Flusslandschaft 2013

Alternative Szene

Am 21. Februar eröffnet im Münchner Stadtmuseum die Ausstellung „Wem gehört die Stadt? Manifestationen Neuer Sozialer Bewegungen im München der 1970er Jahre“. Im Ankündigungs-
text heißt es: „Die Ausstellung thematisiert, ausgehend von der Organisationsfrage alternativer Gegenkultur, politische und soziale Modelle herrschaftsfreier urbaner Räume, in denen Projekte und Projekt-Netzwerke entstanden. Sie verfolgt den in der Studentenbewegung der 1960er Jahre freigesetzten Impuls antiautoritären Denkens und Handelns als Gegenentwurf zu einem formell repräsentativ verfassten Politikverständnis. Die Dekade zwischen dem Amtsantritt der ersten sozialliberalen Regierung 1969 (Wahlslogan: ‚Mehr Demokratie wagen’) und der ‚politisch-mora-
lischen Wende’, wie sie von der CDU im Bundestags-Wahlkampf 1983 propagiert wurde, war geprägt von einem historisch bis dahin einzigartigen emanzipatorischen Schub, dem eine kon-
krete Utopie zugrunde lag: Der freie Umgang mit urbanen Lebensräumen und die Suche nach gesellschaftlichen Alternativen zur Metropole als Objekt rein ökonomischer Interessen. Dazu gehörten die entstehenden Stadtteil-Initiativen ebenso wie Konzepte, die auf autonome Teil-
habe und Entwicklung, Selbstbestimmung und Basisdemokratie aufbauten. Die Ausstellung geht
dem Ideenfeuerwerk der neuen sozialen Bewegungen und dessen Umsetzung in vielgestaltige Lebensentwürfe nach und zeigt die darin zum Ausdruck kommenden politischen und sozialen Manifestationen.“

Bei der Vernissage mit über achthundert vergnügten Besucherinnen und Besuchern – viele von ihnen seinerzeit Bestandteil der alternativen Szene – meint eine Kollegin (Historikerin, Museums-
fachfrau und Ausstellungsmacherin), die genau hinschaut und niemandem nach dem Munde redet: „1. Die Ausstellung zeigt das Mäandernde und Labyrinthische der Zeit, indem sie genauso aufgebaut ist. 2. Die Ausstellung vermittelt den Charakter des ‚Selbstgemachten’, sie verdeutlicht, dass seinerzeit die Protagonisten nicht Versatzstücke aus dem Kanon der bürgerlichen Kultur imitierten, sondern a) Neues schufen und b) das schon Vorgefundene ironisch brachen. 3. Neben der Präsentation von Inhalten wird die vorherrschende Gefühlslage der Protagonisten sehr deut-
lich. 4. Die Ausstellung bietet nicht, wie unter dem Diktat der etablierten Historiografie üblich, Interpretationslinien an, sie verzichtet vielmehr auf Deutungshoheit und lässt die Objekte für sich sprechen. Jeder Besucher, der in traditioneller Konsumhaltung die Räume betritt, wird enttäuscht, andere, die sich auf ein unwegsames Abenteuer einlassen, werden reichlich belohnt. Nicht zuletzt wird der kreative Besucher einen Bogen vom Angebot der Ausstellung ins Hier und Jetzt ziehen. 5. Die Ausstellung kann nur so und nicht anders aussehen. Ich bin begeistert.“

Weitere Besucherinnen und Besucher äußern sich oder erinnern sich an ihre eigenen Aktivitäten.1 Walter Benjamin ergänzt: „Die Geschichte ist Gegenstand einer Konstruktion, deren Ort nicht die homogene und leere Zeit, sondern die von Jetztzeit erfüllte bildet.“2 Allerdings gibt es auch Kritik: „… Wer sich auch nur ein bisschen in der Geschichte der deutschen Linken auskennt und nicht völlig verblödet ist, wird nicht umhin kommen, eine gravierende Dokumentationslücke zu bemer-
ken: linken Antisemitismus nämlich …“3 Die Ausstellung ist bis zum 1. September zu sehen.

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Olli Nauertz


1 Rosy R. Heinikel: Blog-Beitrag zur Ausstellung im Münchner Stadtmuseum über die Polit- (SDS, ASTA) und Protest-Szene der ‘60er-’ und ‘70er’. (www.rosy-books-music-and-more.blogspot.de/)

2 Walter Benjamin: „Über den Begriff der Geschichte“ in: Ders., Gesammelte Schriften Bd. 1.2, Frankfurt am Main 1974, 701.

3 www.ideologiekritik.org/author/ideologiekritikmuenchen/

4 Foto © Volker Derlath

Überraschung

Jahr: 2013
Bereich: Alternative Szene