Materialien 1977
würdig, gerecht, menschlich
notizen aus der untersuchungshaft 1977. soviel wir wissen, hat sich seither nicht viel geändert.
die würde des menschen ist immer noch antastbar
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Der Untersuchungsgefangene ist würdig, gerecht und menschlich zu behandeln.
Untersuchungshaftvollzugsordnung Abs.18 (1)
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Wer vor seiner rechtskräftigen Verurteilung in den Knast wandert, gilt als Untersuchungsge-
fangener. Damit wird er schon einmal von vornherein in vielerlei Hinsicht gegenüber demjenigen benachteiligt, der seinem Prozess in Freiheit entgegensehen kann. Nicht allein, dass sich die Haft als eine Art Vor-Urteil auswirkt, sie behindert ihn auch in den meisten Fällen erheblich in seiner Verteidigung. In der Öffentlichkeit gilt eine Untersuchungshaft, die meist nur als „Haft“ gesehen wird, schon als Schuldbeweis, und der Inhaftierte, der mit Handschellen zum Prozess geführt wird – mitunter auch noch unter den entsprechenden Bedingungen: Polizeieskorte, Absperrung, Justizbeamte neben ihm auf der Anklagebank usw. – wird von Schöffen und Beisitzern mit anderen Augen gesehen als der Angeklagte, der an der Seite seines Verteidigers als freier Mann den Gerichtssaal betritt.
Er kann nicht jederzeit seinen Anwalt aufsuchen und die Besuche der Anwälte im Knast richten sich bei bürgerlichen Anwälten nach der Höhe des Honorars. Aber die meisten können sich im Knast nicht mal einen Anwalt leisten, was in Freiheit auch wieder leichter wäre, wenn sie weiterarbeiten könnten. Der Inhaftierte hat auch nicht die Möglichkeit, auf eigene Faust zu recherchieren, er kann sich nicht nach Entlastungszeugen umsehen, er kann sich nicht fortlaufend über den Stand der Ermittlungen informieren, die Akteneinsicht wird erschwert usw.
zerstörung sozialer bindungen
Hinzu kommt vor allem, dass die Verhaftung ihn meistens völlig unvorbereitet trifft und einen jähen Einschnitt im Leben darstellt, der in den meisten Fällen mit einer totalen Veränderung Hand in Hand geht. Das heißt mitunter Verlust der Arbeitsstelle, Verlust der Wohnung oder des Zimmers, Zerstörung sozialer Bindungen, oftmals sogar das Ende einer Ehe, der Bruch mit dem Elternhaus. Für die meisten Gefangenen, die ich kenne, war die erste Verhaftung der Beginn ihrer Kriminalisierung.
Wie einschneidend sich die Verhaftungen mitunter auswirken, wie bewusst oder unbewusst eine Kriminalisierung eingeplant wird und vor allem, wie willkürlich Haftgründe ausgesprochen werden, kann ich an einem ganz konkreten Beispiel aus eigener Erfahrung aufzeigen. Im Spätsommer 1968 wurde ich von der Polizei in meiner Wohnung festgenommen und im Polizeipräsidium dem Haftrichter vorgeführt, der einen Haftbefehl wegen eines Vergehens gegen den § 175 ausstellte. Ich legte dagegen Beschwerde ein und bat gleichzeitig einen Bekannten von mir, er möchte bei meiner Firma ausrichten, ich hätte überraschend verreisen müssen und bäte um einen längeren unbezahlten Urlaub. So rettete ich vorläufig erst mal meinen Arbeitsplatz, denn die Firma erfuhr nichts von meiner Verhaftung. 14 Tage später wurde ich dem Ermittlungsrichter vorgeführt, der nach Einsicht in die Akten (der Tatbestand war klar, ich hatte ihn auch zugegeben, außerdem hatte ich einen festen Wohnsitz und Arbeit), den Haftbefehl wieder aufhob. Ich nahm sofort meine Arbeit wieder auf, und kein Mensch erfuhr erst mal, was vorgefallen war. Wenn es zum Prozess kommen würde und ich eine Strafe antreten müsste, hätte ich vorher unter irgendeinem Vorwand kündigen und eine spätere Wiedereinstellung ausmachen können. Nach etwa drei Wochen tauchten plötzlich zwei uniformierte Polizisten in der Firma auf und verhafteten mich am Arbeitsplatz. Ein neuer Richter, der den Fall übernommen hatte, hatte den Haftbefehl wieder ausgestellt, und zwar mit der Begründung, angesichts der zu erwartenden hohen Strafe bestehe Fluchtverdacht. Zwei Monate später kam es zur Verhandlung, und der gleiche Richter, der wegen der „zu erwartenden hohen Strafe“ den Haftbefehl ausgestellt hatte, verurteilte mich zu drei Monaten Gefängnis, die mit der U-Haft beglichen waren. Ich konnte als freier Mensch den Gerichtssaal verlassen, aber ich hatte durch die willkürliche Verhaftung inzwischen meinen Arbeitsplatz verloren und auch meine Wohnung.
