Materialien 2013
Einlassung zu Beginn des Prozesses
21. März 2013
Zum Sachverhalt
Ich streite nicht ab, dass ich am 14. November vergangenen Jahres auf einer Solidaritätskundgebung für die vom Spardiktat betroffenen Länder Griechenland und Spanien ein Plakat getragen habe, auf dem Kanzlerin Merkel mit einer Hakenkreuzbinde zu sehen war. Auf dem Plakat war in großen schwarzen Lettern deutlich zu lesen: ATHEN 2012. Es handelte sich um eine Kunstaktion, an der außer mir die Schauspielerin Barbara Tedeski beteiligt war. Sie trug ein Plakat aus einem polnischen Magazin, auf dem Kanzlerin Merkel mit Hitlerbärtchen abgebildet war. Barbara Te4deski stand dicht neben mir.
Für den – selbst flüchtigen – Beobachter nicht als Nazigegner erkennbar?
Das Plakat, das ich hochhielt, wurde in Griechenland auf verschiedenen Demonstrationen und Kundgebungen getragen. Es war kürzlich auch in meiner Ausstellung im Münchner Gewerkschaftshaus auf einem meiner Bilder zu sehen. Dieses zeigt einen griechischen Rentner, der in der rechten das bewusste Plakat, in der linken ein Schild hält, auf dem zu lesen steht „201 € Rente“. Es handelt sich um einen Mann, der während der Zeit der deutschen Okkupation Griechenlands geboren wurde. Als Grundlage für das von mir gemalte Bild diente eine Fotografie aus Athen.
Zum „Straftatbestand“
Der Strafbefehl – er lautet auf 5.000 €uro (!!) – entbehrt meiner Auffassung nach jeder Grundlage; er ist in meinen Augen ein Hohn auf das Rechtsempfinden eines jeden Demokraten. Nicht nur das: Die Höhe der Geldstrafe legt mir den Verdacht nahe, dass es über den vermeintlichen Straftatbestand des § 86a hinaus – unausgesprochen wohl auch um Majestätsbeleidigung geht, einem Straftatbestand aus der wilhelminischen Zeit.
Nebenbei: Die Akten umfassen 39 (!!) Seiten.
In der Begründung des Strafbefehls steht der kategorische Satz (ich zitiere): „Jedes irgendwie geartete Gebrauchmachen eines derartigen Symbols (des Hakenkreuzes nämlich) , ohne dass es auf eine damit verbundene nationalsozialistische Absicht des Benutzers ankommt, ist – wie Ihnen bewusst war – in der Öffentlichkeit verboten, um jeden Anschein einer Wiederbelebung derartiger verfassungswidriger Bestrebungen in Deutschland zu vermeiden.“
Zu dieser Begründung zwei Anmerkungen: Die eine betrifft das, was mir tatsächlich bewusst war, die andere den Nebensatz am Ende, den ich für bedeutsam halte:
Bewusst war mir – anders als Frau Richterin Rothe, die den Strafbefehl formuliert hat –, dass der § 86 a keine Anwendung findet, wenn
a) aus den Umständen der Verwendung des Hakenkreuzsymbols eine deutliche Gegnerschaft zu diesem hervorgeht, wenn es etwa darum geht, auf eine neuerliche faschistische Gefahr hinzuweisen, z.B. im Zusammenhang mit dem NSU und dergleichen
oder wenn es
b) z.B. darum geht, historische Zusammenhänge klarzumachen mit dem Ziel der Verhinderung von Zuständen ähnlich denen, wie sie unter dem Hakenkreuz geherrscht haben.
Das heißt: es ist eben nicht so, dass jedwedes irgendwie geartete Gebrauchmachen des Hakenkreuzsymbols usw. ohne wenn und aber verboten ist.
Wenn dem so wäre, dürften z.B. die Presseorgane dieses Symbol ja überhaupt nicht abdrucken. Das ist in den letzten Monaten doch hundertemale geschehen, ohne dass es deswegen zu Strafverfahren gekommen wäre.
Zu Recht nicht! Die genaue juristische Begründung mit Kommentaren etc. erspare ich mir. In diesen Details weiß meine Anwältin natürlich besser Bescheid.
Jetzt ein paar Worte dazu, weshalb ich gerade das Plakat aus Griechenland getragen habe.
Einer meiner Freunde heißt Argyris Sfountouris. Er ist heute 73 Jahre alt – (Hochhalten des Bildes aus dem Internet!) etwa so alt wie der Rentner auf dem Bild hier, der das Merkelplakat hochhält.
Argyris stammt aus Distomo in Griechenland. Über ihn gibt es einen preisgekrönten Film, der hier in München auf dem Filmfestival gezeigt wurde. Der eine oder andere in diesem Saal kennt diesen Film vielleicht. Der Titel lautet: Ein Lied für Argyris.
