Materialien 1964

Trauerrede für Rolf Gramke

Aushangtext in der Bildungsstätte Springen im August 1990:

Rolf Gramke ist tot. Im Alter von 64 Jahren ist er im August für uns alle viel zu früh in München gestorben. Rolf Gramke ist Hunderten von Schulungsteilnehmerinnen und Schulungsteilnehmern unserer Organisation ein Begriff und praktischer Helfer gewesen. 21 Jahre war er eine aner-
kannte aber nicht unumstrittene Persönlichkeit in unserer zentralen Bildungsarbeit. Ob er im Grundseminar Hilfestellung zum Lernen gab oder im 5-Wochen-Seminar mit psychologischen Erkenntnissen Handlungsanleitungen gab, immer waren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von seiner Art, die Dinge in einem gesellschaftlichen Zusammenhang zu stellen, begeistert. Mehr noch dürften seine stark nachgefragten Seminare zur Sprecherziehung, zur Kommunikations-
fähigkeit und zur öffentlichen Wirksamkeit vielen in Erinnerung sein. Redehemmungen zu über-
winden, mit dem Wort fair und effektiv umzugehen, aber dennoch seine persönliche Note zu behalten, dürften manchem inzwischen erfolgreichen Betriebsratsmitglied, Funktionär und Bundestagsabgeordneten auf dem Weg dahin geholfen haben. Vergessen werden darf dabei nicht seine Frau Elli, die dem fast blinden Rolf mehr als eine liebevolle „Wegweiserin“ war. Wir trauern mit ihr. Dankenswerterweise hat es der Verstorbene nicht versäumt, rechtzeitig für qualifizierten Referentennachwuchs beim Bildungswerk zu sorgen. Wir werden das beste von ihm bewahren und weiterarbeiten und Rolf Gramke damit ehren.

Eberhard Kremer

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München, den 16. August 1990

Liebe Elli , liebe Familienangehörige, liebe Verwandte und Freunde des Verstorbenen

Rolf Gramke ist tot. Im Alter von 64 Jahren ist er letzten Samstag nach einem halben Jahr Krankheit und Sterben – das für ihn und auch für uns von Woche zu Woche schwerer, anstrengender und entgültiger wurde – für immer von uns gegangen.

In diesem halben Jahr war Rolf nie alleine und wohl auch nicht einsam. Der Soziologe Norbert Elias schreibt über die Einsamkeit der Sterbenden in unserer Kultur:

„Der Tod verbirgt kein Geheimnis. Er öffnet keine Tür. Er ist das Ende eines Menschen. Was von ihm überlebt, ist das, was er anderen Menschen gegeben hat, was in ihrer Erinnerung bleibt. Das Ethos des ‚homo clausus’, des sich allein fühlenden Menschen, wird schnell hinfällig, wenn man das Sterben nicht mehr verdrängt, wenn man es als einen integralen Bestandteil des Lebens in das Bild von den Menschen mit einbezieht.“ Soweit Elias.

Die tagtägliche Anwesenheit und Zuneigung von Verwandten und Freunden aus Nah und Fern, die Rolf im letzten halben Jahr erfahren hat, dieses große und lange Abschiednehmen von Rolf war und ist ganz sicher der Reflex darauf, was Rolf zu Lebzeiten uns bedeutet und gegeben hat.

Rolf hat uns – und Tausenden darüber hinaus – geholfen, unsere Weltsicht zu vergrößern, zu differenzieren und unsere vielfältigen Fähigkeiten zu entwickeln.

Er hat dies vor allem in der Erwachsenenbildungsarbeit der IG Druck und Papier, der heutigen IG Medien, in Springen und bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Saarbrücken geleistet.

In der Bildungsarbeit der IG Druck und Papier war Rolf 21 Jahre eine anerkannte und viel ge- und beachtete, aber nicht unumstrittene Persönlichkeit.

Umstritten war er vor allem bei jenen, die überzeugt waren, dass unveränderliche Wahrheiten dauerhaft die Welt verändern könnten, und die heute erleben müssen, dass sich die real existie-
renden Menschen nicht um ihre Theorien kümmern, sondern individuelles Glück suchen und keine stalinistisch-militaristische Ideologie der kollektive Mangelverteilung verwirklichen wollten und wollen.

Rolf, der durch und durch humane und streitbare demokratische Sozialist hatte dialektischer Weise auch seine Feinde.

Feinde, die all die Jahre Rolfs Anteil am Herüberretten marx’schen Gedankengutes aus der Ära des kalten Krieges in die Epoche der sozialliberalen späten 60er und 70er Jahre, unterschätzten.

Die Vielen aber, die lernen wollten, erinnern sich sicher noch heute gerne an Rolf Gramke.

Ob Rolf ihnen Hilfestellungen zum Lernen oder mit psychologischen Erkenntnissen Handlungs-
anleitungen gab, immer waren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von seiner Art, die Dinge in einem gesellschaftlichen Zusammenhang zu stellen, begeistert. Mehr noch dürften seine stark nachgefragten Seminare zur Sprecherziehung, zur Kommunikationsfähigkeit und zur öffentlichen Wirksamkeit vielen in Erinnerung sein. Redehemmungen zu überwinden, Streitlust zu entwickeln, mit dem Wort fair und effektiv umzugehen, aber dabei dennoch seine persönliche Note zu behal-
ten, dürften manchem inzwischen erfolgreichen Betriebsratsmitglied, Gewerkschaftsfunktionär und Bundestagsabgeordneten auf dem Weg dahin geholfen haben.

Rolf wusste, in einer Gesellschaft, in der Gewalt gegen Menschen keine Handlungsmöglichkeit sein soll, kann und muss Rhetorik helfen, Konflikte zu lösen.

Dabei war er nicht der omnipotente Pauker, für den es keine Fragen mehr gibt. Rolf war deshalb ein guter Lehrender, weil er die Lernenden liebte und forderte. Er war kein bequemer Erwachsen-
enbildner. Billiger Beifall interessierte ihn nicht. Zufrieden – wenn dieser Ausdruck überhaupt angebracht ist – war er immer erst dann, wenn den Lernenden im Lichte neuer Erkenntnisse die Augen schmerzten.

Die aber, die wie wir mit Rolf gearbeitet und gelebt haben, wir haben ihm zu danken

da er uns gelehrt hat,

genau zuzuhören,

uns der Unsicherheit des Lernens auszusetzen,

uns die ganze Welt aneignen zu wollen,

Erscheinungen und Verhältnisse auf den Begriff zu bringen,

individuelle Verhaltensweisen aus gesellschaftlichen Ursache zu erklären,

unsere kommunikative Wirksamkeit zu erhöhen

und nicht zuletzt die eigene Genussfähigkeit zu entwickeln!

Rolf hielt viel von Brechts Erkenntnis, dass eine gute Rindssuppe ausgezeichnet mit dem Humanismus zusammen geht.

In Ruhe, mit viel Muse und Zeit, gut essen und trinken, Musik hören, eine Havanna rauchen, anregende Gespräche mit Freunden führen – ja auch das war ein Teil des Lebens, das Rolf liebte und das er uns lieben lehrte.

Wir haben gelernt von ihm.

Was uns bleibt:

Wir werden dementsprechend leben und handeln und somit eine Welt verändern, die dies nötig hat.

Wir trauern mit Elli – die Rolf mehr als eine liebevolle Frau war – um einen Menschen, der uns viel, sehr viel bedeutete, von dem wir viel, sehr viel gelernt haben, von dem deshalb viel, ja sehr viel in unserer Erinnerung bleibt!

Eberhard Kremer


Vom Autor zugeschickt am 17. Februar 2013