wirksam wie die zehn gebote
Die Problematik der Untersuchungshaft ist natürlich auch den Gesetzgebern bekannt. 1969 wurde in Bayern eine neue Haftvollzugsordnung erlassen, in der es im ersten Kapitel heißt:
l. (1) Die Untersuchungshaft dient dem Zweck, den Beschuldigten während des Strafverfahrens sicher zu verwahren sowie den Gefahren der Verdunkelung und Wiederholung entgegenzuwirken, soweit diese Grund der Anordnung waren (§ 112 Abs. 2-4 StPO).
(2) Dem Untersuchungsgefangenen dürfen nur solche Beschränkungen auferlegt werden, die der Zweck, den die Haft im Einzelfall hat, oder die Ordnung in der Vollzugsanstalt erfordert (§ 119 Abs. 3 StPO).
(3) Die Persönlichkeit des Untersuchungsgefangenen ist zu achten und sein Ehrgefühl zu schonen. Im Umgang mit ihm muss selbst der Anschein vermieden werden, als ob er zur Strafe festgehalten werde. Die Untersuchungshaft ist so zu vollziehen. dass der Gefangene keinen sittlichen oder körperlichen Schaden erleidet.
(4) Bei Gefangenen unter einundzwanzig Jahren (jungen Gefangenen) wird die Untersuchungshaft erzieherisch gestaltet.
stein gewordene unmenschlichkeit
Das Haus, in dem ich untergebracht bin, ist ein Neubau, eines jener Kulturdenkmäler aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Hier ist an alles gedacht, an Sicherheit, an Zweckmäßigkeit, Überwachung, Kontrolle, Isolation, nur an eines nicht: an den Menschen. Alles ist Stein gewordene Unmenschlichkeit, Schließfachvollzug, Reformknast. lm Sommer war es in den Zellen so heiß, dass man selbst völlig nackt noch schwitzte, jetzt im Winter ist es so kalt, dass ich bei geschlossenem Fenster mit einem Pullover am Tisch sitzen muss, weil ich sonst friere. Öffne ich das Fenster (das Wort trifft eigentlich nicht zu, das „Lichtloch“ ist in 2,50 Meter Höhe angebracht, so dass man nicht einmal hinaussehen kann, es lässt sich nur mit einem langen Handgriff öffnen und schließen), weil die Luft in der kleinen Zelle rasch stickig wird, kann ich es nur an der Heizung stehend aushalten. Die Zelle selbst ähnelt mit den teils gekachelten, teils kahlen, schmutzigweißen Wänden einem Wohnklo. Tisch, Sitzbank und Bett sind in die Wand eingelassen, durchgehend, und dienen nebenan demselben Zweck. Man nimmt so spürbar am Leben des Nachbarn teil.
