste gegen die Siko: Bis jetzt staunte die Republik immer über München, weil hier ein strö-
mungs- und parteiübergreifendes Bündnis jedes Jahr eine gut besuchte Demonstration auf die Beine gestellt hat. 2013 scheint der Konsens im bunten Haufen, in dem ja niemand dem anderen etwas vorschreibt, brüchig zu werden.3 Der „Antikapitalistische Block“4 will Inge Viett, ehedem Mitglied der „Bewegung 2. Juni“ und danach der RAF, auf dem Stachus reden lassen. Im Anti-
Siko-Bündnis gibt es Streit: Einerseits hat sie ihre Knastzeit hinter sich, warum soll sie da als engagierte Antiimperialistin nicht reden können, andererseits ist ihr Auftreten ein Signal, das potentielle bürgerliche Bündnispartner abschrecken kann. Eine Aktivistin argumentiert empört
in die selbe Richtung, aber von einem ganz anderen Standpunkt aus: Viett habe sich mit Denun-
ziation die Kronzeugenregelung „erkauft“ und sei daher schon nach sechseinhalb Jahren Haft freigekommen.5 Kurz vor der Demonstration wurde von den Verantwortlichen der AL/M Inge Viett als Rednerin zunächst zurückgezogen, ihre Rede wurde nur verlesen. Dass sie dann doch noch auf einer nicht vereinbarten Zwischenkundgebung spricht, für die der antikapitalistische Block die ganze Demo anhält, stößt bei großen Teilen der Demonstrierenden auf wenig Verständ-
nis.6 An der Demonstration am 2. Februar nehmen etwa 2.000 Menschen teil. Trotz alledem …7
Auf der Siko sind unter den mehr als zweihundert Teilnehmern auch Thomas Mohr und Ingo Henneberg als Vertreter der Projektgruppe „Münchner Sicherheitskonferenz verändern“ e.V.8
Uwe Krüger beobachtet nicht nur anläßlich der Siko, wie Journalisten, die mit der Politik und
der Wirtschaft verflochten sind, einseitig berichten: „Die Münchner Sicherheitskonferenz ist eine hochkarätige, aber umstrittene Veranstaltung. Wenn sich jährlich im Februar über 300 Sicher-
heitspolitiker, Diplomaten, Militärs, Rüstungsindustrielle, Banker, Versicherer, Analysten und Publizisten treffen, protestieren stets mehrere Tausend Menschen auf der Straße, und parallel findet eine Gegenveranstaltung namens Münchner Friedenskonferenz statt. Schreibt jedoch der Außenpolitik-Ressortleiter der Süddeutschen Zeitung, Stefan Kornelius, über die Angelegenheit, wundert sich so mancher Leser über Parteinahme zugunsten der Sicherheitskonferenz und über die Marginalisierung ihrer Gegner, die bis hin zur Verwendung falscher Zahlen geht. Kornelius schilderte beispielsweise in einem Beitrag, wie sich das Verhältnis zwischen Konferenzleiter Wolfgang Ischinger und den Protestlern angeblich entspannte: Ischinger »brach das Eis, indem er auf die Gegner zuging. Ein halbes Dutzend Mal traf er sich mit verschiedenen Gegner-Gruppen, diskutierte, hörte zu, versuchte zu überzeugen (…) Ischinger machte in den Gesprächen ebenfalls klar, dass es intellektuell unredlich sei, von den Konferenzteilnehmern als ‘Kriegstreibern’ zu reden, wenn es um Abrüstung, Energiesicherheit oder Verständnis zwischen den Großmächten China und USA gehe.« (SZ vom 3. Februar 2010) Von den Argumenten der Protestler erfuhr der Leser nichts – und auch nicht, welche Quellen Kornelius für die Ischinger-nahe Erzählung genutzt hatte … Wer die Süddeutsche als Garant höchster journalistischer Standards schätzt, fragt sich, wo die Neutralität geblieben ist. Allein die geografische Nähe zum Tagungsort kann die kritische Di-
stanz nicht abgeschafft haben – schließlich finden auch die Demos und die alternative Friedens-
konferenz in München statt. Zum Verständnis trägt wohl viel eher bei, dass Kornelius zum exklu-