Argyris war im Juni 1944 knapp vier Jahre alt und überlebte durch Zufall das Massaker, das Angehörige der 4. SS-Polizei-Panzergrenadierdivision an diesem Tag in Distomo, einem Dorf unweit von Delphi, bei einer sogenannten Vergeltungsaktion unter der Zivilbevölkerung angerichtet haben. Dort wurden damals 218 völlig unbeteiligte Dorfbewohner ermordet. Kinder, Frauen, Alte. Argyris verlor seine Eltern und insgesamt dreißig Familienangehörige. Obwohl der Aeropag, das höchste griechische Gericht, im Mai 2000 die Bundesrepublik Deutschland rechtskräftig verpflichtete, eine Summe von 28 Mio. Euro Entschädigung an die Opfer zu zahlen, hat Argyris, wie die anderen Überlebenden und Angehörigen bis zum heutigen Tag mit dem Verweis auf die sogenannte Staatenimmunität keinen Cent gesehen.
Was hat das nun mit Frau Merkel zu tun?
Das Spardiktat der Bundesregierung, die Art des Umgangs mit der griechischen Bevölkerung steht bei sehr vielen Griechen in der Tradition von Distomo. Das wissen leider viel zu wenige Deutsche.
Aus diesem Grund habe ich das Plakat mit der Montage, das in Griechenland gefertigt wurde, getragen.
Die Frage, ob ich Kanzlerin Merkel mit Hitler gleichsetzen wollte, ist hier zwar nicht Gegenstand der Verhandlung, ich will aber trotzdem etwas dazu sagen, weil es Menschen gibt, die das herauslesen.
Selbstverständlich setze ich Merkel nicht mit Hitler gleich! Das Plakat stammt nicht von mir, es kommt aus Griechenland. Es war deutlich als solches gekennzeichnet. Wenn das Gespräch über ein Missverständnis Anlass gibt, darüber zu sprechen, welche Rolle Deutschland in der Vergangenheit gegenüber Griechenland spielte und in welcher Beziehung diese Geschichte zu heute steht, dann ist es mir ein Missverständnis wert!
Meine Absicht war es, zu zeigen: So sehen uns die Griechen heute und es hat Gründe! Wir – die Deutschen – sind dafür mit verantwortlich, dass sie uns so sehen, weil wir es zulassen, dass Leute wie Merkel heute über Europa bestimmen, darüber, wie es den griechischen Rentnern heute geht, denen, die als Kinder die deutsche Okkupation Griechenlands miterleben mussten,
Jetzt zu dem Nebensatz, einem verräterischen Nebensatz, in der Begründung des Strafbefehls, das Zeigen des Hakenkreuzes sei „in der Öffentlichkeit verboten, um jeden Anschein einer Wiederbelebung derartiger verfassungswidriger Bestrebungen in Deutschland zu vermeiden.“ Das ist in dem Strafbefehl die einzige Begründung für den § 86a der Strafprozessordnung. Interessant.
Ich muss gestehen: ich habe erst mal darüber weggelesen. Dieser Satz heißt im Klartext: Eigentlich geht es gar nicht darum, solche Bestrebungen zu unterbinden – nein – es geht darum, nach außen hin nur den A n s c h e i n zu vermeiden, es könnte solche Bestrebungen vielleicht geben.
Wenn man sich rückblickend z.B. die Praxis des Verfassungsschutzes – vor allem hier in Bayern – genauer betrachtet, wenn man sich anschaut, wie in den letzten zehn Jahren Nazibanden völlig unbehelligt zehn Menschen ermorden konnten und Polizei und Staatsanwalt die Mörder unter den Angehörigen und deren Bekannten selbst suchten, bekommen solche Formulierungen in einem Strafbefehl wie meinem einen äußerst zynischen Unterton.
Wer wird hier eigentlich verfolgt???
Die Antwort liegt auf der Hand.
Interessant ist auch folgendes: Nicht selten geht es nicht einmal darum, solchen Anschein zu vermeiden. Wie anders sind beispielsweise Vorfälle wie in Freiberg/Sachsen zu verstehen?
Dort durften mehrere Männer in Naziuniform (u.a. der Uniform der Waffen-SS) auf einem Volksfest im Nazikübelwagen durch die Straßen fahren (Foto!!).
Die Polizei sah dem Treiben tatenlos zu, ein Ermittlungsverfahren (angestrengt von einem Abgeordneten der Linken, wohlgemerkt: nicht von der Staatsanwaltschaft!) wurde eingestellt mit der Begründung, es habe sich um Aufklärung über geschichtliche Zusammenhänge gehandelt.
Ausgerechnet, wenn Nazis die Nazi-Symbole gebrauchen, holt man die Einschränkung des § 86 a, die mir z.B. versagt wird, aus der Tasche. Für Demokraten heißt es: jedwedes Gebrauchmachen solcher Symbole ist verboten … usw. usw.
Aber es wäre nicht das erste Mal, dass Nazis genau das Recht für sich in Anspruch nehmen dürfen, das Demokraten versagt bleibt.
Mildernde Umstände für mich? Nein!
In diesem Verfahren darf es keine mildernden Umstände geben, weil es keine Schuld gibt.
Günter Wangerin
von Wangerin als Manuskript am 28. März zur Verfügung gestellt