Haut mein linker Nachbar mal auf den Tisch, tanzt meine Tasse auf und ab, schreibe ich auf der Maschine, rutscht bei ihm das Besteck hin und her. Nachts ahne ich leicht vibrierend das einsame Sexualleben meines rechten Zellengenossen hinter der Mauer. Aber ich nehme auch noch am Intimleben weiter entfernt liegender Mitgefangener teil. Nach dem Einschluss um 17.00 Uhr, wenn es draußen auf dem Gang ruhig wird, höre ich die Rülpser und Fürze aus anderen Zellen, höre Gesänge und Gespräche (viele Einzelzellen sind mit zwei Mann belegt), Musik und Gelächter, vernehme die Gebete türkischer oder persischer Leidensgenossen und mitunter auch den verzweifelten Ausbruch lang angestauter Aggressionen, das Treten gegen die eisernen Türen, das Zerschlagen von Einrichtungsgegenständen. Man lebt mit einer permanenten Geräuschkulisse, die sich im Laufe der Zeit zu einer psychischen Folter entwickelt. Eine totale Fehlkonstruktion (oder vielleicht doch Zweckarchitektur der Justiz?), für die man eigentlich die Architekten und Bauherren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit einsperren müsste. Knastalltag, Schließfachvollzug, das heißt 23 Stunden am Tag allein in der Zelle, eingesperrt, isoliert. Für den, der nicht liest oder nicht lesen kann, für den, der nicht schreibt oder nicht schreiben oder sich nicht sonst wie mit irgend etwas beschäftigen kann, ein Horror, die permanente Langeweile.
sehnsucht nach dem urteil
Für den, der keine Unterstützung von draußen bekommt – und das sind die meisten hier – ist das alles doppelt hart. Das heißt nämlich: Kein Geld für den Einkauf, denn Untersuchungsgefangene dürfen auch nicht arbeiten, bzw. nur in Ausnahmefällen, die der Richter genehmigen muss; keine Zeitungen oder Zeitschriften (auf meiner Abteilung mit ca. 50 bis 60 Gefangenen gibt es sieben Gefangene, die sich eine Zeitung leisten können); keine Bücher und vor allem keinen Besuch. Anwälte haben auch nur die wenigsten, die meisten stolpern ohne jeden Rechtsbeistand in ihren Prozess und werden dabei meist völlig überfahren. Manche haben einen Pflichtverteidiger, der sich vielleicht im Laufe einer sechsmonatigen Untersuchungshaft einmal blicken lässt, manchmal aber auch erst eine Stunde vor der Verhandlung.
Kein Wunder, dass sich die meisten nach der Verurteilung „sehnen“, denn in der Strafhaft ist wenigstens etwas „los“, da kann man mit anderen zusammenleben, da gibt es Abwechslung und vor allem Arbeit, damit die Zeit schneller vergeht, und etwas Geld, um sich Tabak kaufen zu können. Viele legen schon deshalb keine Berufung gegen das Urteil ein, sie wollen so schnell wie möglich weg von Stadelheim.
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Einkauf
UVollzO 2 a 51 (1): „Dem Untersuchungsgefangenen wird erlaubt, sich auf seine Kosten im Rahmen einer vernünftigen Lebensweise (Nr. 18 Abs. 2) vom Anstaltsleiter zugelassene Zusatznahrungs- und Genussmittel, andere Gegenstände des persönlichen Bedarfs sowie mit Zustimmung des Anstaltsarztes auch Arznei- und Kräftigungsmittel zu beschaffen.“
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Im Knast herrscht die konsequenteste Form des Kapitalismus: Arbeitszwang ohne Streikrecht und ohne das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung; die Löhne werden vom Unternehmer – sprich Staat diktiert. Wer Glück hat, verdient am Tag den halben Stundenlohn eines Arbeiters draußen. Darüber ist viel geschrieben worden, sehr ausführlich in der Dokumentation „Ausbeutung im Knast“ des Kollektivs Rote Hilfe in München. Weniger bekannt ist die zweite Form der Ausbeutung durch den Einkauf. Jeder Untersuchungsgefangene kann im Monat für eine gewisse Summe Lebensmittel, Tabakwaren, Toilettenartikel und Schreibzeug einkaufen, natürlich nur, wenn er über eigenes Geld verfügt. In Bayern ist diese Summe auf 90 DM im Monat begrenzt. Diese Regelung gilt bereits seit nahezu zehn Jahren, ohne dass dabei bis heute berücksichtigt wurde, dass die Lebenshaltungskosten im gleichen Zeitraum um nahezu 40 bis 50 Prozent gestiegen sind. Das heißt, man bekommt heute für die 90 DM etwa die Hälfte von dem, was man vor zehn Jahren dafür bekam. Unter diesen Umständen von einer „vernünftigen Lebensweise“ zu schreiben, grenzt wohl an Hohn. Ab 1. Januar 1977 stiegen die Preise für Tabakwaren wiederum erheblich an, ein Päckchen Tabak, das bisher 2,10 DM gekostet hatte, kostete dann 2,60 DM, trotzdem wurde wiederum die Einkaufssumme nicht erhöht.