siven Kreis derer gehört, die zur Sicherheitskonferenz eingeladen werden, im Plenarsaal mit den Mächtigen diskutieren dürfen und auch Zugang zu allen Empfängen am Rande haben – und das seit 2001, jedes Jahr … Solchen Verflechtungen zwischen den Top-Journalisten deutscher Leit-
medien und den Eliten aus Politik und Wirtschaft auf die Spur zu kommen, hatte sich eine Studie am Leipziger Institut für Praktische Journalismus- und Kommunikationsforschung (IPJ) zur Aufgabe gemacht … Fazit: Die Netzwerke im Elitenmilieu haben augenscheinlich eine Entspre-
chung in den Meinungsbildern der Journalisten. Allerdings kann mit dem vorliegenden Unter-
suchungsdesign nicht nachgewiesen werden, dass es einen kausalen Zusammenhang gibt, sprich: dass sich die Meinung der Journalisten an die Meinung in der sozialen Umgebung angepasst hat. Möglich ist auch, dass die Netzwerke überhaupt erst entstanden sind, weil die Journalisten bereits elitenkompatible Ansichten hatten, oder eine Kombination aus beidem: Journalisten werden von Politik- und Wirtschaftseliten nur dann kooptiert, wenn sie keine allzu kritischen Einstellungen aufweisen, und die Einbindung in das Elitenmilieu macht es immer unwahrscheinlicher, dass ein Konsens unter Eliten hinterfragt wird … Die Inhaltsanalyse hat eine deutliche Zweiteilung der Zeitungen ergeben. Die Welt, die FAZ und die SZ bildeten den Diskurs auf der MSC unfangreich ab und bewerteten die Institution MSC durchweg neutral bis positiv, während sie die Proteste igno-
rierten (FAZ), marginalisierten (Welt) oder als reines Lokalphänomen behandelten (SZ) und dabei teilweise stark negativ bewerteten. Wenn die SZ auf ihrer Lokalseite den Protesten Raum gab, dann mehr deren äußeren als den inhaltlichen Aspekten. (Zusammenstellung: Erwin Schelbert)“9
Die linke Szene ist geteilter Meinung. Die einen beklagen allzu militante Redebeiträge, die anderen meinen, die Antisiko-Proteste seien in Ritualen erstarrt.10
(zuletzt geändert am 10.10.2024)
1 Siehe auch das Interview mit Jürgen Wagner von der „Informationsstelle Militarisierung Tübingen“ vom 31. Januar unter www.freie-radios.net/53422.
2 Siehe Fotos von der „jubeldemo“ von Franz Gans.
3 Zur Vorgeschichte siehe
- www.luzi-m.org/nachrichten/artikel/datum/2013/01/22/siko-fliehkraefte-im-aktionbuendnis/ und
- https://linksunten.archive.indymedia.org/node/75765/index.html.
4 Siehe
- www.almuc.blogsport.eu/2012/12/21/krieg-beginnt-hier-beenden-wir-ihn-hier-fur-die-soziale-revolution-smash-natosiko/ und
- https://linksunten.archive.indymedia.org/node/77423/index.html.
5 Siehe
- www.linksunten.indymedia.org/de/node/33706,
- https://linksunten.archive.indymedia.org/node/77581/index.html und
- www.sicherheitskonferenz.de/de/node/6526.
6 Siehe
- www.jungewelt.de/2013/02-04/008.php und
- https://linksunten.archive.indymedia.org/node/79174/index.html.
7 Siehe
- Fotos von der „antisiko-demo“ von Franz Gans,
- https://www.kla.tv/449,
- https://linksunten.archive.indymedia.org/node/77708/index.html und
- Jürgen Wagner, Indirekte Kriege und globale Frontbildung. Der „Westen“ bringt sich auf der Münchner Sicherheitskonfe-
renz neu in Stellung, www.imi-online.de/2013/02/06/indirekte-kriege-und-globale-frontbildung/.
8 Siehe www.mskveraendern.de/18.html.
9 Projektzeitung 10 vom Februar 2015, 8. Vgl. Uwe Krüger, Meinungsmacht. Der Einfluß von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten – eine kritische Netzwerkanalyse, Köln 2013.
10 Siehe https://linksunten.archive.indymedia.org/node/89774/index.html.