Flusslandschaft 1966
Militanz
Wie weit können wir gehen? Diese Frage stellt sich für Oppositionelle immer wieder neu. Bleiben wir im Rahmen der von der Gesellschaft angeblich miteinander vereinbarten Regeln oder sind diese Regeln selbst zu hinterfragen? Wenn eine Regelverletzung zulässig ist, gibt es übergeordnete Maßstäbe, die eine neue Grenze ziehen, die nicht überschritten werden darf? Herbert Marcuse bringt es so einleuchtend auf den Punkt, dass er in den folgenden Jahren oft zitiert wird: „… Aber ich glaube, dass es für unterdrückte und überwältigte Minderheiten ein »Naturrecht« auf Wider-
stand gibt, außergesetzliche Mittel anzuwenden, sobald die gesetzlichen sich als unzulänglich he-
rausgestellt haben. Gesetz und Ordnung sind überall und immer Gesetz und Ordnung derjenigen, welche die etablierte Hierarchie schützen; es ist unsinnig, an die absolute Autorität dieses Gesetzes und dieser Ordnung denen gegenüber zu appellieren, die unter ihr leiden und gegen sie kämpfen – nicht für persönlichen Vorteil und aus persönlicher Rache, sondern weil sie Menschen sein wollen. Es gibt keinen anderen Richtet über ihnen außer den eingesetzten Behörden, der Polizei und ihrem eigenen Gewissen. Wenn sie Gewalt anwenden, beginnen sie keine neue Kette von Gewalttaten, sondern zerbrechen die etablierte. Da man sie schlagen wird, kennen sie das Risiko, und wenn sie gewillt sind, es auf sich zu nehmen, hat kein Dritter, und am allerwenigsten der Erzieher und Intel-
lektuelle, das Recht, ihnen Enthaltung zu predigen.“1
1 Herbert Marcuse, Repressive Toleranz, Frankfurt am Main 1966, zit. in Bernhard Larsson, Demonstrationen. Ein Berliner Modell. VoltaireFlugschrift 10, Frankfurt am Main 1967, 7.