Der Händler, der diesen Einkauf vermittelt, hat eine Monopolstellung, er kann die Preise nach Belieben diktieren. Der Gefangene hat keine Wahl, er muss entweder die Waren zum angegebenen Preis kaufen oder auf den Einkauf verzichten. Eine andere Möglichkeit hat er nicht. Er kann nicht, wie der Kunde draußen, in ein anderes Geschäft gehen, das die Waren billiger anbietet. Der Händler – im Falle Stadelheim die Firma Wutz, Paul-Heyse-Straße 19 – kennt seine Monopol-
stellung und setzt dementsprechend die Preise an. Eine Woche lang habe ich die Angebote der Tageszeitungen gesammelt und sie mit den Preisen im Knast verglichen.
Nachdem der Abschnitt über den Einkauf auszugsweise in der Münchner Stadtzeitung „Blatt“ abgedruckt wurde, wechselte am 1. Dezember der Händler. Der Einkauf wird nun von der Firma Schießl, Paul-Heyse-Straße 23, abgewickelt. Die Preise änderten sich nur in einem Punkt: der Kaffee kostet nun 30 Pfennige mehr.
Am 11./12. Dezember erschien dann in der Münchner Boulevard-Zeitung „tz“ eine Notiz: „Gefängnisnepp! Die SPD ist gegen Nepp-Preise in bayerischen Gefängnissen. Nach Angaben des Abgeordneten Sepp Dittmeier beklagen sich immer wieder Häftlinge über die zu teuren Waren in den Gefängnisläden. Die Staatsregierung will die Vorwürfe jetzt prüfen.“ Die Prüfung dauert anscheinend noch an, geändert hat sich auf jeden Fall bisher nichts.)
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Bücher
UVollzO 2 a 45 (1): „Dem Untersuchungsgefangenen ist anstaltseigener Lesestoff in ausreichendem Maße zur Verfügung zu stellen.
(2) Der Untersuchungsgefangene kann sich durch Vermittlung der Anstalt auf eigene Kosten oder auf Kosten Dritter Bücher durch den Buchhandel beschaffen …“
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In Stadelheim hat jede Abteilung einen Bücherwagen, der alle zwei oder drei Monate ausgetauscht wird. Ein Kommentar zur Qualität erübrigt sich. Nur soviel sei gesagt: nicht einmal die übliche Trivialliteratur, die wenigstens noch spannend ist, ist vorhanden, also kein Simmel, kein Ganghofer, kein Karl May, sondern nur zweite und dritte Garnitur. Billige Heimat- und Liebesromane, Betschwestern-Lektüre und Erbauliches vom Christlichen Verein Junger Männer, gespendete Ladenhüter von zweit- und drittklassigen Verlagen, ausrangierte Bücher aus Werks- und Pfarrbüchereien.
Daneben gibt es noch eine Zentralbücherei, aus der man an Hand eines Katalogs und per Bestellzettel Bücher ausleihen kann. Hier findet man hauptsächlich Klassiker und Fachliteratur, allerdings auf dem Stand der 50er Jahre, so dass sie für eine wirkliche Weiterbildung nicht in Frage kommen, alles ist überholt und veraltet. Im Bereich der Geschichte und Politik dominiert die christlich-abendländische, meist alpenländische Linie, einschließlich der Kalten-Kriegs-Literatur aus den 50er Jahren, wobei natürlich William S. Schlamm, unseligen Angedenkens, nicht vergessen wurde. Weltanschaulich reicht der Bogen von Oswalt Spengler über Friedrich Blunck, dem ehemaligen Präsidenten der NS-Reichschrifttumskammer, bis Professor Schelsky.
Ein reichhaltiges Angebot steht dem zur Verfügung, der sich über das Nazi-Regime informieren möchte. Das plaudern sozusagen aus erster Hand: Hitlers Vizekanzler Franz von Papen („Der Wahrheit eine Gasse“) und sein Finanzminister Graf Schwerin von Krosigk („Es geschah in Deutschland“).
Von den Militärs sind vertreten: Generalfeldmarschall von Manstein, gleich zweimal, mit „Aus einem Soldatenleben“ und „Verlorene Siege von 1939 – 1945“, General Redulic mit „Soldat in stürzenden Reichen“, Generaloberst Milch mit „Die Tragödie der deutschen Luftwaffe“, Rudels Kollege, der Generalmajor Galland, mit „Die Ersten und die Letzten“ und natürlich der Abwehrfachmann unter Hitler und Adenauer, General Reinhard Gehlen, mit seinem „Dienst“.
Aus dem engsten Kreis um Hitler berichten: sein ehemaliger Kompaniechef und späterer militärischer Adjutant Fritz Wiedemann („Der Mann, der Feldherr werden wollte“), sein Leibfotograf Heinrich Hoffmann („Hitler, wie ich ihn sah“) und sein Dolmetscher Dr. Schmidt („Statist auf diplomatischer Bühne“ und „Statist auf der Galerie“).
Wehmütige Erinnerungen für alte Kämpfer vermittelt Peter Kleist, Ex-Mitarbeiter aus dem Reichspropagandaministerium Goebbels, mit seinem „Auch du warst dabei“ und der ehemalige Reichsdramaturg Sigmund Graff mit seinen Erinnerungen „Von S.M. zu N.S.“, während der Volk-ohne-Raum-Propagandist Hans Grimm mit seiner Rechtfertigungsschrift des National-
sozialismus „Warum, woher, aber wohin“ vertreten ist. Im Katalog hat jemand dazu sinnigerweise unter dem Stichwort „Inhaltsangabe“ notiert: Deutschlands Weg in die Zukunft. (Ob dieser „jemand“ zufälligerweise der ehemalige General der Waffen-SS und SS-Obergruppenführer Wolff war, der hier lange Zeit als Untersuchungsgefangener die Anstaltsbücherei betreute, ließ sich nicht mehr feststellen.)
Es fehlt auch nicht das berüchtigte Pamphlet gegen die Nürnberger Prozesse „Die Falschmünzer“ von Maurice Bardeche (nicht zu verwechseln mit Gides „Falschmünzer“), der in Frankreich als Kollaborateur verfolgt wurde und dessen Schwager, Robert Brasillach wegen Zusammenarbeit mit der deutschen Besatzungsmacht zum Tode verurteilt wurde. Und es fehlen auch nicht die großen „nationalen“ Schriftsteller von Walter Flex über den oben erwähnten Friedrich Blunck bis zu Hans Carossa, der von Goebbels zum Vorsitzenden der Europäischen Schriftstellervereinigung ernannt wurde.
miese tricks gegen unliebsame bücher und zeitschriften
Die Beschaffung eigener Bücher ist zwar erlaubt, aber mit vielen Schwierigkeiten verbunden. Die Anstaltsleitung, der – wie in allen bayerischen Knästen – jedes Buch erst mal von vornherein verdächtig ist, es sei denn, es wäre die Bibel, versucht mit vielen kleinen Tricks den Empfang zu hintertreiben. So wurden bei mir in den ersten Monaten alle Bücherpakete zurückgeschickt, und zwar mit der Begründung versehen: Der Empfang von Paketen ist nicht erlaubt. Das entspricht zwar nicht der Wahrheit, verboten sind nur Lebensmittelpakete außerhalb des erlaubten Quantums (drei Pakete im Jahr: zu Weihnachten, zum Geburtstag und ein Sonderpaket, für die es jedes mal eine Paketmarke gibt), aber die Absender sind erst mal verunsichert, und wenn sie nicht sofort schreiben und einem mitteilen, dass das Paket zurückkam, dann sind die Bücher futsch, denn die Anstaltsleitung hält es natürlich nicht für nötig, dem Gefangenen die Rücksendung mitzuteilen. Die Pakete wurden auch dann zurückgeschickt, wenn sie eindeutig als Bücher-
sendungen deklariert waren oder direkt von einem Verlag kamen, wie es in den Bestimmungen angegeben wird. Seit ich mir die Bücher direkt über den Richter schicken lasse, klappt es besser, vor allem weil ich immer wieder nachhake, denn selbst wenn das Gericht die Aushändigung freigegeben hat, versucht die Anstaltsleitung immer wieder Schwierigkeiten zu machen. Bei einem Mitgefangenen, der sich ebenfalls über den Richter Bücher schicken ließ, hielt die Anstaltsleitung das Paket so lange zurück, bis er Strafgefangener war, und dann verweigerte sie die Ausgabe. Für Strafgefangene ist nämlich die Anstalt als „Zensor“ zuständig. Generell kann man sagen, dass die Richter relativ „liberal“ entscheiden, doch gibt es auch hier Ausnahmen. So klassifizierte ein Richter vor kurzem Bob Dylans „Songbook“, das Kursbuch 45 und Bücher von Philip Roth als „subversive Hetz- und Trivialliteratur“.
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Zeitungen und Zeitschriften
UVollzO 2 a 45 (2): „Der Untersuchungsgefangene kann durch Vermittlung der Anstalt, auf eigene Kosten oder auf Kosten Dritter … Zeitungen oder Zeitschriften durch den Verlag, die Post oder den Handel beziehen. Vom Bezug ausgeschlossen sind Bücher, Zeitungen und Zeitschriften, deren Inhalt gegen Strafgesetze verstößt.
(3) Bücher, Schriften, Zeitungen oder Zeitschriften, die der Untersuchungsgefangene nicht unmittelbar von dem Verlag oder dem Buchhandel oder im Postbezug übersandt bekommt, dürfen ihm nur mit Genehmigung des Richters oder des Staatsanwalts ausgehändigt werden.“
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Bürgerliche Zeitungen und Zeitschriften aller Richtungen, d.h. von der Frankfurter Rundschau über den Spiegel bis zur Süddeutschen Zeitung und dem Bayern-Kurier kann man ohne Beanstandungen und Behinderungen beziehen. Hierbei sind eigentlich nur die Bedingungen interessant, die von der Anstalt aufgestellt werden, weil sie den asozialen Charakter des Knastes deutlich machen, weil sich hier zeigt, dass jeder Versuch einer Solidarität, jeder Ansatz zum Gemeinschaftsdenken bewusst verhindert wird. Da heißt es u.a. auf dem Zeitungsbestellschein:
„Mir ist bekannt und ich bin damit einverstanden,
a) dass ich Zeitungen, die älter als drei Tage sind, abzugeben habe;
b) dass mir die neue Ausgabe der bestellten Zeitschrift in der Regel nur gegen Rückgabe der vorletzten Ausgabe ausgehändigt wird und Ausnahmen nur bei Fachzeitschriften gemacht werden;
c) dass ich die Zeitung/Zeitschrift zwar an Gefangene ausleihen darf, die mit mir in demselben Haftraum untergebracht sind, dass ich aber die Zeitung/Zeitschrift oder Teile davon an andere Gefangene nicht weitergeben darf;
…
g) dass eine Übertragung des Abonnements auf Mitgefangene unzulässig ist;
h) dass die Erlaubnis zum Zeitungsbezug widerrufen werden kann, wenn Belange des Vollzugs dies erfordern, insbesondere bei Verstößen gegen die vorstehenden Regelungen oder bei sonstigem Missbrauch der Erlaubnis.“
In hektische Erregung und Bewegung gerät der gesamte Justizapparat, wenn linke Zeitschriften ins Haus flattern. Irgendwie müssen sie auf die Justiz wie ein rotes Tuch wirken, denn wenn ich mitunter die Reaktion beobachte, die sie auslösen, dann fällt mir zum Vergleich nur der Amoklauf eines Stieres ein. Es sei denn, dass früher böse Geister beim Anblick eines Drudenfußes ähnlich reagierten. Hier lassen sich auf jeden Fall keinerlei Richtlinien ausmachen, noch darf man mit logischen Erklärungen rechnen. Hier tobt sich jeder Richter nach eigenem Ermessen und Gutdünken aus. Der eine lässt jedes „Blatt“ durchgehen und beschlagnahmt die „Rote Fahne“, der andere nimmt an der „Roten Fahne“ keinen Anstoß, sieht aber in jedem „Blatt“ eine Gefahr für die „Ordnung und Sicherheit“ in der Anstalt.
Die einzige Faustregel, die ich ausmachen konnte – allerdings gibt es auch da Ausnahmen – lautet: Je näher der Zensor dem Knast steht, desto strenger ist die Zensur. Jeder Anstaltsleiter und seine Helfer beschlagnahmen und verbieten grundsätzlich alles, ob „ID“ oder „Blatt“, „Rote Fahne“ oder „Links“ und betrachten selbst den Spiegel und die Frankfurter Rundschau mit schiefen Augen.
Die Richter beim Amtsgericht sind meistens etwas großzügiger, vor allem wenn sie noch jünger sind. Die haben doch etwas mehr Durchblick, umgeben sich gerne mit einem liberalen Touch und sind stolz auf ihr „Demokratieverständnis“. Beim Landgericht, wo die älteren Herren sitzen, wird es wieder etwas strenger. Hier lebt noch etwas vom guten alten Geist, hier hat man noch eine Vorliebe für Zucht und Ordnung, Anstand und Sauberkeit. Solche Lektüre gehört einfach nicht in ein Gefängnis, das könnte ja zur „Politisierung der Gefangenen beitragen“ (wörtliche Erklärung eines Richters).
Erfahrungsgemäß haben Klagen gegen diese Entscheidungen bei höheren Instanzen meist Erfolg, nur dauern sie lange, und darauf spekulieren erst mal die Richter. Natürlich auch darauf, dass sich die Inhaftierten nicht die Mühe einer Beschwerde machen. Und leider haben sie damit oftmals recht. Man sollte sich grundsätzlich keine Beschlagnahme gefallen lassen und selbst oder durch den Anwalt Beschwerde einlegen.
Über die Beschlagnahmungen könnte man Bücher füllen, vor allem weil es mitunter zu absurden Erscheinungen kommt, die in der Skala von der Komödie über die Groteske bis zur Tragödie reichen und reichlich Aufschluss über die politische und geistige Einstellung bundesdeutscher Richter geben.
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Peter Schult: BESUCHE IN SACKGASSEN. Aufzeichnungen eines homosexuellen Anarchisten
„Man muss ihn nicht mögen, diesen Peter Schult. Schon gar nicht seine Ansichten über sogenannte ‚Militante’ einerseits und sogenannte ‚Bullen’ andererseits. Aber sein Buch lesen – das muss man. Ich gestehe, dass ich es nächtens in einem Rutsch verschlungen habe; eine Sache, die mir seit Karl May nicht mehr passiert ist …“
„avanti“ 12/78
TRIKONT-Verlagskollektiv, Kistlerstraße 1, 8 München 90, Telefon: 0891691 78 21-2
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Fliegenpilz. Zeitschrift für Politik und Literatur 4/1979, 11 ff.